Antirassistischer Tischkicker, Firma Janod, Frankreich. Quelle: Museen der Stadt Nürnberg, Spielzeugmuseum. Foto: Berny Meyer

Wie sollten Museen mit rassistischem Spielzeug umgehen?

Woran erkennt man Rassismus bei Spielsachen? Und wie sollten Museen mit rassistischem Spielzeug umgehen? Das Spielzeugmuseum Nürnberg hat sich mit diesen Fragen beschäftigt – und sie beantwortet.


Sonderausstellung im Spielzeugmuseum
Vom 15. Juli 2021 bis 9. Januar 2022 zeigt das Spielzeugmuseum die Sonderausstellung „Spielzeug und Rassismus. Perspektiven, die unter die Haut gehen“. Mit wissenschaftlichem Fokus beleuchtet die Sonderausstellung rassistisches und antirassistisches Spielzeug.

Aktualisierung am 9. Januar 2022: Die Sonderausstellung wurde bis 11. September 2022 verlängert.

Adwoa Mtongo ist wütend. Die Amerikanerin besucht im Sommer 2018 das Spielzeugmuseum Nürnberg. Dort macht sie eine irrtierende Entdeckung: eine schwarze Blechfigur der Firma E.P Lehmann. Sie tanzt, wenn man die Feder aufzieht. Das Spielzeug trägt den Namen „Alabama Coon Jigger“. Der Name reproduziert ein in den USA geläufiges rassistisches Schimpfwort. Motongo wendet sich empört an die Museumsleiterin Karin Falkenberg, die direkt reagiert. In einem ersten Schritt nimmt sie das rassistische Objekt aus der Dauerausstellung. Im zweiten Schritt prüft sie zusammen mit Experinnen und Experten die gesamte Spielzeugsammlung des Hauses hinsichtlich Rassismen und menschenrechtlicher Problematiken. Das Ergebnis: Neben mehreren Objekten im Ausstellungsbereich wurden im virtuellen Depot über siebzig Spielzeuge ausfindig gemacht, die zum Teil eindeutig rassistisch, zum Teil diesbezüglich problematisch sind.

Im Museumsblog erläutert Falkenberg die Hintergründe zur Blechfigur des Anstoßes. Sie schreibt: „Das Wort Coon ist in Deutschland fast unbekannt, in den USA ist es Schimpfwort. Der Begriff Jigger referiert auf Parasiten. Die Bezeichnung war tatsächlich eindeutig rassistisch. Und das Objekt selbst? Der tanzende Schwarze? In den USA waren im 18. und 19. Jahrhundert – besonders nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs – sogenannte Minstrel Theater-Shows beliebt. In diesen Shows malten sich weiße Darsteller das Gesicht dunkel an und spielten Schwarze, was „Blackfacing“ genannt wurde und wird. Auf diese Weise karikierten sie das Leben der Afroamerikaner. Zur Belustigung des meist weißen Publikums imitierten und verhöhnten sie die Sprache der Schwarzen und versuchten, deren Tanzstile in übertriebener Weise nachzuahmen. Schwarze Menschen wurden herabwürdigend als naive, für ihre weißen Besitzer arglos singende und tanzende Sklaven dargestellt: die ,Jim Crow‘-Verunglimpfungen, benannt in Referenz auf den Künstlernamen eines der bekanntesten Minstrel-Darstellers Thomas D. Rice (1808 – 1860). Nicht nur die Bezeichnung ,Coon Jigger‘ ist verletzend und abwertend, sondern das Spielzeug von Ernst-Paul Lehmann bedient und reproduziert gleichzeitig ein Stereotyp.“

Alabama Coon Jigger, Firma E. P. Lehmann, 1912. Foto: Museen der Stadt Nürnberg, Spielzeugmuseum
Der „Alabama Coon Jigger“ reproduziert ein in den USA geläufiges rassistisches Schimpfwort., Firma E. P. Lehmann, 1912. Foto: Museen der Stadt Nürnberg, Spielzeugmuseum

Museen müssen verantwortungsbewusst mit Geschichte umgehen

Spielzeuge prägen Kinder. Durch sie lernen sie und begreifen die Welt. Doch oft transportieren Spielzeuge auch Klischees und Stereotype – ganz besonders wenn es um Minderheiten wie schwarze Menschen geht. Spielzeug, das schwarze Menschen zeigt, ist per se kein rassistisches Problem. Im Gegenteil. Aber es gibt auch Spielzeug, das schwarze Menschen entstellt, herabwürdigt und lächerlich macht. Oft – nicht immer – stamme dieses Spielzeug aus der Kolonialzeit und referiere auf Missbrauch von Menschen durch Sklaverei. Solche Objekte unkommentiert auszustellen, sei rassistisch.

