Das Brettspiel Train von Brenda Brathwaite thematisiert den Holocaust. Foto: Buzzpuzzle/Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported

Judenvernichtung als Brettspiel

Das Brettspiel Train schockiert. Die Gewinner fühlen sich schlecht. Einige weinen. Selbst der Staat hatte Probleme mit dem Werk von Brenda Brathwaite. Alle, die vor wenigen Monaten bei Google nach „Train“ und „Brettspiel“ suchten, sahen den Hinweis: „Aus Rechtsgründen hat Google 1 Ergebnis(se) von dieser Seite entfernt.“ Inzwischen ist diese Meldung verschwunden.


Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmalig 2012 auf zuspieler.de.

Das Spiel für drei Personen beginnt harmlos. Die Spieler versuchen möglichst viele gelbe Figuren mit einem Zug zum Ziel zu transportieren. In jeder Runde hat der aktive Spieler die Wahl. Entweder er stapelt neue Pöppel in seine Wagons, bewegt die Lokomotive vorwärts, spielt eine Ereigniskarte aus oder nimmt eine auf die Hand. Erreicht ein Zug das Ziel, zieht der Spieler eine Endstation-Karte. Erst jetzt erfährt er, wo die Reise endet – zum Beispiel in Auschwitz, Dachau oder Bergen-Belsen. Alles ehemalige Konzentrationslager.

„Spiele sind ein gutes Medium, um sich schwierigen Themen zu nähern. Sie sind abstrakt, laden zur Interaktion ein und erlauben uns Dinge zu hinterfragen“, sagte die Spieleerfinderin Brathwaite dem Wall Street Journal. Sie möchte mit Train über die Nazi-Zeit aufklären. Menschen zum Nachdenken anregen. Jede gelbe Spielfigur steht für 100.000 Juden. 60 davon sind im Spiel. „Sie symbolisieren die etwa sechs Millionen Juden, die während dieser Zeit umgebracht wurden“, erklärt Brathwaite. Das Spielbrett – ein zerbrochener Fensterrahmen – soll an die Kristallnacht erinnern.

Spielausgang ist offen

„Es ist ein schrecklicher Moment, wenn Leute das Ziel erreichen aber noch nicht wissen, was die eigentliche Intension des Spiels ist. Sie sind aufgeregt, dass sie gewonnen haben. Dann fallen sie sozusagen von hundert Metern in die Tiefe. Und die anderen Personen am Tisch schauen sie an und sagen: Oh mein Gott, du hast gerade 600.00 Juden ausgerottet“, erklärt Brathwaite. Das Ende des Spiels ist damit noch nicht erreicht. In der Anleitung steht der Satz: „Train ist vorbei, wenn es endet.“ Die Akteure können sich frei entscheiden zwischen dem Aufhören oder dem Weiterspielen. Die Regeln lassen sich sabotieren, indem die Spieler zum Beispiel absichtlich versuchen „Entgleisen“-Ereigniskarten zu ziehen. Aber selbst das irritiert. Wenn ein Zug entgleist, „wandert“ die Hälfte der Spielfiguren zurück auf das Startfeld. Die anderen bleiben auf dem Spielbrett stehen – eine Erklärung für dieses Verhalten bleibt Brathwaite schuldig. Einige Spieler spekulieren, dass die Figuren flüchten konnten, andere glauben dass sie tot sind.

Das Holocaust-Spiel polarisiert. Im Internet wird heiß darüber diskutiert.

Muss man solche Grausamkeiten als Spiel darstellen? Und wenn ja, warum? Darf man in absehbarer Zeit mit einem Spiel rechnen, das den Kindesmissbrauch in Klosterschulen und anderen Internaten thematisiert, oder den Amoklauf in Schulen (Winnenden)?

Forumsbeitrag auf heise.de von Wolfgang Nohl

Meine Meinung dazu: Man muss den Holocaust nicht als Spiel darstellen, aber man kann es – solange man mit viel Fingerspitzengefühl vorgeht. Brathwaite selbst sieht Train nicht als Brettspiel, sondern als Kunst. Und wenn Künstler Menschen zum Nachdenken bringen, haben sie etwas erreicht. So gibt es zum Beispiel auch sehr gelungene Theaterstücke über Amokläufe an Schulen.

Die Mechanik ist die Botschaft

Train ist nicht das erste Spiel der Autorin, das mit Emotionen spielt. Es ist Teil der Serie „The Mechanic is the Message“. Ziel dieser ist es, schwierige Erfahrungen durch ein Spiel als Medium auszudrücken. „Fotos, Literatur und Musik sind in der Lage, die volle Bandbreite menschlicher Erfahrungen von einem Menschen zu einem anderen zu transportieren. Das gilt auch für Spiele. Durch ihre Interaktivität stellen sie eine höhere Form der Kommunikation dar. Sie machen die Partizipienten zu einem Teil der Erfahrung statt einem passiven Beobachter“, schreibt Brathwaite auf ihrer Webseite.

In der Reihe „The Mechanic is the Message“ sind mehrere historische Spiele erschienen. „Irish Game“ thematisierte die Emigration der Iren in die USA, gespielt wird auf Grasmatten und Jutesäcken. In „The new world“ geht es um die Sklavenverschleppung nach Amerika. Ziel ist es, braune Figuren über den Atlantik zu schiffen. In „Trail of Tears“ repräsentieren 50.000 rote Holzfiguren den Genozid an den Indianern.

So wie die anderen Spiele auch ist Train weder zur Unterhaltung noch für den Verkauf gedacht. Für eine Serienherstellung ließe sich auch gar kein Verlag finden. Es existieren nur drei Exemplare des Spiels. Diese hat Brathwaite in zweimonatiger Handarbeit gefertigt. So Aufwendig wie die Herstellung ist auch die Präsentation des Spiels. Stets findet im Anschluss eine Stunde Nachbearbeitung und Diskussion statt.

Übrigens: Gerne hätte ich an dieser Stelle auch eine Stellungsnahme des Zentralrats der Juden in Deutschland veröffentlicht. Leider hat er auf meine Anfrage nicht reagiert. In dem Beitrag von heise.de über das Spiel steht allerdings: “Mitglieder aus der jüdischen Gemeinde dankten Brathwaite dafür, dass sie mit Train ein sehr wichtiges Werk zur Aufarbeitung des Holocaust geschaffen habe.”

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