Andreas Becker. Foto: Simone Becker

Andreas Becker: „Hinter fast jedem Spiel steckt eine spannende Geschichte“

Seit Januar 2021 ist Andreas Becker Chefredakteur der spielbox, der auflagenstärksten Brettspielzeitschrift der Welt. Ein Interview über Spielekritiken, Jazz, guten Journalismus und gekaufte Titelseiten.


Die spielbox ist eine Publikumszeitschrift über Gesellschaftsspiele. Sie erscheint seit 1981, seit 1992 im w. nostheide Verlag – aktuell sieben Mal pro Jahr mit einer Auflage von 13.000 Exemplaren pro Ausgabe. Von 2002 bis 2020 war Matthias Hardel Chefredakteur, seit 2021 ist es Andreas Becker. Becker wurde 1975 in Delmenhorst geboren. Nach seinem Geschichtsstudium mit den Nebenfächern Germanistik und Politikwissenschaft volontierte er beim Weser-Kurier. Seit Oktober 2009 war er in Delmenhorst Redakteur für den Bremer Weser-Kurier, zuletzt leitete er die Redaktion. Becker spielt gerne mit Orange. Sein aktuelles Lieblingsspiel ist die Pandemic-Trilogie, weil sie für ihn immer wieder faszinierende Immersion und große Spannung erzeugen kann. Seine drei Allzeitklassiker sind Carcassonne, 7 Wonders sowie Die Burgen von Burgund.

Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie gut hat Dir die spielbox bisher gefallen?
Fünf.

Fünf steht für absolute Mittelmäßigkeit.
Die Note erklärt sich vor allem über die Optik. Da wirkte die spielbox auf mich – verglichen mit anderen Zeitschriften – schon lange nicht mehr zeitgemäß. Da war mir vieles zu unruhig im Textfluss. Da war zu viel freigestellt. Dann gab es wiederum Seiten, die zu bleiwüstig waren, auf denen ich vom Text überrollt wurde. Ich möchte deswegen klarere Strukturen und ruhiger Textläufe im Heft haben. Ich glaube, dass sich Leser in einer stärker aufgeräumt wirkenden Umgebung wohler fühlen und sich vielleicht länger im Heft aufhalten werden. Ein Anfang ist gemacht, aber wir werden in jedem Heft an der einen oder anderen Stelle rumexperimentieren.

Was hat Dich noch gestört?
Mir wurden zu wenig Hintergründiges geliefert. Ich fand, dass Protagonisten der Szene zu selten zu Wort kamen. Dabei steckt hinter fast jedem Spiel eine spannende Geschichte, was natürlich ist, wenn etwas so eine lange Entwicklungsgeschichte durchmacht. Manchmal waren mir die Texte zu wenig erzählerisch geschrieben, da musste man sich regelrecht durchquälen. Das werden wir nicht alles auf Knopfdruck ändern, aber das sind Punkte, an denen ich arbeiten möchte. Bisher habe ich den Eindruck, dass alle im Team Lust haben, diesen Weg mitzugehen.

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Im w. nostheide Verlag erscheint neben der spielbox auch die Spiel Doch!. Wie unterscheiden sich die Hefte in Zukunft, wenn die spielbox magaziniger wird?
Der Markenkern der spielbox sind die ausführlicheren Rezensionen, die es in diesem Umfang in der Spiel Doch! nie geben wird. Auch werden wir in der spielbox weiterhin hintergründiger, tiefer – oder überspitzt – eine Nuance nerdiger berichten als es der Anspruch der Spiel Doch! ist. Da der „Spiel Doch!“-Chefredakteur Udo Bartsch und ich uns gut verstehen, werden wir uns intensiv austauschen, welches Thema in welchem Heft besser platziert ist, zumal Udo weiter für die spielbox und ich weiter für die Spiel Doch! schreiben werden. Mit Blick auf das, was Udo mit der Spiel Doch! geschaffen hat, finde ich eine Annäherung an sein Heft nicht verkehrt: Gut gemachter Spielejournalismus ist nicht das schlechteste Vorbild.

