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Krieg der Sterne: Spielerezensionen auf Amazon Vine

Vom Rezensions-Programm Amazon Vine profitieren fast alle Beteiligten: Amazon verdient damit Geld, Spieleverlage nutzen es als Marketing-Instrument und die Rezensenten freuen sich über kostenlose Spiele. Nur der ahnungslose Endkunde  ist der Dumme.


Dieser Artikel erschien erstmals 2014 in der spielbox.

Es geht um viel Geld. Wie hoch die Summe exakt ist, lässt sich nicht genau ermitteln. Kein Verlag gibt darüber Auskunft. Fest steht aber: Das Internet ist ein wichtiger Vertriebskanal für Unternehmen. Besonders wichtig ist Amazon. Zum perfekten Auftritt gehören dort neben Spielbeschreibungen und Fotos auch Kundenrezensionen. Studien zeigen, dass diese für potentielle Käufer sehr wichtig sind. Amazon hat deshalb 2007 ein Programm gestartet, um die Zahl der Kundenrezensionen systematisch zu erhöhen: Amazon Vine. Daran nehmen oder nahmen unter anderem Abacusspiele, Hasbro, Jumbo, Kosmos, Mattel, Moses, Noris, Pegasus, Piatnik, Queen Games, Ravensburger, Schmidt, Thinkfun und Zoch teil. Sie alle wählen Spiele aus, zu denen sie sich Rezensionen wünschen, zahlen einen Betrag X an Amazon und senden die Rezensionsexemplare an Amazon. Amazon schickte die Spiele weiter an Vine-Rezensenten. Diese erhalten die Spiele kostenlos und dürfen sie behalten – wie alle Produkte des Vine-Programms. Einzige Bedingung: Sie müssen die Spiele auf Amazon rezensieren. Verbraucherschützer sind darüber entsetzt. Für sie ist Amazon-Vine nur der  „Club der tollen Dichter“.  Warum, zeigt folgendes Beispiel.

Nachteile für Kunden

Amazon Vine
Amazon Vine

 Die Vine-Rezensenten sind sich einig: „Schon der Aufbau macht Spaß.“ „Das Spielmaterial ist ungewöhnlich hochwertig.“ „Das Spiel trägt den Titel ,Deluxe’ zu Recht im Namen.“ „Es ist „suuuuuuuuuuuper!!!“. 33 Personen haben Dog Deluxe von Schmidt auf Amazon bewertet, darunter zwanzig Vine-Rezensenten. Im Schnitt vergeben diese 4,6 von 5 möglichen Sternen. Kollege Udo Bartsch bewertet das Spiel auf seinem Blog dagegen mit 3 von 7 möglichen Sternen. Er schreibt: „Wertig wirkt das Holzbrett allerdings nicht. Um die Teile zusammenzustecken, muss hier und da Gewalt angewendet werden. Einige Platten sind dunkler, andere heller, das Spielfeld sieht zusammengeflickt aus, so als stammten die Teile aus zwei verschiedenen Spielen.“ Sein Fazit: „Dog Deluxe ist mäßig.“  Das Beispiel ist kein Einzelfall. In der Regel bewerten Vine-Mitglieder Spiele besser als Journalisten, Blogger oder BoardGameGeek-Nutzer. Leidtragende sind ahnungslose Kunden, die den Vine-Rezensionen vertrauen und für vermeintlich gute Spiele Geld ausgeben.

