Puerto Rico 1897: Kulturell korrekte Neuauflage des Brettspielklassikers?

Ravensburger hat das Kinderbuch Der junge Häuptling Winnetou zurückgezogen, weil es Gefühle anderer verletzt habe. Bei Puerto Rico ging der Verlag einen anderen Weg. Er überabeitete das Brettspiel mit Kulturberaterinnen und -beratern. Jetzt spielt es nicht mehr in der Kolonialzeit, sondern 1897. Wir haben uns das Spiel angeschaut und neue Gebäude sowie alte Bekannte entdeckt: Die braunen Arbeiter sind zurück.


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Warum gibt es eine Neuauflage von Puerto Rico?

Es gibt seit Jahren Diskussionen über Puerto Rico und die Darstellung von Kolonialismus und Sklaven im Spiel. „Darauf haben wir in der aktuellen Auflage [aus dem Jahr 2020] reagiert“, sagte alea-Redakteur André Maack 2021 im Interview mit kulturgutspiel.de. „Unter anderem gibt es keine braunen Kolonisten mehr, sondern violette Arbeiter. Wir haben festgestellt, dass das aber nicht reicht. Mit der Neuauflage wollen wir es noch besser machen und eine unproblematische Version des Spiels veröffentlichen.“ Puerto Rico ist eine starke Marke. Ravensburger verlagerte die „unproblematische Version“ deshalb nicht in den Weltraum, in ein anderes Land oder einen neuen Kulturkreis, sondern ins Jahr 1897.

Wieso spielt Puerto Rico 1897?

Puerto Rico 1897. Foto: Ravensburger
Puerto Rico 1897. Foto: Ravensburger

Am 25. November 1897 bewilligte die spanischen Kolonialregierung die Carta Autónomica. Sie gewährte Puerto Rico politische und administrative Autonomie. Die war jedoch nur von kurzer Dauer. Die Vereinigten Staaten von Amerika fielen 1898 beim Ausbruch des Spanisch-Amerikanischen Krieges in Puerto Rico ein. An der Stellung der Puerto-Ricaner hat sich seitdem kaum etwas geändert. Sie sind bis heute Amerikaner zweiter Klasse. Auch der politische Status Puerto Ricos ist nach wie vor umstritten. In der Anleitung der Neuauflage heißt es dazu:

„Ohne die Vor- und Nachteile der amerikanischen Besatzung leugnen oder verschleiern zu wollen, hebt Puerto Rico 1897 dennoch eine eher unbekannte Geschichte hervor, die der puerto-ricanischen Bauern und die aktive Rolle, die sie in der modernen Entwicklung der Insel spielten.“

Was hat sich außer dem Jahr noch geändert, was nicht?

Regeln und Mechanikern von Puerto Rico 1897 sind identisch zu den Vorgängern. Die Schachtel trägt die Nummer 4. Die Neuauflage enthält alle Erweiterungen, Die neuen Gebäude, Die Bürger (ehemals Die Adligen), Schmuggler (ehemals Freibeuter) und Festival. Wir sind jedoch keine Kapitalisten oder Händler mehr, sondern ein autonomer und selbstbestimmter puerto-ricanischer Landwirt beziehungsweise eine puerto-ricanische Landwirtin im Jahr 1897.

Wer hat entschieden, welche Dinge geändert wurden?

Puerto Rico 1897 wurde zusammen mit puerto-ricanischen Expertinnen und Experten für Kultur und Geschichte konzipiert. Jason Perez war kultureller Berater, Dr. Teresita Levy war historische Beraterin.

Perez betreibt den YouTube-Kanals Shelf Stories. Er sagt: „Mir ging es ähnlich wie anderen Puerto-Ricanern. Ich habe mich mit dem Thema Sklaverei im Spiel nicht wohlgefühlt. Zu der 2020er-Version habe ich ein Video veröffentlicht mit der Anmerkung, dass der Schauplatz des Spiels auf einer Geschichte beruht, die es nie gegeben hat. André Maack von alea hat mich aufgrund des Videos kontaktiert und mir ein persönliches Gespräch angeboten. Ich sagte ihm, dass ich nicht nur darüber reden, sondern wirklich etwas verändern möchte. So kam der Stein ins Rollen. Eng ausgetauscht habe ich mich auch mit Dr. Teresita Levy, Professorin für Lateinamerika- und Latino-Studien am Lehman College in New York City.“

Welche Waren und Gebäude wurden überarbeitet?

Die Gebäude in Puerto Rico 1897.

„Unser Team überarbeitete alle Aspekte des Spiels bis ins kleinste Detail – von der Handlung bis hin zur historischen Genauigkeit und Bildsprache“, sagt Filip Francke, Global Head of Games bei Ravensburger. Das Ergebnis: Statt Indigo, produzieren wir Früchte. Die 10er-Gebäude zeigen jetzt Wahrzeichen, die schon 1897 existierten; zum Beispiel den Gouverneurspalast „La Fortaleza“ in San Juan oder den Stadtplatz in San Sebastián. Dublonen heißen nun Münzen. Der Juwelier ist inzwischen ein Schneider, das Jagdschloss die Parkbehörde, das Hospiz ein Krankenhaus. Und so weiter und so fort.