Du hast beim Tag der Brettspielkritik 2020 gesagt: „Die wichtigste Währung eines Kritikers ist seine eigene Relevanz.“ Es gibt inzwischen über 150 deutschsprachige Brettspiel-Blogs, -Vlogs und -Podcasts. Einige erreichen mehr als hunderttausend Personen mit ihren Beiträgen. Die Auflage der spielbox beträgt 13.000 Exemplare. Wie relevant ist die auflagenstärkste Brettspielzeitschrift der Welt noch?
Ich glaube, dass die spielbox immer noch eine wichtige Rolle spielt, auch wenn sie als papierenes Medium im Konzert mit all den YouTube-Kanälen, Podcasts und Blogs eher die Rolle der grauen Eminenz innehat. Gedrucktes hat es schwer, auch in der Nische. Diesen Trend werden wir nicht umkehren können. Das zu glauben, wäre naiv. Dass die spielbox trotzdem eine wichtige Rolle spielt, liegt meiner Meinung nach als allererstes im Team begründet. Diese Kompetenz in Sachen Brettspielen kann so geballt niemand bieten, zumal in dieser einmaligen Mischung aus erfahrenen Kollegen, regelrechte Dinosaurier der Szene, und den jüngeren, die ich nach und nach ins Boot holen möchte. Das ist ein Pfund, mit dem wir wuchern können. Diese Mannschaft ist großartig. Außerdem glaube ich, dass Freunde des analogen Spiels immer noch ein analoges Medium schätzen. Und sei es, um lieb gewonnene Rituale zu pflegen: Die neue spielbox ist da? Dann schnappe ich sie mir, mache es mir gemütlich, blättere das Heft durch und checke als Erstes die Noten. Wir überlegen im Moment mit allen Beteiligten, wie wir den Spaß an der Lektüre ausbauen können. Was sind relevante Inhalte? Welche Geschichten aus der Szene wollen wir erzählen? Wir müssen versuchen, sie so aufzuschreiben, dass sie Lesevergnügen bereiten. Wenn uns das sieben Mal im Jahr gelingt, wenn die Leser sieben Mal im Jahr lächeln, wenn sie die spielbox aus dem Briefkasten holen, bleiben wir relevant.

Welche Seiten und Kanäle liest, schaut oder hört der neue spielbox-Chefredakteur gerne?
Bei Tageszeitungen mochte ich schon immer besonders die Süddeutsche Zeitung. Schlicht, weil ich gerne gut geschriebene Geschichten lese. Bei der SZ gibt großartige Autoren, die richtig Lust aufs Lesen machen. Als Lustleser und -seher liebe ich auch mare, eine fantastische Zeitschrift. In der Spielszene würde ich gern mehr Medien verfolgen, aber dazu fehlt mir die Zeit. Ein paar Favoriten habe ich schon: Ich gehöre zu denen, die gern jeden Tag einen neuen Text auf rezensionen-fuer-millionen.de von Udo Bartsch lesen würden. Gerade weil das nicht passiert, freut man sich um so mehr, wenn etwas Neues erscheint. Stilistisch ist Udo in meinen Augen weiterhin eine Referenz. Sehr reizvoll finde ich Seiten, die das Geschehen in der Spielewelt reflektieren und bei denen sich Journalismus nicht in Rezensionen erschöpft: Spannend finde ich, was Peer Sylvester und Georgios Panagiotidis auf spielbar.com machen. Auch kulturgutspiel.de finde ich sehr gut, weil Du das Thema Gesellschaftsspiele journalistisch beleuchtest. Ich glaube, das ist wahrscheinlich der einzige Weg, das Thema aus der eigenen medialen Blase herauszuführen und ihm eine andere Aufmerksamkeit in großen, sehr reichweitenstarken Medienformaten zu verschaffen. Ein Format, das rein darauf basiert, möglichst schnell Neuheiten vorzustellen oder zu spielen, kann diese Wirkung wahrscheinlich nie entfalten. Ich gucke recht wenige Videos, mag aber, wie professionell Julia und Stephan Zerlik von Spiel doch mal! an ihre Berichte herangehen und eben nicht nur Rezensionen bringen. In Sachen Bewegtbild wird TableTop mit Will Wheaton das Maß der Dinge bleiben. Von den zahlreichen und echt guten Podcasts lausche ich besonders gern den Brettagogen.

