Bei der Preisverleihung zum Spiel des Jahres 2024 kam es zum Eklat. Grund war ein Melonen-Aufkleber, den der Spieleautor Matteo Menapace trug. Wir dokumentieren den Vorfall und die Reaktionen darauf.
Bei der Preisverleihung zum Spiel des Jahres 2024 sorgte eine Melone für Ärger, genauer gesagt ein Melonen-Aufkleber. Er prangte auf dem T-Shirt von Matteo Menapace. Der Autor gewann zusammen mit Matt Leackock die Auszeichnung Kennerspiel des Jahres 2024 für E-Mission.
Der Aufkleber zeigte keine gewöhnliche Melone, sondern eine palästinensische. Ihre Farben spiegeln die Farben der palästinensischen Flagge wider – rotes Fruchtfleisch, grün-weiße Schale und schwarze Kerne. Das wurde 1967 relevant – als Israel nach dem Sechstagekrieg die palästinensische Flagge in den besetzten Gebieten verbot. Als Reaktion darauf begannen Palästinenser, die Wassermelone als ein Symbol des Widerstands zu nutzen.
Antisemitisch oder nur ein Zeichen der Solidarität?
Das weiß auch Menapace. „Mit meiner Entscheidung, am Sonntag auf der Bühne des Spiel des Jahres einen Wassermelonen-Aufkleber zu tragen, wollte ich meine Solidarität mit der palästinensischen Zivilbevölkerung zeigen“, schrieb Menapace in einer Erklärung auf medium.com, die er am Freitag, 26. Juli 2024, veröffentlichte, kurz nach der Preisverleihung, die am Sonntag, 21. Juli 2024 stattfand.
Der Verein Spiel des Jahres war von dem Aufkleber nicht begeistert. „Dadurch, dass der Aufkleber die Umrisse eines ,Groß-Palästinas‘ zeigt, das die Existenz des Staates Israels verneint, hat er [Menapace, Anmerkung der Redaktion] die Grenzen dessen überschritten, was als legitime politische Meinungsäußerung hingenommen werden muss“, steht in einer Stellungnahme des Vereins, die am Montag, 22. Juli 2024, veröffentlicht wurde. Weiter heißt es: „Der Verein Spiel des Jahres unterstützt seit Jahren die Initiative ,Spielend für Toleranz‘ und positioniert sich damit unmissverständlich gegen jede Form von Rassismus und Antisemitismus. Dass ein von uns eingeladener Spieleautor auf der Bühne ein Symbol an der Kleidung trug, das von Jüdinnen und Juden als antisemitisch empfunden werden muss, halten wir für unerträglich.“
In seiner Stellungnahme schriebe Menapace: „Ich erkenne den aktuellen und historischen Kontext an, der dazu geführt hat, dass Spiel des Jahres als deutsche Institution mit erhöhter Sensibilität auf Antisemitismusvorwürfe reagiert. Ich nehme diese Vorwürfe sehr ernst. Eine Debatte über die Form des Aufklebers und eine antisemitische Interpretation lenkt jedoch davon ab. Stattdessen möchte ich die Aufmerksamkeit auf die Realität tausender palästinensischer Menschen lenken, die von der Landkarte getilgt werden und dringend humanitäre und medizinische Hilfe benötigen. Kein Mensch und keine Gruppe von Menschen sollte aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität ausgelöscht werden. Ich hoffe, wir können uns alle darauf einigen. Alle Menschen haben Frieden und Gerechtigkeit verdient. Ich glaube, dass dies erst möglich sein wird, wenn das beendet ist, was der Internationale Gerichtshof kürzlich als unrechtmäßige Besatzung definiert hat. Was wir als Bürger westlicher Nationen tun können, ist, Druck auf unsere Regierungen auszuüben, damit sie die Verantwortung für ihre historische Rolle in diesem Unrecht übernehmen und unsere Komplizenschaft mit ihrer Finanzierung und Ermöglichung von Kriegsverbrechen beenden.“
