Analoge Spiele: Zwei Worte, viele Probleme

Unser Heft Null Ouvert trägt den Untertitel „Magazin für analoge Spielkultur“. Das ist problematisch, denn das Wort analog löscht aus, was wir an Spielen lieben. Wir sollten es nicht mehr verwenden weder in Blogs, Vlogs oder Podcasts und erst recht nicht im Untertitel einer Zeitschrift. 

Dieser Beitrag stammt aus „Null Ouvert – Magazin für analoge Spielkultur“. Mehr Informationen zu dem Heft findet ihr in diesem Beitrag.

Wie bezeichnen wir die Spiele, die wir lieben? Die Antwort auf diese Frage ist in den vergangenen Jahren immer problematischer geworden. Da Spiele heute oft für digitale Spiele (Games) stehen, verwenden immer mehr Menschen den Begriff analoge Spiele, um sich auf Brett-, Karten-, Würfel- und Gesellschaftsspiele zu beziehen. Durch den Fokus auf analoge Merkmale machen wir aber das Nicht-Digitale zum grundlegenden und definierenden Attribut. Das ist nicht nur ungenau, sondern löscht auch vieles aus, was wir an Gesellschaftsspielen mögen.

Freude über Schönheit der Komponenten

Was das genau ist, zeigen meine wissenschaftlichen Forschungen. Es gibt vier Faktoren, die dabei immer wieder auftauchen. Gesellschaftsspiele sind sozial, sie bieten intellektuelle Herausforderungen, sind vielfältig und materiell. Man kann sie anfassen, Komponenten bewegen, mit ihnen spielen. Das ist es, was Gesellschaftsspiele ausmacht. Es ist nicht die Abwesenheit von digitaler Technologie, die wir lieben und feiern. Es ist das Vorhandensein der anderen Elemente. Der Begriff analoge Spiele verschleiert den Facettenreichtum unserer Spielerfahrungen und stellt als Definitionsgrundlage stattdessen den Einsatz von Technologien in den Vordergrund.

Betrachten wir Materialität, sehen wir, was Gesellschaftsspiele ausmacht. Es ist wichtig, dass wir sie sehen und anfassen können. Da ist das geschäftige, farbenfrohe Spektakel des Spiels: das Rollen der Würfel, Ziehen der Plättchen und Mischen der Karten. Da sind Regale, die wir liebevoll auswählen und bauen, um unsere Spielesammlungen unterzubringen und auszustellen. Da gibt es wunderschöne, aufgemotzte Komponenten, die wir herstellen oder kaufen. Wir tun das nicht, weil die Komponenten wie ein Hochleistungs-Tennisschläger die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass wir gewinnen. Wir tun es wegen der Schönheit der Komponenten und der Freude darüber.

Gesellschaftsspiele sind Artefakte

Gesellschaftsspiele sind mehr als ein Regelwerk. Sie sind Artefakte, die es wertzuschätzen gilt. Eine Eigenschaft von Artefakten ist, dass sie Bestand haben. Die Geschichte der Gesellschaftsspiele reicht über 5.000 Jahre zurück. Senet wurde im Grab von Tutanchamun gefunden, der um 1325 vor Christus im Alter von 18 Jahren starb. Es ist lustig, sich vorzustellen, dass Tut‘s Berater den Warnungen vor zu langer Bildschirmzeit Glauben schenkten und die Wahl des jungen Pharaos für ein analoges Spiel feierten. Die Wahrheit ist aber: Die frühesten digitalen Spiele (Games) entstanden über 3.000 Jahren nach Tut‘s Tod. Es macht keinen Sinn, antike Spiele wie Senet über eine Technologie zu definieren, die damals nicht existierte, nur um eine problematische Kategorisierung aufrechtzuerhalten.

Wie groß das Problem ist, wird noch deutlicher, wenn wir aufschlüsseln, wie viele Spiele als analog gelten könnten. Sport ist eindeutig nicht digital. Wir könnten also vom analogen Sport sprechen, wenn wir physischen Sport mit eSports oder Sportgames vergleichen. Doch das fühlt sich umständlich und unbeholfen an. Physischer Sport oder warum nicht einfach Sport ist wesentlich eindeutiger. Spiele für den Garten oder Strand wie zum Beispiel Kubb sind als analoge Spiele leicht erkennbar, ebenso wie Live- Rollenspiele (Live Action Role Playing, LARP). Aber die analoge Kategorie wird immer größer und vielfältiger. Wenn man dann zum Beispiel noch Eisbrecher-Spiele bei Firmenveranstaltungen hinzufügt, ist es schwierig, die Verbindungen zwischen diesen unterschiedlichen Formen des nicht-digitalen Spiels zu erkennen.

