Bernhard Löhlein. Foto: Spiel des Jahres

Corona trifft Spiel des Jahres: „Jury ist arbeitsfähig“

Das Corona-Kontaktverbot hat auch Auswirkungen auf die Spiel-des-Jahres-Jury. Wieso ist sie arbeitsfähig, wenn man sich nicht mit Mitspielern treffen darf? Ist es seriös, momentan noch Rezensionen zu veröffentlichen? Und finden die Preisverleihungen wie geplant statt? Ein Interview mit Bernhard Löhlein, dem Sprecher der Jury.


Laut Jury-Homepage ist Februar bis Mai die intensivste Phase für Spieletests. Ist die Jury wegen der Kontaktsperren ausgerechnet in dieser Phase arbeitsunfähig?
Jede Phase ist für uns intensiv, nicht nur die zwischen Februar und Mai. Der einzige Unterschied ist, dass sich ab April die interne Diskussion auf einige Spiele zuspitzt. Die Jury ist in der Corona-Zeit nicht arbeitsunfähig. Im Gegenteil: Es wird sehr viel mehr mit den Menschen gespielt, mit denen man im eigenen Haushalt zusammenlebt, Spiele werden an andere Runden (Familien) weitergegeben und es wird per Videochat gespielt. Die Diskussionen in unserem Internet-Forum haben richtig an Fahrt gewonnen.

Auf der Homepage steht auch, dass es wichtig ist, mit verschiedenen Charakteren zu spielen, weil sich so unterschiedliche Seiten eines Spiels zeigen. Kommt das nicht zu kurz, wenn man nur im eigenen Haushalt spielt?
Natürlich ist es anders als sonst, und es ist bedauerlich, dass man auf manche Mitspielerinnen und Mitspieler derzeit verzichten muss. Aber: Die allermeisten Spiele wurden bereits vor der Corona-Krise intensiv mit verschiedenen Gruppen ausprobiert.

Was ist mit Kinderspielen?
Entgegen der üblichen Praxis können die im März erschienenen Kinderspiele nur sehr eingeschränkt oder gar nicht in dem Maße und der Sorgfalt gesichtet werden, die sonst üblich sind. Grund dafür ist die Schließung von Kitas und Schulen. Dadurch gibt es momentan auch keine Kita- und Schulgruppen, in denen Jurymitglieder die Neuerscheinungen spielen können. Diese Kinderspiele können also nicht ausreichend gesichtet werden. Wenn sie sich später als empfehlenswert erweisen sollten, werden sie für den Spielejahrgang 2021 berücksichtigt. Das gilt auch für das Spiel und Kennerspiel des Jahres. Beide sind von den Einschränkungen jedoch nicht so stark betroffen, mit Ausnahme einiger weniger Spiele, die erst Ende März erschienen sind.

Der ehemalige Jury-Vorsitzende Tom Felber schrieb in seiner letzten watson-Kolumne: „Um neue Spiele einigermaßen seriös zu testen, müssen sie so oft wie möglich und mit so vielen verschiedenen Leuten wie möglich gespielt werden. […] Jeden Abend acht neue Leute zum Spielen im Haus und ein Coronavirus, das 24 Stunden auf Karton und drei Tage auf Plastik überleben können soll: Ich könnte diesen Blog im Moment also gar nicht mehr seriös weiter betreiben, selbst wenn ich wollte.“ Die Jury-Mitglieder veröffentlichen nach wie vor Rezensionen. Ist das seriös?
Den Maßstab, wann man als Rezensent eine Spielekritik veröffentlichen kann, muss jeder Kritiker selbst bestimmen – das gilt nicht nur für Jury-Mitglieder. Toms eigener Maßstab ist zugegebenermaßen sehr hoch. Die Kriterien von uns Jury-Mitgliedern sind aber ebenfalls sehr anspruchsvoll. Wenn ein Jury-Mitglied eine Rezension veröffentlicht, kann man davon ausgehen, dass alle Facetten eines Spiels berücksichtigt wurden. Von daher: Ja, die Veröffentlichungen sind seriös.

Viele Menschen verwenden im Moment digitale Plattformen, um analoge Spiele zu spielen. Welche Lösungen nutzen Jury-Mitglieder?
Wir haben in einem Beitrag auf unserer Homepage einige Plattformen vorgestellt. Jury-Mitglieder gehen unterschiedlich damit um. Manche verwenden Tabletopia, Boardgamearena, Skype oder andere Videokonferenz-Lösungen, vor allem um Spiele mit verschiedenen Gruppen auszuprobieren. Andere sind zurückhaltender oder spielen nur analog. Der Vorteil von digitalen Plattformen ist die Vielzahl an Spielemöglichkeiten. Der Nachteil: Kein PC-Spiel schafft das, was ein Brettspiel vermag.