Du hast beim Tag der Brettspielkritik ebenfalls gesagt: „Nur der Leser ist wichtig.“ Wer liest die spielbox?
Wenn ich das genau wüsste. Die jüngste Leser-Befragung datiert aus dem Jahr 2014. Damals kam heraus: Der durchschnittliche spielbox-Leser ist ein akademisch gebildeter Mann mit gehobenem Einkommen, in der Mitte des Lebens stehend. Rund sieben Jahre später hat sich das wahrscheinlich geändert. Dass die gesamte Szene jünger, bunter und vielfältiger geworden ist, wirkt sich auch auf die spielbox aus. Wir haben in den vergangenen Jahren Zuwächse bei den Abo-Zahlen verzeichnet. Es ist also unwahrscheinlich, dass sich unsere Leser-Struktur nicht auch verändert hat. Wir überlegen, eine neue Umfrage zu starten, um zu horchen, wer uns liest und ob sich die Ansprüche ans Heft gewandelt haben.

Was heißt es für zukünftigen Heftinhalte, dass nur der Leser wichtig ist?
Ein grundlegendes Problem, mit dem der Journalismus in den vergangenen Jahren zu kämpfen hatte, war sein Selbstverständnis. Früher wurde im übertragenen Sinne gegessen, was auf den Tisch kam. Der Journalist bestimmte, was relevant war und gelesen wurde. Das hat sich durchs Internet gewandelt. Journalismus muss sich heute mehr als Dienstleister verstehen. Wir müssen unseren Lesern bieten, was sie möchten. Dabei kam in der letzten Befragung klar heraus: Leser wünschen sich Rezensionen. Gut möglich, dass sich das seit damals etwas gewandelt hat. Deswegen hoffe ich sehr auf Leserreaktionen, um ein gutes Gefühl dafür zu bekommen, was wirklich gewünscht wird. So lange müssen wir uns auch daran orientieren, was wir als Autoren selbst gerne lesen würden. Zumindest mir geht es so, dass ich nicht nur Rezensionen möchte, sondern auch andere Geschichte. Vielleicht bin ich aber nur ein komischer Kauz, der mit dieser Sicht der Dinge allein steht. Das gilt es, herauszufinden.

Bleiben die Noten?
Ja, die Noten bleiben in der jetzigen Form erhalten. Das ist etwas, was wir immer wieder zu hören bekommen: Die Leser wollen Noten. Sie schätzen es besonders, wenn jede Note begründet wird. Wir werden daran arbeiten, diesem Wunsch mehr zu entsprechen. Wir werden ab sofort jedes Spiel, das in der spielbox besprochen wird, auf einer Skala von eins bis zehn benoten, auch auf der Spielwiese, auch Erweiterungen. Es hat sich mir nie ganz erschlossen, warum es drei unterschiedliche Bewertungssystem gab. Einzige Ausnahme bleiben Kinderspiele, was damit zusammenhängt, dass sich die allermeisten unserer Autoren in dem Segment nicht tummeln, mich eingeschlossen.

Die spielbox-Noten
Die Spielreiz-Noten reichen in der spielbox von l bis l0, wobei l die schlechteste und l0 die beste Note ist. Die Noten l, 2, 3 stehen für die Abstufungen schlechter, die Noten 4, 5, 6 für die Abstufungen mittelmäßiger und die Noten 7, 8, 9 für die Abstufungen guter Spiele. Die l0 ist Ausnahmespielen vorbehalten, die sogar aus der Menge der sehr guten Spiele herausragen.

