Foto: SPIEL.digital

„Fehlen werden liebgewordene Gesichter und der besondere Geruch der Galeria“

Normalerweise treffen sich Ende Oktober die Branche und Spieler aus aller Welt auf der SPIEL in Essen. Dieses Jahr findet die Messe wegen Corona nur virtuell statt. Wir haben mit Dominique Metzler, Geschäftsführerin des Friedhelm Merz Verlags, gesprochen; über die Auswirkungen von Corona auf die Branche, die Unterschiede zwischen BoardGameGeek und der SPIEL.digital sowie ihren Sprung ins kalte Wasser.


Spiel.digital
Die SPIEL.digital ist die digitale Version der Messe SPIEL. Sie findet vom 22. bis zum 25. Oktober 2020 unter spiel.digital statt. Aktuell haben sich laut Veranstalter mehr als 400 Aussteller aus 41 Nationen dafür angemeldet. Zum Vergleich: 2019 gab es 1.200 Ausstellern aus 53 Nationen. In Themenwelten können Interessierte auf der SPIEL.digital Neuheiten nach Kategorien entdecken, zum Beispiel Kinder-, Familien, Karten-, Party- oder Rollenspiele, Über Tabletopia und Board Game Arena können Spiele getestet werden. Zum Rahmenprogramm gehören auch Autorenstunden, Wettbewerbe, Gewinnspiele, Branchenpanels, Webinaren sowie Live-Streams in verschiedenen Sprachen.

BoardGameGeek ist für die Szene der digitale Treffpunkt. Auf der Plattform findet man Infos zu Spielen sowie Neuheitenlisten, Videos und einen Shop. Wozu braucht es da noch die SPIEL.digital?
Nach der Verschiebung der SPIEL ins nächste Jahr war es uns wichtig, eine digitale Messe zu schaffen, die möglichst alle Aspekte einer realen SPIEL berücksichtigt. Was erwarten Besucher? Was erwarten Aussteller? Wie bringen sich Medienschaffende auf einer realen SPIEL ein? Besucher sind in erster Linie an Neuheiten interessiert und möchten diese kennenlernen, spielen aber auch kaufen können. Aussteller möchten ihre Spiele zeigen und verkaufen, aber auch ihrem B2B-Geschäft nachgehen. Medienschaffende bringen sich und ihren Content ein. Das alles haben wir im Konzept der SPIEL.digital berücksichtigt. Wir wollten eine Plattform schaffen, auf der eine ganze Branche und ihre Szene Spiele feiern können. Und auch eine Plattform, von der nicht nur wir, sondern auch andere profitieren können. So binden wir beispielsweise Spieleläden oder Brettspielcafés mit ein. Wenn diese ein kleineres Event parallel zur SPIEL.digital veranstalten, erhalten sie im Gegenzug eine kostenlose Präsenz auf unserer digitalen Messe. Man sollte vielleicht berücksichtigen, dass wir dieses Konzept zu einer Zeit erstellt haben als es gerade den Läden nicht so gut ging.

Mit BoardGameGeek hat das alles wenig zu tun. Hier gibt es zwar Neuheitenlisten, die aber in Bezug auf die SPIEL.digital ziemlich unvollständig sind. Insgesamt empfinde ich BGG als wertvolle, aber auch recht unübersichtliche Plattform. Aber wie gesagt, wir hatten BBG nicht auf dem Schirm als wir anfingen unsere Messe zu planen. Sie ist ja auch völlig anders aufgebaut.

Der Friedhelm Merz Verlag investiert Herzblut, Zeit und Geld in die SPIEL.digital. Wann hat sich dieser Aufwand gelohnt? Oder anders gefragt: Wann ist die SPIEL.digital erfolgreich?
Sie war erfolgreich, wenn Aussteller sie für sich persönlich als erfolgreich betrachtet haben und Besucher mehrheitlich der Meinung waren, dass es ihnen Spaß gemacht hat. Dies vor Beginn der Messe in Zahlen zu manifestieren, halte ich für unmöglich.

