Warum gibt es bei traditionellen Spielkarten keine Königin? Wieso haben alle Damen lange Haare? Warum sind alle Personen weiß? Diese Fragen haben sich die Spielköpfe gestellt und ein Kartendeck gestaltet, das die ganze Vielfalt der Gesellschaft abbilden soll; mit schwarzen Buben, kurzhaarigen Damen und Königinnen mit Kopftuch. Wir haben uns mit den Macherinnen über Stereotype, Aquarelle und Hasskommentare unterhalten.
Hinweis: Ursprünglich wurden die Spielkarten unter dem Namen „Das bunte Deck“ vertrieben. Inzwischen heißen sie „Spielköpfe“. Noch bis zum 31. Mai läuft eine Spielköpfe-Crowdfunding-Kampagne auf Startnext.
Auf Sexismus, Rassismus und Stigmatisierungen kann man mit zahlreichen Gegenständen aufmerksam machen: Warum habt ihr euch für Spielkarten entschieden?
Das Schöne an Karten ist, dass jede fast jede Person sie kennt und bereits in der Hand hatte. Wir erreichen damit Menschen außerhalb unserer linken Studierendenblase. Karten regen in lockeren Situationen wie einem Spieleabend zum Nachdenken an. Sie haben nicht die Starrheit von Vorträgen oder Seminaren. Mit dem Deck der Spielköpfe kommt man leicht mit Menschen ins Gespräch, die nicht vertraut sind mit Sexismus oder Rassismus. Außerdem spielen auch Kinder Karten. Sie übernehmen Stereotype besonders schnell und identifizieren sich damit. Deshalb ist es wichtig, ihnen vielfältige Bilder zu zeigen.
Ihr wollt eine möglichst große Diversität abbilden. Trotzdem gibt es keine Bilder von Juden oder Menschen im Rollstuhl. Wieso?
Uns standen beim Skatdeck nur zwölf Bildkarten zur Verfügung. Die zwölf Motive sollten harmonisieren und eine vielfältige Gesellschaft als Normalität abbilden. Sie sollten nicht wie eine Hintereinanderreihung von Diskriminierungsformen wirken. Wir hatten uns ein Grobkonzept überlegt, gaben aber den Menschen, die die Karten illustrierten, Freiheiten. So konnten sie ihre Erfahrungen und Gedanken einbringen. Besonders wichtig waren uns Sexismus, Rollenbildern von Männern und Frauen, die Diskriminierung von nicht binären Menschen, Rassismus, Religionsfeindlichkeit, Altersdiskriminierung sowie Ableism, also die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung. Wir hatten überlegt, eine Person im Rollstuhl zu zeichnen. Allerdings hatten wir Angst, dass man sie nicht richtig erkennt. Diskriminierung von Menschen mit Behinderung greifen wir stattdessen mit einem blinden König auf. Religion haben wir durch die Königin mit Kopftuch thematisiert. Ja, auch Menschen anderer Religionen werden in Deutschland oft diskriminiert. Das Kopftuch ist allerdings eines der größten religiösen sichtbaren Merkmale, das zu Diskriminierung führen kann.
Apropos Königin: Damen und Buben sind in eurem Deck so aufgebaut wie man es von Spielkarten kennt; symmetrisch. König und Königin nicht. Weshalb?
Es war uns bei diesen Karten wichtig, immer zwei Personen abzubilden. Dadurch wollen wir die binären Geschlechterzuteilung aufbrechen. Wenn Menschen sich in den Kategorien Frau oder Mann nicht repräsentiert sehen, wird das non-binäres Geschlecht oder genderqueer genannt. Für non-binäre Menschen ist die starre Zweiteilung der Geschlechter oft sehr schwierig. Gleichzeitig leiden fast alle Menschen unter der Zweiteilung und den daraus resultierenden Rollenbildern. Auch diese wollen wir aufbrechen, zum Beispiel mit der Pik-König*in Karte, bei der die Künstlerinnen versucht haben, die beiden Personen so zu zeichnen, dass man ihnen nicht direkt ein Geschlecht zuordnen kann. Da alle Menschen gleichberechtigt sein sollten, ist es außerdem ein schönes Symbol, nicht nur eine, sondern zwei Personen auf den Karten abzubilden. Wir hatten überlegt, dass auch bei Buben und Damen zu machen. Geschlechterneutrale Namen für B- und D-Karten wie Bube und Babes oder Damen und Dudes haben uns allerdings nicht überzeugt. Außerdem wollen wir uns nicht zu weit von den bekannten Karten entfernen, damit möglichst viele Leute mit dem Deck spielen. Es soll eine Alternative sein und kein neues Spiel.
Diversität spielte auch bei den Illustrationen eine Rolle: Nach welchen Kriterien habt ihr die Künstlerinnen und Künstler ausgewählt?