Waren und Gebäude wurden laut Ravensburger so überarbeitet, dass sie historisch und kulturell in die neue Zeit passen. In der Spielanleitung werden auf drei Seiten Hintergründe dazu und zur Geschichte des Landes erklärt. Diese sind manchmal sehr konkret, oft aber auch ziemlich allgemein. Wer genau wissen möchte, warum dieses oder jenes Gebäude ausgetauscht wurde, wird eher nicht fünfig. Das gilt auch für Indigo. Es wird mit keinem Wort erwähnt, warum es in der Neuauflage nicht mehr auftaucht.

Wieso gibt es wieder braune Arbeiter?

Die Arbeiter in Puerto Rico 1897.
Die Arbeiter in Puerto Rico 1897.

André Maack sagte dazu im Interview vor einem Jahr: „Die violetten Arbeiter in der aktuellen Auflage sind cultural ignorant. Puerto-Ricaner sind nicht violett, sondern haben unterschiedliche Hauttöne, von sehr hellbraun bis ganz dunkelbraun. Die Empfehlung [der kulturellen Beraterinnen und Berater] an uns lautete deshalb: Verwendet bei den Scheiben unterschiedliche Brauntöne, um die Realität möglichst authentisch abzubilden.“ Ravensburger ist der Empfehlung teilweise gefolgt. Braun ja, unterschiedliche Brauntöne nein. „Scheiben in unterschiedlichen Farben könnten unterschiedliche Wertigkeiten oder Funktionen suggerieren und Spielerinnen und Spieler irritieren“, sagt Maack. Dafür hat der puerto-ricanischer Künstler Gabriel Ramos zehn Charaktere für die doppelseitigen Tafeln der Spielerinnen und Spieler gezeichnet – Kinder, Frauen, Männer, Senioren, mit unterschiedlichen Hautfarben. Die Portraits sollen die Vielfalt der puerto-ricanischen Bevölkerung zeigen. Die braunen Scheiben sollen als Erweiterungen der Portraits verstanden werden.

Übrigens: Im Original hießen die braunen Scheiben Kolonisten und kamen mit einem Schif, später rekrutierten wir violette Arbeiter in einer Anwerbestelle. Heute bekommen wir die braunen Arbeiter aus dem Arbeitsregister.

Welche neuen Rollen gibt es?

Die Rollen in Puerto Rico 1897.
Die Rollen in Puerto Rico 1897.

Gouverneur, Kapitän, Händler und Baumeister sind unverändert. Der Goldsucher ist nun ein Abenteurer, der Siedler ein Pflanzer, der Vorarbeiter ein Anwerber, der Aufseher ein Produzent und der Freibeuter ein Schmuggler. Weibliche Rollenbezeichnungen gibt es nicht.

Was muss ich noch über die Neuauflage wissen?

Das Spiel hat alle Stärken und Schwächen der vorherigen Auflage. Es ist nach wie vor ein tolles Spiel. Es gibt nach wie vor kein Inlay. Die Gebäude sind doppelseitig bedruckt, aber auf der Seite mit den Illustrationen fehlt eine Beschreibung der Funktion des Gebäudes. Nach wie vor ist die Anleitung nicht gegendert. Ravensburger verwendet das generische Maskulin. Auch die Rollen im Spiel sind alle männlich. Auf unseren Tableaus sind dagegen Frauen abgebildet. In der Anleitung heißt es dazu: „Frauen arbeiteten bei den verschiedenen Aufgaben eines Bauernhofs oft auf die gleiche Weise wie Männer. Einige Frauen besaßen sogar selbst Höfe.“

3 Kommentare

  1. „Gouverneur, Kapitän, Händler und Baumeister sind unverändert. Der Goldsucher ist nun ein Abenteurer, der Siedler ein Pflanzer, der Vorarbeiter ein Anwerber, der Aufseher ein Produzent und der Freibeuter ein Schmuggler. Weibliche Rollenbezeichnungen gibt es nicht.“
    -> weil das alles Funktionsbezeichnungen von Individuen sind. Das Geschlecht ist dabei egal. Es könnte sich auch um einen ageschlechtlichen, sich durch Zellteilung vermehrenden Außerirdischen handeln. Immer bleibt die Bezeichnung Gouverneur, Kapitän etc. korrekt. Stark oder 🙂

  2. Ich hoffe dass Ravensburger auch keine Sternchen-Doppelpunktsprache einführt. Das ist nicht nur unästhetisch, sondern erweckt den Eindruck dass dann ebenso wiederum einseitig ein einzelnes Geschlecht angesprochen wäre. Ein Sternchen hatte auch immer die Funktion etwas an anderer Stelle detaillierter zu beschreiben und diese Funktion sollte beibehalten werden. Und ein Doppunkt hat normalerweise auch eine andere Funktion als Geschlechter zu bestimmen.

    Ich finde Bezeichnungen wie “ Spielende“ gut wenn man die sogenannte männliche Form vermeiden möchte (für mich waren allerdings „der“ oder „die“ Spieler automatisch immer beide Geschlechter). Wenn man die Gendersprache zukünftig machen will, dann bitte nur ganz sanft. Die Mehrheit der Menschen (vielleicht sollte ich noch „und die Menschinnen“ dazuschreiben) hält von der Gendersprache nichts.

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