Weder gänzlich materiell noch gänzlich digital

Ich interessiere mich als Wissenschaftlerin nicht nur dafür, wofür Dinge entworfen wurden, sondern auch, wie sie genutzt werden. Wenn wir Spiele als analog definieren, ignorieren wir große Bereiche der Spielerfahrung. Während der Corona-Pandemie waren viele Erfahrungen notwendigerweise digital. Wir haben Videokonferenzsysteme verwendet, um gemeinsam zu spielen. Wir haben Internetseiten wie Board Game Arena, Yucata oder Tabletop Simulator genutzt, um neue Spiele zu entdecken, nicht zu erlernen, sondern zu lernen und zu spielen. Gesellschaftsspiele werden zunehmend online entworfen, entwickelt und getestet. Manchmal sind sie sogar online spielbar, bevor sie hergestellt werden. Was sagt das über das Material aus? Schon vor Corona spielten wir Gesellschaftsspiele als Apps und auf Computern, Tablets sowie Smartphones. Sollten wir diese Spiele digitale analoge Spiele nennen?

Meine Forschungen haben sich in den vergangenen Monaten auf Spiele konzentriert, die materiell hybrid sind. Sie kombinieren sowohl digitale als auch physische Komponenten, sodass beide zum Spielen notwendig sind. Beispiele hierfür sind Detective: Ein Krimi-Brettspiel, Unlock! und The Search for Planet X. Diese Spiele sind weder gänzlich materiell noch gänzlich digital. Sie sind beides gleichzeitig. Sie sind nicht analog, aber auch nicht vollständig digital. Das verdeutlicht erneut die Unzulänglichkeit dieses reduktiven Beschreibungsversuchs.

Selbst wenn ein Spiel keine digitalen Komponenten benötigt, integrieren wir manchmal digitale Hilfsmittel, zum Beispiel digitale Schachuhren, elektronische Scrabble-Wörterbücher, Taschenrechner für Funkenschlag oder Tabellenkalkulationen für 18xx-Spiele. An immer mehr Spieltischen findet man auch Hilfsapps wie Chwazi Finger Chooser zur Auswahl der Startspielerin oder des Startspielers sowie Boardgame Stats zur Dokumentation von Partien. Es handelt sich dabei eher um digitale Hilfsmittel für Spiele als um einen notwendigen Teil davon. Aber ist ein Spielerlebnis, das sie einbezieht, wirklich analog?

Tabletop Games als Alternative

Das Wort analog tilgt die Geschichte und Natur der Spiele und ist gleichzeitig zu allgemein und seltsam spezifisch. Es erfasst nicht sämtliche Nuancen, wie wir heute spielen. Es erfasst auch nicht neue Spielumgebungen und hybride Spielerfahrungen. Auch wenn analog problematisch ist, habe ich keine gute Alternative dafür. In der Vergangenheit habe ich scherzhaft vorgeschlagen, dass vielleicht Schachtelspiele (Box Games) funktionieren würde um die Idee einzufangen, dass diese alle Materialien enthalten, die zum Spielen benötigt werden. In meiner Arbeit verwende ich den Begriff Brettspiele (Board Games) im Allgemeinen so, wie es BoardGameGeek auch tut um Brett-, Karten- und Würfelspiele einzuschließen, aber vielleicht keine traditionellen Gesellschaftsspiele (Parlour Games) und definitiv keine Rollenspiele (Roleplaying Games). Der englische Begriff Social Games klingt nicht ganz richtig, obwohl Gesellschaftsspiele und Jeux de societé auf Deutsch und Französisch gut funktionieren.

Für mich ist der sinnvollste Begriff wahrscheinlich Tabletop-Spiele (Tabletop Games). Dazu gehören Rollenspiele wie Dungeons & Dragons, Miniaturenspiele und Wargames. Der Begriff konzentriert sich auf die Art und Weise, wie wir spielen an einem physischen oder imaginären Tisch, einem Raum, den wir mit unseren Mitspielerinnen und Mitspielern teilen und nicht auf die Art und Weise, wie wir es nicht tun. Tabletop- Spiele berücksichtigt verschiedene Technologien im Spiel, anstatt sich über Details und Grade zu streiten.