Im Mai wurde die SPIEL.digital ausgeschrieben. Die Entwicklung startete Mitte Juni. Im Oktober soll die Messe stattfinden. Was war neben der knappen Zeit die größte Herausforderung bei der Konzeption und Umsetzung?
Unseren eigenen Schweinehund zu überwinden und in einer Zeit, in der die Zukunft alles andere als gewiss ist, ins kalte Wasser zu springen und zu sagen: „Wir machen das jetzt“.

Auf der SPIEL.digital gibt es Inhalte für Besucher, Verlage, Journalisten sowie Autoren – und das in zahlreichen Sprachen. Gleichzeitig finden in Brettspielcafés und Spieleläden Veranstaltungen vor Ort als „SPIEL Local“ statt. Wie soll trotzdem ein einheitliches Messegefühl entstehen?
Genau so. Die SPIEL ist ja auch sonst immer sehr international gewesen. Unter den Ausstellern, aber auch unter den Besuchern. Wir feiern hier alle zusammen Brettspiele „on a global Scale“. Wir wünschen uns, dass die Branche auch langfristig so quirlig und agil bleibt wie sie es heute ist und versuchen, unseren Teil beizusteuern.

Die SPIEL.digital hat nicht nur viele Gesichter, sondern auch viele Funktionen, zum Beispiel eine Neuheitenliste, eine Media-Hub und Business-Lounges: Welche Funktion gefällt Dir am besten?
Mir gefällt das Gesamtpaket. Alle Funktionen, alle Teile zahnen ineinander und man könnte keinen Teilbereich entfernen, ohne die SPIEL.digital zu beschädigen. Insgesamt finde ich es schön, dass sich wirklich jeder, der Lust darauf hat, daran beteiligen kann.

Und auf welche der mehr als 1.300 Neuheiten freust Du Dich besonders? 
Für mich spielen einzelne Titel eine untergeordnete Rolle. Ich freue mich einfach auf das Gesamtpaket. Darüber, dass wir den Besuchern diese unglaubliche Anzahl werden vorstellen können. Als wir die SPIEL.digital angekündigt haben, war ja gar nicht klar, ob und wenn ja, wie viele Verlage daran teilnehmen möchten.

Auf der SPIEL präsentieren sich nicht nur Verlage, sondern auch Händler, Medien, Comiczeichner, Zubehöranbieter und Spielesammler. Gilt das auch für die SPIEL.digital? 
Bis auf wenige Ausnahmen ist uns das auch auf der SPIEL.digital gelungen. Verlage können – wie auch Anbieter von Zubehör – ihre Neuheiten vorstellen und verkaufen. Auch die Medien wurden wie bereits beschrieben eingebunden. Händler werden mit dem Programmteil SPIEL Local integriert.

Die Messe startet am 22. und endet am 25. Oktober. Die Seite wird aber mindestens bis Dezember online bleiben. Wieso sollten Interessierte trotzdem ausgerechnet an den drei Messetagen einschalten? 
Die angebotenen Spielrunden sowie sämtliches Live-Programm wird es nur während der Messelaufzeit geben. Danach wird dieses abgeschaltet. Wenn Besucher die gezeigten Spiele also selbst ausprobieren möchten, insbesondere mit einem Spieleerklärer, dann wird das nur während der Messelaufzeit möglich sein. Auch viele Unterhaltungsprogramme und Rabattaktionen laufen nur während der Messe.

Was wird auf der digitalen Messe auf jeden Fall besser als auf der analogen? Was nicht?
Wir alle vermissen natürlich die SPIEL in Essen, aber die SPIEL.digital ist in Corona-Zeiten ein toller Ersatz. Es lohnt sich für Besucher, sich einmal auf das Abenteuer einzulassen. Ich würde sagen, beide Messeformen haben etwas für sich. Es gibt viele Menschen, die uns schreiben, dass sie nun erstmals eine SPIEL besuchen können, weil die Anreise sonst einfach zu weit war. Andere mögen keine Menschenmassen und sind aus diesem Grunde froh, nun einmal eine SPIEL der anderen Art besuchen zu können. Fehlen werden mir die liebgewordenen Gesichter und zwischenzeitlich sogar der besondere Geruch der Galeria.