In der Vergangenheit erhielten durchschnittliche Spiele oft keine fünf, sondern eine sieben. Wird die Notenskala in Zukunft stärker ausgereizt?
Wie sehr die Skala ausgereizt wird, hängt am einzelnen Kritiker, weniger an der Skala. Dass sich Noten oft auf einem einheitlichen Niveau einpendeln, ist eher der Qualität der Spiele geschuldet. Ein Titel, der Spaß macht, der viel Abwechslung bietet, ist nun einmal – je nach Auslegung der Skala – mit einer Sechs oder Sieben zu benoten, nicht mit einer Fünf. Die Fünf steht für absolute Mittelmäßigkeit. Da liegen heute viele Spiele drüber, ohne richtig zu begeistern. So empfinde ich zumindest einen Großteil der Neuheiten. Die richtigen Graupen sind rar geworden. Selbst wenn es sie gibt, müssen wir uns als Redaktion die Frage stellen, ob wir denen etwas des begrenzten Platzes opfern wollen – und welcher Kollege die masochistische Lust verspürt, so ein Spiel wieder und wieder in verschiedenen Konstellationen auf den Tisch zu bringen. Ein wenig begeisterndes Spiel ins Heft zu nehmen, drängt sich allerdings auf, wenn ein prominenter Autor dahintersteckt oder es einen Hype um den Titel gibt. Dann soll es bitte einen deftigen Verriss geben. Auch da gilt der Nutzwert- und Service-Gedanke des Journalismus: Viele Leser möchten lieber eine Empfehlung, was sich zu kaufen lohnt, als eine wortgewaltige Warnung, worum sie besser einen Bogen machen sollten.

Wegen Corona sind öffentliche Spieletreffen aktuell ebenso unmöglich wie private Runden mit Personen aus mehreren Haushalten. Welche Auswirkungen hat das auf die spielbox-Rezensionen?
Es wird mühseliger, Spiele oft genug auf den Tisch zu bringen. Spiele, die davon leben, sie in größeren Gruppen zu spielen, fallen gerade flach. Es gibt außerdem Kollegen, die derzeit nicht genügend Spielerfahrungen sammeln können und weniger im Blatt stattfinden. Ich denke, alle Rezensenten, egal, für welche Medien sie Inhalte produzieren, leiden vor allem darunter, dass es keine öffentlichen Treffen gibt. Sie können keine Meinungen von anderen Mitspielern erfahren. Sie können auch nicht die Wirkung gewisser Spiele auf bestimmte Gruppen erleben, was in dem Zusammenhang wahrscheinlich die gravierendste Auswirkung für die Mitglieder der Jury „Spiel des Jahres“ ist. Öffentliche Treffen bieten immer erfrischende, manchmal augenöffnende Eindrücke. Mit Blick auf die Erfahrung der Kollegen, die für die spielbox schreiben, bin ich sicher, dass sie sich trotzdem sehr gute Überblicke verschaffen können; selbst wenn Spiele vielleicht nur zu viert und nicht zu fünft gespielt werden konnte. Da bundesweit der gesamte Rezensionsbetrieb nicht ausgefallen ist, scheint das Problem aber auch andere nicht so zu treffen, dass man pausieren müsste.

Apropos Kolleginnen und Kollegen: Wird sich das Redaktionsteam ändern?
Eine Redaktion im klassischen Sinne gibt es bei der spielbox nicht. Dafür sind wir leider zu klein. Aber wer weiß, was noch kommen mag. Mit Blick auf die Autorenschaft möchte ich einiges ändern. Allerdings geht es mir vor allem darum, das Team zu vergrößern: Ich habe schon einige jüngere Kollegen mit ins Boot geholt, es sind auch mehr Autorinnen dabei.

Wie wird man spielbox-Mitarbeiterin oder -Mitarbeiter?
Wir sind immer auf der Suche nach neuen Autoren und schauen mit mehreren Leuten, wer in Frage kommt. Die, bei denen ich denke, dass mir ihre Herangehensweise und Sprache gefallen, spreche ich an. Grundvoraussetzung ist, schon in irgendeiner Form über Spiele zu berichten, damit ich mir einen guten Eindruck verschaffen kann.