Das hat sich größtenteils organisch entwickelt. Es war uns wichtig, verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen und Perspektiven einzubeziehen, vor allem auch schwarze Personen, um schwarze Perspektiven zu berücksichtigen. Wir haben viel rumgefragt, im Bekanntenkreis, deutschlandweit an Unis und über E-Mail-Verteiler.
Gab es Vorgaben?
Unser erster Künstler malte ein Aquarell. Da uns dieser Stil gefiel und die Motive harmonisieren sollten, haben wir danach nur Menschen miteinbezogen, die auch Aquarelle malten.
Traditionelle Karten verkaufen sich millionenfach. Wie viele Menschen interessieren sich für euer Deck?
Die erste Auflage bestand aus 1.500 Skat- und 1.500 Doppelkopfdecks. Inzwischen ist sie fast komplett verkauft. Im Mai drucken wir die zweite Auflage, weiter 3.000 Doppelkopfdecks und ganz neu 3.000 Rommédecks.
Wo produziert ihr?
Das Skatdeck hat die Druckerei Gugler in Österreich gedruckt. Die Karten werden auf recyceltem Papier, mit Ökofarben und nach dem Cradle-to-Cradle-Standard produziert. Das ist ein Ansatz für eine durchgängige und konsequente Kreislaufwirtschaft. Da wir zunächst unsicher über die Qualität der finalen Karten waren, habe wir das Doppelkopfdeck konventionell beim DCM Druckcenter produzieren lassen. In Zukunft wird aber Gugler alle Karten drucken. Die Neuauflage wird übrigens mit fünfzig Gramm mehr Grammatur gedruckt und dann auch nicht mehr so durchsichtig sein.
Wer sind eure Kundinnen und Kunden?
Menschen in ganz Deutschland kaufen unser Deck, mit einer kleinen Häufung im Norden, wahrscheinlich weil dort die meisten Radiobeiträge und Zeitungsartikel über uns erschienen sind. Die meisten Produkte verkaufen wir über unseren Onlineshop. Wir kennen nur die Namen und Adressen der Menschen und können daher nur grob auf ein Geschlecht oder eine Generation schließen. Es wirkt aber recht ausgeglichen. Wir vermuten, dass die Bestellungen überwiegend aus dem linkspolitischen Raum kommen. Unser Offline-Vertrieb ist bisher in Kiel am stärksten, da wir dort wohnen. Unsere Karten verkaufen sieben Läden in der Stadt. Außerdem gibt es das Deck inzwischen auch in drei Buchläden in Berlin sowie je einem Buchladen in Wiesbaden, Frankfurt und Stuttgart.
Wie gefallen den Menschen eure Spielkarten?
Ganz unterschiedlich: Anfangs fanden viele die Idee sehr cool. Andere sahen den Sinn nicht und meinten, sowas bräuchten wir heutzutage nicht mehr. Wieder andere sahen es kritisch, dass wir als weiße Frauen auf Rassismus aufmerksam machen, den wir nicht erleben können. Seit wir die Karten vertreiben sind die meisten Rückmeldung sehr positiv. Menschen sehen jetzt, wie wir unsere Ideen umgesetzt haben. Die meisten finden das super cool und unterstützen uns. Durch Medienberichte haben wir allerdings auch mit Hasskommentaren zu tun. Wir haben zum Beispiel Mails mit Aussagen, wie „ihr seid ja bekloppt“, „habt ihr keine anderen Probleme“ oder „was soll der Scheiß“ bekommen.
Welche Pläne habt ihr für die Zukunft?
Gerade läuft unsere Crowdfunding-Kampagne unter www.startnext.de/spielkoepfe für das Rommédeck. Wir werden es mit zwei neuen Motiven und drei Jokern veröffentlichen. Zusätzlich wollen wir noch bekannter werden und langfristig die alten Spielkarten komplett ersetzten. Wir wollen auch ein Bildungskonzept zu den Karten erarbeiten, damit sie mehr in Schulen und Seminaren genutzt werden können. Ansonsten haben wir noch viele Ideen, zum Beispiel Apps mit unseren Karten. Wir können uns auch vorstellen, in Richtung Beratung zu gehen; Beratung für diskriminierungsfreie Bildsprache oder für Frauen in der Gründungsszene.
Aktualisierung Juli 2021: Die im Mai 2020 angedachte Crowdfunding-Kampagne auf Startnext war erfolgreich. Es kamen 5.441 Euro zusammen. Die kostenlose Solitaire-App für iOs und Android ist inzwischen erschienen. Auch Workshops bieten die Spielköpfe heute an, zum Beispiel zu den Themen „Women Entrepreneurship & Diversity“, „Umgang mit Hass und Sexismus im Netz“ oder „Finanzen für Gründerinnen“. Mehr Infos unter spielkoepfe.de.
Ein Kommentar