„Daran sieht man, wie wichtig es ist, sich mit Spielzeug intensiv auseinanderzusetzen und zu hinterfragen, was machen wir denn da eigentlich gerade, wie prägen wir unsere Kinder? Was vermitteln wir denen? Was trauen wir ihnen zu, was können sie selber machen, was können sie auch noch nicht selber entscheiden? Mit welchen Ideal-Vorstellungen und welchen Ideal-Bildern konfrontieren wir sie oder geben sie ihnen völlig unreflektiert an die Hand und was bewirkt das dann“, sagt Falkenberg im Deutschlandfunk.

Zugleich gelte, dass Museen in hohem Maße als vertrauenswürdige Orte für gesicherte historische Informationen gewertet werden – was im Umkehrschluss bedeute: Museen müssten hochsensibel und verantwortungsbewusst mit Geschichte umgehen, denn wie wir Geschichte interpretierten, wirke sich auf unsere Gegenwart aus – oder mit einer These der Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann ausgedrückt: „Erinnern ist Arbeiten an der Zukunft.“

Rassismen weder tabuisieren, noch reproduzieren

Aus der Kritik von Adwoa Mtongo entstand im Spielzeugmuseum folgende Erkenntnis: Schwarze Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund haben andere Wahrnehmungen von gesellschaftlichen Problematiken und insbesondere von Rassismus als weiße Menschen, die rassistische Diskriminierung nicht aus ihrem alltäglichen Leben kennen. Diese Erkenntnis führte zur Folgeproblematik: Ein von öffentlicher Hand finanziertes Museum wie das Spielzeugmuseum ist zur Wahrung der Menschenrechte verpflichtet. Zugleich ist das Spielzeugmuseum eine wissenschaftliche Einrichtung, in der historische Objekte gezeigt und erklärt werden – nicht aber tabuisiert. Was tun?

Die klassische Ausstellungsform des Zeigens und Beschreibens funktioniere bei rassistischen Objekten nicht. Rassismen würden dadurch reproduziert und weiter verfestigt werden. Die rassistischen Spielzeuge sollten aber weder tabuisiert noch sollte ihre Wirkung reproduziert werden. Rassistische Objekte, die immer wieder gezeigt würden, blieben umso stärker in den Köpfen und Seelen der Menschen hängen. Zudem wirkten in Museen die Objekte selbst immer am stärksten, am zweitstärksten die Bilder und erst an dritter Stelle stehe die Wirkung der Texte. Zeige man also ein rassistisches Objekt, dann könne der wissenschaftliche Text noch so präzise sein – das Objekt wirke stärker. Für die geplante Ausstellung brauchte es also antirassistische Wege, um die Problematik von rassistischen Objekten sichtbar zu machen. Eine Quadratur des Kreises?

Empowerment: Kunst hilft Wissenschaft

Wo Wissenschaft an ihre Erklärungsgrenzen gerät, half in diesem Fall Kunst weiter. Mascha Eckert entwickelte als Kuratorin der Ausstellung die Idee, durch Illustrationen das Rassistische im Spielzeug menschenwürdig zu gestalten und dadurch ausstellbar zu machen. Die rassistischen Objekte sollten einen Perspektivwechsel erfahren und diesen für Besucherinnen und Besucher erlebbar machen.

Das Spielzeugmuseum engagierte zwei Illustratorinnen. Sie erzählen die Geschichten von acht Objekten spielerisch neu. Der „Alabama Coon Jigger“ ergreift in der Ausstellung selbst seinen Aufziehschlüssel und wirft ihn fort, um nicht länger unfreiwillig tanzen zu müssen. Der Schwarze Peter aus dem gleichnamigen Kartenspiel bringt sein Kartenhaus mit einem gezielten Tritt entschlossen zum Einsturz. Eine schwarze Puppe im Leoparden-Lendenschurz bekommt schicke Kleidung aus Papier.