Und wie wird man Chefredakteur der auflagenstärksten Brettspielzeitschrift der Welt?
Ich wurde gefragt und habe zugesagt. Mehr war da nicht. So einfach kann es manchmal sein. Allerdings erreichte mich die Anfrage in einem Moment, in dem ich sowieso mit dem Gedanken geliebäugelt hatte, mich beruflich zu verändern. Seit Oktober 2009 war ich Redakteur für den Bremer Weser-Kurier in meiner Heimatstadt Delmenhorst, zuletzt habe ich die Redaktion geleitet. Delmenhorst ist, allen Unkenrufen von Außenstehenden zum Trotz, aus journalistischer Perspektive megaspannend. Trotzdem erwischte ich mich immer öfter bei dem Gedanken, dass ich für mich alle Geschichten, die mir die Stadt bieten konnte, mindestens einmal aufgeschrieben hatte, teilweise in zig sich wiederholenden Variationen. Im Oktober 2018 startete der zweite große Prozess gegen den ehemaligen Krankenpfleger Niels Högel. Er hat wahrscheinlich weit über achtzig Patienten in Krankenhäusern in Oldenburg und Delmenhorst ermordet. Diesen Prozess, das größte Mordverfahren der bundesrepublikanischen Geschichte, wollte ich gern noch begleiten. Kurz vor dem ersten Verhandlungstag fiel mir das Angebot, das auflagenstärkste Brettspielmagazin der Welt zu übernehmen, auf der Spiel in Essen in den Schoß. Es war sehr verlockend, das Hobby zum Beruf zu machen. Allein der Gedanke, über eine Branche zu berichten, deren Aufgabe es ist, Menschen Freude und Spaß zu schenken, machte mir Lust auf die Aufgabe. Es ist eine Branche, in der die Dichte von unfassbar netten Menschen so hoch ist, wie ich es an anderer Stelle noch nicht erlebt habe. Von daher: Es gibt schlimmere Schicksale.

Was zeichnet für Dich einen guten Journalisten aus?
Er ist von Neugierde getrieben und vorurteilsfrei, unerschrocken, auch wenn es Gegenwind gibt. Gute Journalisten sind meinungsstark, sie beweisen Haltung und fühlen sich dem Grundgesetz verpflichtet. Außerdem haben sie Spaß daran, gute Geschichten zu erzählen und gehen pfleglich mit ihrem Haupthandwerkszeug um: der Sprache.

Wenn ein Verlag in der spielbox erscheinen möchte, muss er nur auf der Titelseite eine Anzeige schalten. Dadurch erhält er auch einen Artikel im Heft. Wie verträgt sich das mit der journalistischen Unabhängigkeit?

Fotos: spielbox

Der Zusammenhang ist genau umgekehrt. Niemand kauft sich einen Artikel im Heft. Aber es stimmt: Die Titelseite ist in der spielbox eine Anzeigenseite. Das ist historisch gewachsen. Aus journalistischer Sicht bin ich davon nicht begeistert. Ich würde das sofort ändern, wenn ich es könnte, weil ich das für unglücklich halte. Aber das ist eine Verlagsentscheidung, und beim nostheide-Verlag sind Redaktion und Verlag strikt getrennt. Von daher bleibt mir nichts anderes übrig, als das Beste aus der Situation zu machen. Wir reagieren mit der Geschichte im Heft auf Leser-Wünsche. Früher war es nicht zwangsläufig so, dass zum Titel auch eine Geschichte erschien. Das hat viele Leser irritiert, denn so funktionieren andere Zeitschriften nicht. Die Leser haben es anders gelernt. Wir haben den Ehrgeiz entwickelt, dass zu einem Titel ein journalistischer Inhalt erstellt wird, was kein Problem ist. Wie gesagt: Eigentlich lässt sich zu fast jedem Spiel etwas Interessantes erzählen. Eines kann ich definitiv ausschließen: Den Automatismus, dass ein Anzeigenkunde auf dem Titel eine wohlwollende Rezension gleich mitkauft, gibt es nicht. Den gab es nicht unter Matthias Hardel, den wird unter mir nicht geben.

Gibt es weitere Vorgaben vom Verlag?
Außer der indirekten Vorgabe mit der Titelgeschichte gibt es keinerlei inhaltliche Vorgaben. Natürlich tauschen wir uns aus, was in der Branche passiert. Das bezieht sich aber eher auf wirtschaftliche Entwicklungen bei Spieleverlagen. Wäre auch blöd, wenn wir uns Dinge nicht erzählten und dadurch eine Geschichte verpassen würden. Das Binnenverhältnis ist so, wie es in jedem Verlag in Deutschland gehandhabt wird. Verlag und Redaktion sind getrennt. Mit Blick auf viele andere Brettspielmedien in Deutschland ist das vielleicht nicht immer so bewusst. Dort sind vor allem sehr engagierte Einzelkämpfer beziehungsweise mehr oder minder große Kollektive unterwegs, die einfach Lust haben, über ihr Hobby zu berichten. Dort sind solche Strukturen nicht nötig, weil sie keine Unternehmen sind, die wirtschaftliche Interessen verfolgen. Aber bei uns gilt wie gesagt: Verlag und Redaktion sind getrennt. Bisher habe ich absolut freie Hand. Das mag mit Blick auf meine kurze Periode als Chefredakteur wenig aussagekräftig sein. Aber ich weiß von Matthias Hardel, dass es in seinen 19 Jahren nie anders war.

In der spielbox wird nicht gegendert. Warum?
Das war in der Tat bisher so. An der Stelle haben wir bislang schlicht noch keinen verbindlichen Kurs für die spielbox ausgehandelt. Aber auch das wird absehbar geschehen.

Was ist Dir bei Spielen wichtig?
Ich muss Spaß haben und gut unterhalten werden. Es gibt viele Wege, um das zu erreichen. Ich mag kooperative Spiele, weil es immer besondere Momente kreiert, wenn man gemeinsam etwas schafft. Es kann auch ein Gruppen-Solitär sein, in dem ich kompetitiv vor mich hin grübele. Schön ist immer, wenn es wichtig ist, wann ich eine Entscheidung treffe, zum Beispiel weil ich Mitspieler damit ausbremsen kann – allerdings immer mit dem Risiko verbunden, dass ich an anderer Stelle etwas verpassen könnte. Ein guter Dilemmata-Mix begeistert mich also. Ansonsten gilt: Legespiel oder Arbeiter-Einsatz, da bin ich dabei.

Und wer inspiriert Dich?
Wirkliche Inspiration erwächst für mich meist aus Kunst, vor allem aus den Werken, weniger aus den Personen. Ich liebe Buchautoren, deren Werken man anmerkt, dass Sprache wirklich bearbeitet wurde. Ich mag Autoren, die eine Botschaft transportieren, die über die Aufklärung eines Mordes hinausgehen, die dabei aber auch gern unterhalten dürfen. Daniel Kehlmann lese ich gern. Immer wieder gut: Ausstellungen, gern klassische Moderne, noch lieber zeitgenössische Kunst. Gerade bei vielen zeitgenössischen Autoren und Künstlern wird man auf sehr bedenkenswerte Positionen gestoßen. Oft ist es auch die ästhetische Dimension, die mich mitnimmt. Dabei kann mich Virtuosität fesseln, handwerkliche Perfektion. Vielleicht höre ich deswegen gerne Jazz.

Andreas Becker. Foto: Simone Becker
Andreas Becker. Foto: Simone Becker

Transparanzhinweis: Die Fragen stellte Sebastian Wenzel. Sebastian hat von 2012 bis 2019 als freier Mitarbeiter Artikel für die spielbox geschrieben. Sebastian administriert und moderiert außerdem das gemeinsame Forum von SpieLama, spielen.de und der spielbox.

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