Vorteile für Verlage

Spieleverlage profitieren von dem Programm dagegen doppelt. Erstens generieren sie dadurch Aufmerksamkeit, vor allem für Neuheiten, die Vine-Rezensenten oft mit als Erste erhalten. „Ähnlich wie andere Spielwarenhersteller auch, sehen wir das Vine-Programm als einen von mehreren Bausteinen in unserem crossmedialen Marketingmix. Zudem können wir neben Journalisten normalen Fans die Möglichkeit geben, unsere Produkte vorab zu testen und uns frühzeitig Rückmeldungen zu geben. Wenn ein Spiel gut ist, erleichtert ihm das auch den Start“, sagt  die Kosmos-Sprecherin Silke Ruoff. Das sieht Thorsten Gimmler ähnlich. Der Schmidt-Produktmanager für Familien- und Erwachsenenspiele sagt: „Kunden nutzen heute mehrere Kanäle, bevor sie ihre Kaufentscheidung treffen. Eine Möglichkeit neue Produkte bekannt zu machen, ist der Test über unabhängige Produkttester des Amazon-Programms.“  Zweiter Vorteil sind – wie bereits angeklungen – die Rückmeldungen der Kunden. Das Vine-Programm ist Marktforschung 2.0.  „Wir bekommen damit bereits vor der Veröffentlichung eines Produktes Rückmeldung von Rezensenten, und das sind bei Amazon auch Kunden. Das ist sowohl für uns als auch für unsere Kunden von Vorteil. Im Gegensatz dazu brauchen klassische Rezensionskanäle sehr lange, bis wir eine Bewertung erhalten“, sagt Pegasus-Sprecher Michael Kränzle. Er betont wie alle Verlagsvertreter, mit denen wir gesprochen haben, die Unabhängigkeit der Rezensenten: „Vine-Rezensenten und vor allem ihre Meinung sind ja nicht von uns gekauft. Sie bewerten vielmehr nach Herzenslust das, was sie mögen, und weil sie das tun, erhofft man sich natürlich eine positive Resonanz auf ein Spiel.“

Kampf um Meinungshoheit

Angeblich macht es keinen Unterschied, ob ein Vine-Rezensent ein Gesellschaftsspiel mit einem oder mit fünf Sternen bewertet.  Amazon schreibt im Netz: „Uns sind ehrliche Meinungen über das Produkt wichtig – positive oder negative.“ Richtig ist: Jeder kann schreiben, was er möchte. Verboten sind lediglich Obszönitäten oder gehässige Bemerkungen. Ebenfalls unerwünscht sind Einwort-Kritiken sowie Angaben zur Verfügbarkeit, zum Preis oder zu alternativen Bestellmöglichkeiten. „Die besten Rezensionen geben nicht nur Auskunft darüber, ob ein Produkt dem Käufer gefallen oder missfallen hat, sondern nennen auch die Gründe dafür“, schreibt Amazon. Was die besten Rezensionen sind, entscheiden bei Amazon alle Nutzer gemeinsam. Jeder kann mit einem Klick bewerten, ob eine Rezension für ihn hilfreich war oder nicht. Eine Rezension, die viele Nutzer als hilfreich erachten, wird eher angezeigt – unabhängig davon, ob der Rezensent ein Spiel mit fünf oder nur mit einem Stern bewertet.  Die Idee klingt gut, scheint aber nicht zu funktionieren. Die Verbraucherzentale NRW schreibt: „Der Vine-Club kann seine Sterne meist exklusiv verteilen. Will ein echter Kunde ein negatives Urteil über ein solches Produkt fällen, wird er verdutzt auf die Phalanx lobender Ergüsse treffen. Nicht jeder wird den Mumm aufbringen, den ,besten Rezensenten’ des größten Einkaufsportals die Meinungs-Stirn zu bieten.“

Amazon schweigt

Tim Koch betreibt den Blog spielfreude.blogspot.de und hat auf Amazon über 90 Rezensionen verfasst. Er ist kein Vine-Mitglied, aber ein Amazon-Top-Rezensent: Er sagt: „Rezensionen abzuwerten ist bei Amazon leider eine beliebte Taktik. Gerade bei Brettspielen ist das sehr effektiv, da die Zahl der Hilfreich-Klicks bei Spielen sehr überschaubar ist. Negative Erfahrungen habe ich persönlich jedoch bislang nur mit Nutzern gesammelt, die keine Vine-Mitglieder sind.“  Die Pressestelle von Amazon will die Beobachtungen von Koch nicht kommentieren. Selbst auf Nachfrage verweisen die Mitarbeiter nur auf die allgemeine Informationsseite amazon.de/gp/vine/help. Dort würden angeblich die wichtigsten Fragen beantwortet. Zum Beispiel: Wer wird Vine-Rezensent? Die Antwort: „Die Teilnahme bei Amazon Vine erfolgt ausschließlich auf Einladung. Kunden, die durchgängig hilfreiche Rezensionen schreiben und sich einen Ruf als Experten in bestimmten Produktkategorien erarbeitet haben, werden mit besonders hoher Wahrscheinlichkeit zur Teilnahme am Programm eingeladen.“ Was das genau heißt und wann ein Kunde zum Experten aufsteigt, bleibt das Geheimnis des Unternehmens.