„Die Objekte sind nicht nur wissenschaftlich kontextualisiert und erzählen ihre Geschichten mit einem Perspektivwechsel, sondern dieser Perspektivwechsel ist – passend zum Museum – spielerischer
Natur. Kein erhobener Zeigefinger ermahnt das Publikum, stattdessen ermöglicht ein spielerisch-positiver Umgang das eigene Entdecken und Erkennen des jeweiligen Problems eines rassistischen Objekts“, heißt es in einer Mitteilung des Spielzeugmuseums. Empowerment bezeichnet laut Bundeszentrale für politische Bildung Prozesse, in denen Menschen ein Stück mehr Macht für sich gewinnen – Macht verstanden als Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen. Es gehe also auch darum, dass sich Minderheiten bewusst dieselben Rechte und Achtungsgrade erarbeiteten, die für Mehrheiten völlig selbstverständlich seien. Jedes rassistische Spielzeug in der Ausstellung habe laut Spielzeugmuseum Empowerment erfahren, sei wissenschaftlich analysiert worden, kontextualisiert und künstlerisch-spielerisch ausstellbar gemacht.

Antirassistisches Spielzeug vermittelt wertschätzende Bilder

Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf der Darstellung schwarzer Menschen im Spielzeug, weil diese in der Sammlung des Spielzeugmuseums überproportional häufig vertreten seien. Sexismus, Ableismus – das ist die Beurteilung von Menschen aufgrund von Fähigkeiten und eine Diskriminierung von Menschen mit körperlichen oder seelischen Einschränkungen – oder Rassismus gegenüber nicht weiß gelesenen Menschen seien weitere Forschungsfelder, die in der Ausstellung jedoch nicht angesprochen werden.

Interessant sei in diesem Kontext, dass das Thema Rassismus gegenüber schwarzen Menschen mitunter rasch Themen wie Sexismus heraufrufe. Als „What about-ism“ bezeichneten die Rassismusforschung dieses Phänomen
nach dem Motto: „Wenn man sich mit Rassismus gegenüber Schwarzen beschäftigt, müsse man sich doch auch mit Rassismus gegenüber Menschen aus Asien oder dem Nahen Osten befassen.“ Das sei im Prinzip
richtig. Doch es ändere den Fokus auf Rassismus gegenüber schwarzen Menschen und den Schwerpunkt der Ausstellung im Spielzeugmuseum nicht.

Bei den Vorbereitungen für die Ausstellung wurde den Macherinnen und Machern klar: Eine Ausstellung, die mit dem Thema Rassismus beginnt und mit ihm endet, mache einen angestrebten Perspektivwechsel schwer. Deshalb zeigt die Präsentation auch antirassistisches Spielzeug, das in den vergangenen Jahren verstärkt auf den Spielzeugmarkt gekommen ist. Diese antirassistischen Spielsachen wurden entworfen und hergestellt, um Rassismus durch Spielzeug entgegenzuwirken. Sie vermittelten wertschätzende und realistische Bilder von schwarzen Menschen. Schwarze Kinder fühlten sich mit diesen Spielzeugen verbunden und in ihrer Identität bestätigt. Weiße
Kinder lernten, dass Menschen unterschiedlich aussehen und erlebten Vielfalt positiv. Viele dieser Spielzeuge würden durch die Initiative Schwarzer Deutscher auf den Weg gebracht. Die Ausstellung ende gezielt
mit diesen positiven Gegenwartsbeispielen von engagierten Spielwarenfirmen, deren Unternehmerinnen und Unternehmer oft afrikanische Wurzeln haben.

Antirassistischer Bagger, Firma Lanka Kade, Großbritannien. Foto: Museen der Stadt Nürnberg, Spielzeugmuseum, Berny Meyer.
Antirassistischer Bagger, Firma Lanka Kade, Großbritannien. Foto: Museen der Stadt Nürnberg, Spielzeugmuseum, Berny Meyer.

Aktualisierung am 21. Dezember 2023: Karin Falkenberg leitet das Spielzeugmuseum in Nürnberg. Sie hat in einem TedX-Talk über den Rassismus gesprochen, der sich oft unbemerkt in Spielsachen versteckt.

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