15. September 2024
Annalena Baerbock. Foto: gruene.de

Annalena Baerbock: „Politik darf kein Spiel sein“

Annalena Baerbock ist nicht nur Kanzlerkandidatin der Grünen, sondern seit 2020 auch Botschafterin des Spielens. Wir haben uns mit ihr im Januar unterhalten – über Sagaland, das Recht auf Spiel und einen FDP-Antrag, den sie unterstützt.


Dieser Beitrag stammt aus „Null Ouvert – Magazin für analoge Spielkultur“. Mehr Informationen zu dem Heft findet ihr in diesem Beitrag.

Annalena Baerbock hat viele Ämter. Sie ist unter anderem Kanzlerkandidatin, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Bundestagsabgeordnete und Mitglied des Flüchtlingshilfevereins Hand in Hand. Seit August 2020 ist Baerbock auch Botschafterin des Spielens. Der Deutsche Verband der Spielwarenindustrie (DVSI) hat das verspielte Amt 2014 ins Leben gerufen. Baerbock ist nicht die Einzige mit dem Titel. Laut DVSI gibt es etwa hundert Botschafterinnen und Botschafter des Spielens, zum Beispiel Gesundheitsminister Jens Spahn, Bildungsministerin Anja Karliczek und Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters. Mehr dazu erfahrt ihr in diesem Artikel.

Frau Baerbock, wann haben Sie zuletzt gespielt?
Vorgestern. Mauseschlau und Bärenstark. Durch Corona bin ich viel mehr zu Hause, was meine zwei Töchter sehr freut.

Womit haben Sie als Kind gerne gespielt?
Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen, hatte immer Hummeln im Po und war viel draußen. Im Sommer haben wir viel Phantasie-Spiele gespielt, im Winter Eishockey auf dem See. Meine Lieblings-Gesellschaftsspiele waren Sagaland und später Trivial Pursuit.

Wieso haben Sie sich dazu entschieden, Botschafterin des Spielens zu werden?
Kinder, ihre Rechte und ihre Bedürfnisse, gehören für mich ins Zentrum des politischen Handelns. Und Kindsein heißt spielen, spielen, spielen. Manchmal allein für sich mit den eigenen Träumen, oft mit anderen zusammen – lachen, streiten, ausprobieren. Frei und kreativ. Und ich finde es wahnsinnig wichtig, dass wir diesem Teil der Kindheit wieder mehr Raum geben. Nicht nur, weil Kinder dadurch schlauer werden, lernen und Spielen gesund macht, sondern auch, weil es Kinder glücklich macht.

Was wollen Sie als Botschafterin des Spielens erreichen?
Kinder und ihre Interessen stärker in den Mittelpunkt unserer Gesellschaft zu bringen. Und da gehört das Spielen zentral mit dazu. Die Pandemie hat uns drastisch vor Augen geführt, dass Kinder hinten runterfallen. Sie wurden kaum gesehen, gehört, einbezogen. Dabei müssen die Bedürfnisse von Kindern in der Politik endlich den Stellenwert bekommen, den sie verdienen. Ich halte es deshalb für wichtig, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern – starke Kinder durch starke Rechte. Das ersetzt nicht, den Anspruch in der Realität umzusetzen, aber es ist die Maßgabe für eine gute Umsetzung. Das fängt bei der Spielplatz-Planung an, bei der Kinder stärker einbezogen werden sollten, geht über die Frage, ob Bolzplätze wegen zu viel „Kinderlärm“ erfolgreich beklagt werden können, und geht bis hin zum Kinder- und Jugendschutz.

Sie sind nicht nur Botschafterin des Spiels, sondern zusammen mit Robert Habeck auch Bundesvorsitzende der Grünen. Im Grundsatzprogramm der Partei steht: „Kinder brauchen die Freiheit zu spielen und zu lernen, zu lachen und zu weinen, zur Freude und zur Wut. Sie haben eigene Rechte. Diese gehören in den Mittelpunkt von Politik und Gesellschaft und sind im Grundgesetz eigenständig zu garantieren.“ Warum ist es wichtig, dass Kinder ein Recht auf Spiel haben?
Kinder haben ein Recht darauf, dass ihre Entwicklung gefördert wird und da ist nun mal das Spielen essentiell für die Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Sich auszuprobieren. Fehler zu machen. Dazu zu lernen. Zu gewinnen und zu verlieren. Kreativ und mutig zu sein. Und, und, und.

Macht es dabei einen Unterschied, ob Kinder analog oder digital spielen?
Mit anderen Kindern zu spielen, mit Bausteinen und Puppen, zu malen mit Stiften und Kreide, ist wichtig und macht Kindern Riesenspaß. Das kann kein digitales Spiel ersetzen. Die Corona-Pandemie zeigt aber auch: Es gibt tolle digitale Spielmöglichkeiten, vor den Bildschirmen, mit technischen Geräten. Kinder sollten die digitale Welt gemeinsam mit ihren Eltern entdecken.

Die Spiele-Autoren-Zunft (SAZ) fordert für alle Kulturprodukte und künstlerischen Leistungen den vergünstigten Umsatzsteuersatz, also auch für Spiele. Was halten Sie von der Idee?
Wenn man sieht, dass für Bücher, Theaterkarten und auch Ausmalhefte für Erwachsene der ermäßigte Mehrwertsteuersatz greift, für andere Kulturprodukte wie Brettspiele aber nicht, dann ist das schon etwas schräg. Dieses Durcheinander gibt es auch bei Lebensmitteln. Daher wollen wir durch eine grundsätzliche Reform den Wildwuchs beim ermäßigten Mehrwertsteuersatz beseitigen und durch ein transparentes Umsatzsteuersystem ablösen.

Die FDP setzt sich im Bundestag dafür ein, auch analoge Spiele in den Sammlungskatalog der Deutschen Nationalbibliothek aufzunehmen. Unterstützen Sie diesen Vorschlag?
Analoge Spiele sind ein wichtiges Kulturgut und klar, es wäre richtig, sie auch in den Sammlungskatalog aufzunehmen. [Hinweis der Redaktion: Die Grünen haben den FDP-Antrag im März trotzdem abgelehnt.]

Sie haben am 12. März 2020 im Bundestag eine Rede zur Situation an der türkisch-griechischen Grenze gehalten. Darin haben Sie gesagt, das menschenverachtende Spiel von Herrn Erdogan funktioniere vor allem, weil die EU deswegen in Angst und Schrecken verfalle. Ist auch Politik nur ein Spiel?
Nein. Politik darf eben kein Spiel sein. Wenn Kinder spielen, dürfen sie – in einem gewissen Rahmen – frei von Zielen und Erfolgsdruck, von Ernsthaftigkeit und Reglementierung agieren. Demokratische Politik muss hingegen einem klaren Zweck folgen und sich an klare Gesetzmäßigkeiten halten


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