Die SPIEL wurde wegen der Corona-Pandemie verschoben. Welche Auswirkungen hat Corona auf die Branche?
Wir hören von vielen kleinen Verlagen, dass sie gerade eine schwere Zeit haben, weil der normale Handel ihre Produkte eh nicht listet und auch die Hobbyläden im Moment viel vorsichtiger sind. Viele kleine Verlage haben in der Vergangenheit praktisch ihre gesamte Auflage auf der SPIEL verkauft. Für diese Verlage wird es jetzt schwieriger und ich hoffe, die SPIEL.digital kann Abhilfe oder Linderung verschaffen.

Ich habe in den letzten Wochen manchmal Stimmen gehört, die behaupteten, es sei doch nicht so tragisch, wenn einige Verlage daran kaputt gingen. Irgendwann würden ja auch wieder neue nachkommen. Mich machen solche Äußerungen wütend. Erst einmal stehen hinter diesen Firmen Menschen, die ihr Herzblut für eine Sache geben und die völlig unverschuldet in einer schwierigen Situation stecken. Es gibt aber auch noch einen anderen Grund, warum mich solche Äußerungen traurig machen. Ich selbst arbeite nun seit mehr als dreißig Jahren in dieser Branche und habe gesehen, wie viele Jahrzehnte es gedauert hat, bis eine so bunte Spieleszene, wie wir sie heute kennen, entstanden ist. Oftmals waren die kleinen Verlage das Salz in der Suppe. Sie haben wesentlich dazu beigetragen, dass wir heute so viele Spiele für Vielspieler haben. Sie waren es, die oftmals ganz neue mutige Wege gegangen sind.

Wenn uns viele von ihnen verloren gingen, würde das Angebot längst nicht mehr so breit sein, wie es heute ist und es würde wieder Jahre dauern, bis wir wieder so wie vor Corona dastehen würden. Die großen Verlage betrifft dies alles nicht, denn diese haben im Frühjahr mehr ihrer Spiele denn je verkauft.

Aktualisierung am 28. Oktober 2020
Der Friedhelm Merz Verlag zieht eine positive Bilanz der Spiel.Digital. Die Plattform www.spiel.digital habe vom 22. bis zum 25. Oktober 148.000 individuelle Besucher verzeichnet. Zum Vergleich: 2019 besuchten laut Veranstalter 209.000 Menschen die Messe vor Ort. Die Spieleplattform Tabletopia, ein Partner der digitalen Messe, habe während der vier Tage einen Nutzeranstieg von hundert Prozent verzeichnet. Die offiziellen Messe-Livestreams in verschiedenen Sprachen seien über eine Million Mal aufgerufen worden. Die nächsten Internationalen Spieltage Spiel sollen vom 14. bis 17. Oktober 2021 in der Messe Essen stattfinden.

Aktualisierung am 8. Oktober 2022
Die spiel.digital ist Geschichte. 2021 fand die digitale Spiel parallel zur Messe vor Ort statt. Es stellte sich heraus, dass fast kein Verlag Kapazitäten hatte, gleichzeitig die Präsenz- und die Onlineveranstaltung zu stemmen. Hilko Drude schrieb auf seinem Blog Du bist dran: „Insgesamt habe ich sechseinhalb Verlage gefunden, die Online-Spielrunden anbieten. Vielleicht habe ich irgendwo versteckte Links übersehen, aber es ist wirklich sehr, sehr wenig los. So wie die Plattform in diesem Jahr genutzt wird, hat sie keinen Sinn.“ 2002, nach der Übernahme der Spiel durch die Spielwarenmesse wurde die Plattform abgeschaltet.

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