Nämlich?
Wo soll ich da anfangen? Nur ein Beispiel: Beim Brettspiel sitzt mir mein Mitspieler gegenüber. Ich sehe in seine Augen, sehe sein verschmitztes Lächeln. Ich muss erahnen, welchen Spielzug er plant. Mit ihm kann ich lachen, kann mich ärgern, Emotionen kommen also viel unmittelbarer rüber.

Haben Solospiele oder Spiele für zwei Personen 2020 besonders gute Chance, nominiert zu werden?
Diese Spiele haben exakt die gleichen Chancen wie sonst, von uns berücksichtigt zu werden.

Gibt es auch positive Effekte der aktuellen Situation auf die Jury-Arbeit?
Ich weigere mich, irgendetwas an der Corona-Pandemie positiv zu sehen. Es sterben Menschen, da gibt es nichts zu beschönigen. Es gibt natürlich Veränderungen bei unserer Arbeitsweise, da wir uns noch intensiver austauschen.

Apropos Austausch: Mitte Mai trifft sich die Jury zur Klausurtagung. Was, wenn ein persönliches Treffen nicht möglich ist?
Es gibt Planungen für diesen Fall. Wenn wir uns nicht persönlich treffen können, werden wir per Videokonferenz diskutieren.

Werden die Preisverleihungen in Hamburg und Berlin stattfinden?
Die Preisverleihungen finden zu den angekündigten Terminen statt. Auf welche Weise, werden wir im Mai diskutieren und dann die notwendigen Entscheidungen treffen. Wir werden uns selbstverständlich an die rechtlichen Hygiene- und Abstandsvorgaben halten.

Die BGG Con wurde bereits abgesagt. Die Gen Con und Spiel werden eventuell auch nicht stattfinden. Wie sehr schmerzt es die Jury, wenn sie sich auf diesen Veranstaltungen nicht präsentieren kann?
Bei der BGG Con werden wir die nominierten Spiele per Stream vorstellen. Immerhin. Aber natürlich: Jede abgesagte Veranstaltung schmerzt vor allem Autorinnen und Autoren, Verlage sowie Spielerinnen und Spieler. Aber Absagen sind auch für uns sehr bedauerlich. Umso mehr werden wir versuchen, Spielen generell und Spiel des Jahres speziell weiterhin in der Öffentlichkeit präsent zu halten. Da sind wir gerade dabei, Ideen zu sammeln.

Eine Aktion gibt es schon: Bei #gemeinsspielen erzählen Menschen von ihren Spieleerlebnissen und können Gutscheine für Fachhändler gewinnen. Warum hat die Jury die Aktion ins Leben gerufen? 
Die Aktion ist eine Reaktion von uns auf die Corona-Krise, um mit dazu beizutragen, diese Zeit gemeinsam zu meistern. Wir sind von der Resonanz und den Rückmeldungen begeistert. Einige haben wir unter www.spiel-des-jahres.de/wettbewerb-gemeinsamspielen-die-gewinner veröffentlicht. Da sind tatsächlich berührende Erfahrungen dabei. Wir wissen, dass die Spielepakete, die man gewinnen kann, nur einen Tropfen auf den heißen Stein sind. Es ist uns aber wichtig, dass die Pakete von einem örtlichen Spielegeschäft zusammengestellt werden, das unter der Schließung wegen Corona leidet. Eine bundesweite und flächendeckende Unterstützung des Handels durch Spiel des Jahres übersteigt unsere Möglichkeiten. Da hoffen wir auf die Rettungsschirme von Bund und Ländern sowie die Solidarität der Spielerinnen und Spieler.

Die Jury unterstützt 2021 das Spielen in der Gastronomie. Wird die geplante Fördersumme erhöht oder der Schwerpunkt geändert, um auch Fachhändler zu unterstützen?
Wir alle hoffen, dass die Pandemie bald unter Kontrolle gerät und die unter dem Shutdown massiv leidende Gastronomie in 2021 wieder zur Normalität zurückkehrt. Eine Änderung des Förderschwerpunkts ist nicht geplant. Über die Fördersumme entscheiden wir Anfang 2021.

Aktualisierung am 2. Mai 2021
Wir haben uns erneut mit Bernhard Löhlein über die Auswirkungen der Corona-Pandemie unterhalten. Im Interview mit kulturgutspiel.de sagt er: „Corona hat Leben und Spielen der Jury-Mitglieder verändert.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert