15. September 2024

Puerto Rico 1897: Brettspielklassiker ohne Kolonialismus und Sklaven

Im Herbst 2022 soll eine Neuauflage von Puerto Rico erscheinen. Der Verlag reagiert damit auf Diskussionen über die Darstellung von Kolonialismus und Sklaven im Spiel. Wir haben uns mit alea-Redakteur André Maack unterhalten – über historisch korrekte Brettspiele, unbeabsichtigte Fehler und die wahrscheinliche Rückkehr der braunen Scheiben.


Puerto Rico
Puerto Rico ist laut Wikipedia das größte und einwohnerreichste Außengebiet der Vereinigten Staaten von Amerika. Der Freistaat liegt im Nordosten der Karibik. Als Kolumbus dort 1493 ankam, lebten schätzungsweise 30.000 bis 60.000 Taíno auf der Insel. Die Spanier löschten sie aus. Während der Kolonisation wurden Sklaven nach Puerto Rico gebracht, vor allem aus Afrika. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war vom Kampf Puerto Ricos um Autonomie geprägt. Am 25. November 1897 bewilligte Spanien die Carta Autónomica. Sie gewährte der Insel politische und administrative Autonomie. Die war jedoch nur von kurzer Dauer. Die Vereinigten Staaten von Amerika fielen 1898 beim Ausbruch des Spanisch-Amerikanischen Krieges in Puerto Rico ein. An der Stellung der Puerto-Ricaner hat sich seitdem kaum etwas geändert. Sie sind bis heute Amerikaner zweiter Klasse. Auch der politische Status Puerto Ricos ist nach wie vor umstritten.

Das Brettspiel Puerto Rico wurde 2002 veröffentlicht und regelmäßig überarbeitet, zuletzt vor einem Jahr. Jetzt soll schon wieder eine neue Version erscheinen. Wieso?
Es gibt seit Jahren Diskussionen über Puerto Rico und die Darstellung von Kolonialismus und Sklaven im Spiel. Darauf haben wir in der aktuellen Auflage reagiert. Unter anderem gibt es keine braunen Kolonisten mehr, sondern violette Arbeiter. Wir haben festgestellt, dass das aber nicht reicht. Mit der Neuauflage wollen wir es noch besser machen und eine unproblematische Version des Spiels veröffentlichen.

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Was bedeutet das konkret?
Die Neuauflage soll die beliebten Mechanismen von Puerto Rico beibehalten, aber möglichst politisch korrekt sein. Sie trägt den Untertitel 1897. In diesem Jahr gewährte Spanien politische und administrative Autonomie. Wir befinden uns also nicht mehr im 15. oder 16. Jahrhundert, sondern in der Postkolonialzeit.

Die Autonomie war nur von kurzer Dauer: Die Vereinigten Staaten überfielen Puerto Rico 1898, bis heute ist der Status umstritten. Wieso habt ihr euch trotzdem entschieden, dass Spiel weiterhin in Puerto Rico anzusiedeln?
Wir haben verschiedene Varianten geprüft, von der kompletten Einstellung des Spiels bis zur Verlegung in eine ganz andere Umgebung. Puerto Rico existiert seit mehr als zwanzig Jahren. Es ist eine starke Marke. Deshalb wollen wir das Spiel weiterhin veröffentlichen und es nicht in den Weltraum, in ein anderes Land oder einen neuen Kulturkreis verlagern. Gleichzeitig war es uns wichtig, das Spiel in kulturell angemessener Weise umzusetzen beziehungsweise zu überarbeiten.

Was heißt das?
Ein Beispiel zur Verdeutlichung: In den USA gab es das Videospiel  Sumo Panda. Der Ringkampf Sumo kommt aus Japan, Pandas kommen aus China. Es ist cultural ignorant, diese zwei Kulturen in einem Spiel zu vermischen. Es geht also um die Vermeidung von Ignoranz und Respektlosigkeit gegenüber Kulturen.

Wie überarbeitet man ein Spiel wie Puerto Rico in kulturell angemessener Weise?
Das schafft man nicht alleine. Erst recht nicht, wenn man eine europäische, weiße Person ist und nicht aus dem betroffenen Kulturkreis stammt. Diese Personen aus anderen Kulturkreisen machen bei der Umsetzung von Spielen mit nicht heimischem kulturellen Hintergrund immer Fehler, nicht absichtlich, sondern unbewusst. Aus diesem Grund haben wir uns professionelle Hilfe gesucht. Wir arbeiten unter anderem mit einem Kulturberater zusammen. Der neue Illustrator kommt aus Puerto Rico. Außerdem berät uns eine Professorin für puertoricanische Geschichte. Wir hören also auf mehrere Stimmen und hoffen so, eine möglichst unproblematische Version des Spiels zu veröffentlichen.

