Die Brettspielbranche diskutiert nicht erst seit dem Fall Tascini über Rassismus. Das hat auch Auswirkungen auf den Verein Spiel des Jahres. Wir haben uns darüber mit Bernhard Löhlein unterhalten, dem Sprecher der Jury. Ein Interview über schwarze Würfel, weiße Jury-Mitglieder und Psychopathen.
Spielend für Toleranz
Am Spieltisch sind alle Menschen gleich, für alle gelten dieselben Regeln, alle können mitspielen: Das ist die Idee von Spielend für Toleranz. Mit der Initiative setzen Spielejournalistinnen und -journalisten sowie Bloggerinnen und Blogger ein Zeichen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.Der Verein Spiel des Jahres unterstützt die Initiative und schreibt auf der Jury-Homepage: „In unserer Gesellschaft machen sich Rassismus und Fremdenfeindlichkeit breit, ganz offen oder nur schlecht verborgen als ,Besorgtheit‘ und das in einem Umfang, den wir in unserer so aufgeklärten und modernen Zeit für unmöglich gehalten hätten. Deshalb positioniert sich der Verein „Spiel des Jahres“ klar gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.“ Auch kulturgutspiel.de unterstützt die Initiative.
Die Jury beurteilt nach eigener Aussage ausschließlich die Qualität der Spiele. Sie trennt also zwischen Werk und Autorin beziehungsweise Autor, richtig?
Unsere Praxis war immer, dass wir ein Spiel so beurteilen, wie es uns vorliegt.
Das heißt, es könnte auch ein Spiel von einer rassistischen Person ausgezeichnet werden, vorausgesetzt es ist gut und erfüllt alle formalen Kriterien.
Aus meiner persönlichen Sicht kommt es in der Praxis auf den konkreten Einzelfall an: Was weiß ich über die Autorin oder den Autor? Wo und in welchem Rahmen hat sie oder er sich wie geäußert? Welche diskussionswürdigen Themen tauchen im Spiel auf? All diese Fragen müssen beantwortet werden. Wir haben diese Punkte auf der Agenda und tauschen uns bereits seit längerem intern darüber aus. Prinzipiell gilt: Wir stehen alle voll und ganz hinter der Aktion „Spielend für Toleranz – Gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.“ Wir würden nie ein Spiel auszeichnen, das in welchem Zusammenhang auch immer gegen diese Prinzipien verstößt.
Was ist mit Mombasa oder Auf den Spuren von Marco Polo? Beide landeten auf der Empfehlungsliste.
Ob diese Spiele heute wieder auf die Empfehlungsliste kämen, weiß ich nicht. In der Jury sind teilweise neue Mitglieder, die damals noch nicht dabei waren. Und wir sind alle sehr viel sensibler, wenn es um Themen aus der Kolonialzeit geht.
Im Artikel WDR-Hörfunk: Kolonialismus in Brettspielen steht: „[Jury-Mitglied] Martina Fuchs macht darauf aufmerksam, dass man auch im Spiel mit den verwendeten Wörtern, Farben und Themen Äußerungen von sich gebe, die andere Leute vielleicht als Beleidigung sehen können. Das könne auch für die schwarzen Würfel in dem Spiel Auf den Spuren von Marco Polo gelten.“ Wird die Jury in Zukunft stärker auf verwendete Wörter, Farben und Themen in ausgezeichneten Spielen achten?
Das werden wir, das ist Konsens im Verein. Die Jury-Mitglieder gehen im Rahmen ihrer Spielekritiken und Veröffentlichungen sensibel mit solchen Fragen um und werden darauf in der Zukunft an den Stellen, an denen es notwendig ist, verstärkt achten.
Können Jury-Mitglieder das überhaupt adäquat? Schließlich sind aktuell alle Mitglieder weiße Menschen.
Wir geben unser Bestes, sind uns aber unserer Grenzen bewusst. Wir können unsere Hautfarbe nicht ändern Ich würde mir wünschen, dass die deutschsprachige Spielekritik diverser aufgestellt wäre und sich mehr Menschen mit Migrationshintergrund kritisch mit Brettspielen auseinandersetzen.
Wir die Jury in Zukunft auch auf andere Themen, die die Gesellschaft bewegen, achten, zum Beispiel Geschlechtergerechtigkeit?
Ja natürlich, ohne dass wir hier abschließend Kriterien benennen können. Wir wollen im Rahmen der aktuellen Debatten um Rassismus und Diversität in der Branche besondere Sorgfalt walten lassen. Wir suchen deshalb auch das Gespräch mit externen Expertinnen und Experten.
Was heißt das konkret?
Wir haben Kontakt mit mehreren Institutionen und Vereinen aufgenommen und schauen nun, ob es dort Fachleute gibt, die sich nicht nur mit Diversität auskennen, sondern auch Grundkenntnisse über das Medium Brettspiel besitzen. In einem zweiten Schritt wollen wir uns mit diesen dann über die Frage austauschen, welche Form der Beratung für uns sinnvoll wäre.
Neben Geschlechtergerechtigkeit und Rassismus gibt es zahlreiche weitere stark diskutierte Themen. Sollten Spiele diese aufgreifen?
Wir wollen niemandem, keiner Autorin, keinem Autor, keinem Verlag, vorschreiben, welche Themen für ein Spiel verwendet werden. Sollten solche Themen aber auf den Tisch kommen, sind sie für uns schon allein als Kritikerinnen und Kritiker durchaus interessant.
Sollten diese Themen dann auf eine bestimmte Art und Weise umgesetzt werden?
Diese Frage lässt sich so pauschal nicht beantworten. Es muss immer im Einzelfall diskutiert werden, ob ein Thema angemessen umgesetzt wurde oder nicht. Das ist oft schwieriger als man denkt. Ein Beispiel zur Verdeutlichung: In Killer Cruise jagen wir einen Psychopathen, der einen Mörder angeheuert hat. Psychopathie ist eine schwere Krankheit. Interessenverbände beklagen regelmäßig, dass Menschen mit dieser Persönlichkeitsstörung in Krimis oder nun auch in Spielen als Mörder dargestellt werden. Wie sollten wir als Spielerinnen und Spieler damit umgehen? Fest steht: Brettspiele müssen sich ebenso wie Filme, Bücher und andere Kulturgüter diesen Diskussionen stellen.