Weitere offene Fragen: Wie viele Vine-Tester gibt es? Kann ein Vine-Tester diesen Status wieder verlieren? Wird ein Spiel mit vielen Rezensionen öfter angezeigt als ein Spiel mit keinen Rezensionen?  Und selbst die banale Frage, wofür der Name Vine steht, bleibt unbeantwortet. Auch die Vine-Mitglieder dürfen sich nicht über das Programm äußern. In den Teilnahmebedingungen steht: „Vine-Mitglieder verpflichten sich, jegliche, nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Informationen [sic], die ihnen in Bezug auf Vine Produkte oder das Programm zur Verfügung gestellt wurden […] streng vertraulich zu behandeln.“ Wir haben trotzdem mit einem Vine-Rezensenten gesprochen. Der Mann, der anonym bleiben will, sagt: „Viele Vine-Mitglieder, die Gesellschaftsspiele rezensieren, kennen sich mit Spielen nicht aus.“ Das sei teilweise erwünscht. Amazon wolle keine Spezialisten, sondern normale Kundenmeinungen. Die normalen Kunden ließen sich aber manchmal auch schnell beeindrucken. „Man ist milde gestimmt, wenn man ein Spiel umsonst bekommt“, sagt der Mann. Er kann sich sogar vorstellen, dass einige Vine-Rezensenten die Spiele gar nicht richtig spielen oder ausprobieren. „Da sie trotzdem eine Rezension verfassen müssen, schreiben sie einfach von anderen Rezensenten ab.“

Kritik unerwünscht

Immerhin kennzeichnet Amazon die Vine-Rezensionen als solche. Vorausgesetzt, es handelt sich bei den Nutzeren um offizielle Vine-Mitglieder. Es gibt aber auch Verlage wie Hasbro. Das Unternehmen bemustert nicht nur Vine-Rezensenten, sondern hat zusätzlich ein eigenes Rezensions-Programm auf die Beine gestellt. „Viele Kunden wissen inzwischen, dass man durch publizistische Funktion bestimmte Produkte umsonst bekommt“, sagt der Unternehmenssprecher Jörg Mutz. Wirke eine Anfrage seriös, versende Hasbro oft ein Rezensionsexemplar. Und wenn dann eine erneute Anfrage kommt? Dann schaue man, ob derjenige positiv über die Hasbro-Produkte geschrieben habe. Wenn dies nicht der Fall sei, bekomme derjenige eher keine Rezensionsexemplare mehr zugesandt. Mutz betont, dass dies im seriösen Rezensions-Bereich anders sei. Professionelle Spiele-Blogger und Journalisten dürfen also ihre eigene Meinung veröffentlichen – alle anderen anscheinend nur, wenn sie positiv ist.

Zehn Rezensionen für 199 US-Dollar
Neben Kritiken von normalen Kunden oder Rezensionsprogramm-Teilnehmern findet man in vielen Online-Shops anscheinend auch unechte Rezensionen. „Rund 20 bis 30 Prozent der Bewertungen sind gefälscht“, sagt der Marketing-Experte Krischan Kuberzig auf computerbild.de. Jeder der möchte, kann solche Kritiken im Internet bestellen. Zehn Rezensionen kosten bei www.buyamazonreviews.com knapp 200 US-Dollar. Das Unternehmen verspricht: „Wir rezensieren ihr Kindle-Buch oder ihr Produkt und veröffentlichen eine begeisterte Rezension, die Kunden sprichwörtlich dazu drängt, ihr Buch oder ihr Produkt zu kaufen.“ Mehrere Journalisten und Blogger sind zum Schein auf solche und ähnliche Angebote eingegangen. Einhelliges Fazit: Wer zahlt, erhält die versprochenen Rezensionen. Die Agenturen kennen anscheinend die Schwachstellen der Shops. „Die Bewertungen sollen möglichst ausgewogen und authentisch wirken. Deshalb findet man nur noch selten reine Jubeltexte mit Fünf-Sterne-Urteil. Oft wird in einer Rezension nur zum Schein eine Nebensache kritisiert. Zum Beispiel: Die Lieferung hat etwas zu lange gedauert, aber das Produkt ist super“, sagt Kuberzig. Außerdem versuchten Fälscher oft, gezielt Mängel, die andere Rezensenten betonen zu entkräften. Es gibt Indizien, die darauf hinweisen, dass das auch bei Spielen passiert – wenn auch nur ganz selten. Beweisen lässt sich dieser Verdacht jedoch nicht.

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