Auch bei anderen Gelegenheiten hat Menapace bereits Wassermelone getragen. In seinem LinkedIn-Profil findet man einen Beitrag mit einem Foto von ihm. Darauf trägt er einer Mütze mit einer Wassermelone in der von der Jury kritisierten Form. In dem LinkedIn-Beitrag erzählt er von einer Spendenkampagne, die er im Frühjahr 2024 durchgeführt habe. Dabei habe er Geld für medizinische Hilfe für Palästinenser gesammelt. Auf der Spendenseite schreibt Menapace: „Am 15. Mai jährt sich die Nakba (,Katastrophe‘ auf Arabisch) zum 76. Mal. Damals wurden mindestens 750 000 Palästinenser während der gewaltsamen Ereignisse nach der Gründung des Staates Israel aus ihren Häusern im historischen Palästina vertrieben. Viele, die nicht gehen wollten, wurden von zionistischen Milizen getötet, die sich zu den heutigen israelischen Verteidigungsstreitkräften (IDF) zusammenschlossen. 76 Jahre militärische Besatzung, Apartheid, Vertreibung, Enteignung und Marginalisierung, die zu dem heute am besten dokumentierten, live übertragenen Genozid führten, dessen Ende nicht abzusehen ist.“
„Unkollegiales Verhalten“
Zurück zur Preisverleihung: Während der Veranstaltung fiel der Aufkleber und seine Bedeutung den am Programm Beteiligten nicht auf. Im Livestream wurden Zuschauerinnen und Zuschauer jedoch darauf aufmerksam. Unmittelbar nach der Veranstaltung forderten die Jury-Mitglieder Harald Schrapers und Christoph Schlewinski deshalb Menapace auf, ihnen den Aufkleber zu übergeben. Sie untersagten ihm, das Symbol im Saal und bei den dort erstellten Bildaufnahmen zu zeigen. Menapace ist außerdem zukünftig auf Veranstaltungen des Vereins Spiel des Jahres unerwünscht. „Er hat sich mit seiner Aktion auch gegenüber den anderen an seinem Spiel Beteiligten (Autor, Redaktion, Verlag) extrem unkollegial verhalten“, schreibt die Jury.
Der Co-Autor von Menapace, Matt Leacock, hat sich bisher nicht zu dem Vorall geäußert. Schmidt Spiele, der deutsche Verlag, bei dem das Spiel erschienen ist, hat darauf hingewiesen, dass Menapace ein unabhängiger Spieleautor sei und der Verlag deshalb keine weitere Stellungnahme abgeben werde.
Reaktionen auf die Reaktionen
Der Vorfall, die Reaktion der Jury und das Statement von Menapace haben eine Debatte außgelöst. Es prallen unterschiedliche Ansichten aufeinander.
Die Seite boardgamewire zitierte den deutschen Spieleautor Peer Sylvester. Er sagt: „Der größte Teil meiner [Social Media-]Timeline ist jetzt geteilt. Der erste Impuls der meisten [deutschen Brettspiel-]Medienleute war ein Aufschrei über den vermeintlich antisemitischen Aufkleber, während die amerikanische Seite wegen der ‚Verletzung der Redefreiheit‘ empört ist. Ich glaube, man kann gar nicht hoch genug einschätzen, wie verbreitet die erste Interpretation hier ist. […] Deutschland ist sehr empfindlich gegenüber Antisemitismus, was es schwierig macht, eine differenzierte Debatte zu führen, da die Menschen oft die extremistische Lesart der Symbole für wahr halten.“
Die Seite Brettspielnews schreibt unter anderem: „Warum stellt er [Menapace] nicht klar, dass es ihm nur um die Unterstützung von Zivilen Opfern geht? Stattdessen politisiert er auch sein Statement mit dem Vorwurf, Israel verübe einen Genozid. Denn Menapace sagt: „I want to draw attention to the reality of thousands of Palestinian people who are being wiped off the map, and are in dire need of humanitarian and medical services“ Die Vorwürfe haben auch aus der Sicht der Amadeu Antonio Stiftung eine klare Stoßrichtung – gegen den Staat Israel. […] Somit bleibt es bei seiner diffusen politischen Äußerung, die das wirkliche Leiden in den Hintergrund rücken lässt. Es bleibt der fade Beigeschmack, dass hier eine Veranstaltung bewusst missbraucht, wurde um politische Themen zu setzten.“
Der französische Spieleautor Bruno Faidutti schreibt in seinem Blog: „Ich bin kein Deutscher, aber meine unmittelbare und spontane Reaktion, als ich die Bilder der Zeremonie sah, war dieselbe wie die der Jury des Spiels des Jahres. Meine Generation, die mit der Erinnerung an den Krieg aufgewachsen ist und Geschichten über verschwundene Nachbarn gehört hat, sieht in Israel vor allem einen Zufluchtsstaat für Juden, die von überall her verstoßen wurden, und das ist es auch. […] Die Jüngeren, die mit der Erinnerung an die 1960er Jahre und die Entkolonialisierung aufgewachsen sind, sehen in Israel vor allem einen Kolonialstaat, was es genauso ist. Niemand hat Unrecht, weil alle Recht haben.“