Was haben die Beraterinnen und Berater kritisiert?
Interessanterweise kritisierten sie zum Beispiel, dass wir in der aktuellen Ausgabe lila Scheiben verwenden. Sie wünschen sich, dass wir wieder auf braune Scheiben setzen.

Weshalb?
Es wurde immer wieder gefordert, dass wir die braunen Kolonisten ersetzen. Das haben wir in der aktuellen Auflage gemacht. Umso erstaunter warten wir, als die Beraterinnen und Berater das Thema ansprachen. Die violetten Arbeiter in der aktuellen Auflage sind cultural ignorant. Puerto-Ricaner sind nicht violett, sondern haben unterschiedliche Hauttöne, von sehr hellbraun bis ganz dunkelbraun. Die Empfehlung an uns lautete deshalb: Verwendet bei den Scheiben unterschiedliche Brauntöne, um die Realität möglichst authentisch abzubilden.

Foto: alea
Die aktuelle Ausgabe von Puerto Rico mit violetten Arbeitern. Foto: alea

Folgt ihr der Empfehlung?
Wir bewegen uns bei der Neugestaltung immer in einem Spannungsfeld, denn ein Spiel kann unmöglich die komplette Realität abbilden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Neuauflage wieder braune Scheiben enthält. Ob diese unterschiedliche Farbtöne besitzen, wird aktuell noch diskutiert. Scheiben in unterschiedlichen Farben könnten unterschiedliche Wertigkeiten oder Funktionen suggerieren und Spielerinnen und Spieler irritieren. Die Beraterinnen und Berater kritisierten auch, dass Arbeiter kostenlos eingesetzt werden. Authentischer wäre es, wenn sie bezahlt würden. Das geht aber nicht, denn das würde den Mechanismus des Spiels komplett verändern. Solche Dinge werden wir in der Anleitung erläutern.

Was ändert ihr noch?
Es gibt kleine Fehler, die wir korrigieren. In der aktuellen Auflage gibt es zum Beispiel eine Statue. Im Spiel hängen ihre Arme nach unten. Das werden wir in der Neuauflage ändern, denn wir wollen die Realität – da wo es geht – möglichst genau abbilden.

Konterkariert das nicht die Bemühungen der Branche, Frauen sichtbarer zu machen? Heute gibt es Spiele mit wichtigen weiblichen Charakteren. Das ist nicht immer realistisch, denn Frauen hatten früher unbedeutendere Rollen als Männer.
Das ist in der Tat ein Problem. Man muss sich entscheiden: Macht man ein authentisches, möglichst realistisches und historisch korrektes Brettspiel? Oder veröffentlicht man ein Spiel, das nach heutigen Gesichtspunkten möglichst differenziert ist? Auf diese Frage gibt es noch keine finale Antwort, weder in der Gesellschaft noch in der Spielebranche.

Können Spiele überhaupt authentisch sein? Schließlich sind sie immer nur ein Abbild beziehungsweise ein Modell der Realität.
Wenn alle Spiele realistisch und historisch korrekt sein wollen, würde es zahlreiche Themen nicht mehr geben. Das betrifft nicht nur Kolonialismus oder Sklaverei, sondern auf auch auf den ersten Blick unproblematische Themen wie zum Beispiel das Mittelalter. Damals gab es das Lehnswesen. Das Arbeiten und Leben auf einem Bauernhof war alles andere als ein Zuckerschlecken. Meiner Meinung nach wird man wahrscheinlich scheitern, wenn man den Anspruch hat, ein möglichst historisch korrektes Spiel zu machen. Trotzdem ist es wichtig, dass wir als Branche diesen Diskurs führen. Letztendlich geht es wahrscheinlich darum, einen gesunden Mittelweg zu finden.

Zurück zu Puerto Rico 1897. Was werdet ihr noch ändern?
Wir werden in der Anleitung ausführlich auf die Geschichte von Puerto Rico eingehen und auf mehreren Seiten einen Abriss der Historie abdrucken.

Apropos Anleitung: Wir sie in der Neuauflage geschlechterneutral?
Wir versuchen, die Anleitung möglichst geschlechterneutral zu formulieren. Allerdings wird es wahrscheinlich auch immer mal wieder Absätze geben, in denen wir das nicht konsequent durchziehen können. Für mich steht die Verständlichkeit einer Anleitung an erster Stelle.

Was soll die Neuauflage des Brettspiels kosten?
Nach aktuellen Planungen so viel wie die aktuelle Auflage, die eine unverbindliche Preisempfehlung von 44,99 Euro hat.

Wird es auch von anderen Ravensburger Spielen in kulturell angemessener Weise überarbeitete Neuauflagen geben?
Wir sind gerade dabei, alle unsere Spiele zu prüfen. Sobald das geschehen ist werden wir entscheiden, ob und wie wir weitere Neuauflagen von anderen Spielen veröffentlichen.


Aktualisierung am 6. August 2022: Inzwischen hat Ravensburger erste Grafiken und Infos zum Spiel Puerto Rico 1897 veröffentlicht. In der Produktbeschreibung heißt es: „Im Jahr 1897 versucht sich Puerto Rico für die moderne Welt umzugestalten. Als puerto-ricanischer Landwirt konkurrierrst du um das meiste Ansehen. Wir schreiben das Jahr 1897. Puerto Rico versucht sich für die moderne Welt umzugestalten und die Ära des traditionellen Kolonialismus hinter sich zu lassen. Als unabhängiger puerto-ricanischer Landwirt in dieser neuen Ära konkurrierst du mit anderen um die Einstellung von Arbeitern, den Anbau von Zucker und Tabak, den Verkauf wertvoller Waren, sowie den Aufbau einer wichtigen städtischen Infrastruktur. Wer mehr Prestige ansammeln kann als die anderen Landwirte, gewinnt. Thematisch und grafisch komplett überarbeitete Version des bekannten Spieleklassikers Puerto Rico mit unveränderten Regeln.“

Puerto Rico 1897. Foto: Ravensburger
Puerto Rico 1897. Foto: Ravensburger

Aktualisierung am 11. September 2022: Inzwischen ist das Spiel erschienen. In unserem Artikel findet ihr Fotos des Materials sowie Antworten auf häufige Fragen zur Neuauflage.

3 Kommentare

  1. „Das ist nicht immer realistisch, denn Frauen hatten früher unbedeutendere Rollen als Männer.“
    Ui ist das eine Aussage, die erschreckend in die Gedankenwelt des Interviewers blicken lässt? Es ist noch immer so, dass Frauen schlechter und unbedeutender in Spielen mit historischem Setting dargestellt werden, als es die historische Forschung mittlerweile belegt. Das liegt daran, dass in Spielen eher ein Geschichts-Klischee (oft Mittelalter) bedient wird. Was ja prinzipiell auch okay ist, denn Spiele sind keine Simulation. Das wird oft vergessen und zu selten selbstbewusst vertreten.
    Aber wenn innerhalb des Klischees und fiktionalisierten Settings zum Beispiel „Schreiberinnen“ oder „Schmiedinnen“ vorkämen, würde es wohl einige zu stören, obwohl das näher an den historischen Fakten wäre. Es geht anscheinend also vielen in der Debatte darum liebgewonnene Klischeewelten zu erhalten und „Realismus“ (wie hier vom Interviewer vorgebracht) ist nur ein billiges (Schein-) Argument.
    Trotz dieser Kritik, danke für das Interview und dass dem Thema hier Raum geboten wird!

  2. Völlig überflüssige Debatte

    Wer ein Problem mit anderen hat diskriminiert sie durch ganz anderes …fernhalten vom Spieltisch z.B. und nicht weil das Plättchen braun statt rosa ist.

    Und die Frau/Mann Debatt ist sich genau so ein Unsinn.
    Bin bei uns im Team bin ich der einzige Mann. Es wird immer von Kolleginnen (ohne Stern) gesprochen. Bin ich deshalb in meiner Würde herabgesetzt?
    Unsinn! Das würde ich an anderer Stelle merken.

    Die Einbeziehung der weiblichen Form der Berufsnamen im Spiel tut ja nicht weh, aber es hilft halt nur der PR Abteilung etwas näher am Zeitgeschehen zu sein….
    Davon gibt’s auch nicht mehr Vorstandsvorsitzende Frauen im DAX.

    Wenn ich mit meinen Freunden (von 4 Kontinenten, m&w – natürlich nicht immer, alle dabei) spiele, ist das bei uns zumindest kein Thema. Da zählt er nur die Freude am gemeinsamen Zeit verbringen.

  3. Wer mal richtig über den gegenwärtigen Political Correctness-Wahn ablachen will, sollte diesen Text unbedingt lesen. Die getroffenen Aussagen (Untertitel der Neuauflage ist „1897“, das Jahr der einjährigen (!) Autonomie, geprüfte komplette Einstellung des Spiels, Sumo Panda = cultural ignorant, weil Vermischung von China und Japan in einem Spiel (!) , Zusammenarbeit mit Kulturberater, neuer Illustrator kommt aus Puerto Rico, Beratung durch Professorin für puertoricanische Geschichte, Arbeiter nicht kostenlos einsetzen sondern bezahlen, Anleitung gendergerecht und mit entschuldigenden Erläuterungen…und der Knaller: Puerto-Ricaner sind nicht violett, sondern haben unterschiedliche Hauttöne, von sehr hellbraun bis ganz dunkelbraun., daher bei den Scheiben unterschiedliche Brauntöne verwenden, um die Realität möglichst authentisch abzubilden) sind teilweise so absurd drüber, als wären sie 1:1 einem satirischen Ratgeber entnommen. Pures Fremdschämen.

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