25. November 2024
Foto: Ravensburger

Minecraft: Vom Computerspiel zum Brettspiel

Ulrich Blum hat das Brettspiel Minecraft Builders & Biomes entwickelt. Er hat sich dabei auf die Stärken des analogen Mediums konzentriert, MinecraftKernprinzipien gesucht und nach den Emotionen, die diese auslösen. Ein Entwicklertagebuch.


Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Ulrich Blum. Ihr wollt auch Beiträge auf kulturgutspiel.de veröffentlichen? Super! Wir freuen uns immer über Gastautorinnen und Gastautoren. Falls ihr das Brettspiel noch nicht kennt, empfehlen wir zum Einstieg die Regelübersicht von 1Minute1BoardGame.

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Um zu erklären wie „Minecraft Builders & Biomes“ entstanden ist, muss ich etwas ausholen: Normalerweise gibt es im Entstehungsprozess eines Spiels einige Parallelen zum Schreiben eines Romans. Der Autor arbeitet erst lange selbst an einem Projekt. Irgendwann hat er das Gefühl, dass das Spiel „fertig“ ist. Wobei dieses „fertig“ nicht Grafik oder Material meint, sondern sich primär auf Mechaniken und andere Elemente, für die der Autor zuständig ist, bezieht. Mit diesem Prototypen geht der Autor dann zu Verlagen, stellt ihnen das Spiel vor und hofft auf einen Publikationsvertrag. Kommt ein solcher zustande, wird zusammen mit dem Verlag nochmals am Spiel gearbeitet. Das beinhaltet zwar auch Veränderungen am Spielsystem, aber meist geht es vor allem darum wie aus dem Prototypen ein fertiges, gedrucktes Spiel mit schönen Illustrationen und tollem Material wird.

Sonderfall Minecraft-Lizenz

Wenn es um die Entwicklung eines Spiels mit Lizenzthema geht, macht dieser Prozess wenig Sinn. Die Chance, dass ein Autor rein zufällig im richtigen Moment mit einem Spiel, das zur Lizenz passt, beim Verlag anklopft, ist verschwinden gering. Entsprechend hat Ravensburger für Minecraft einige Autoren gebeten, erste Konzepte zu Spielen einzureichen. Unter anderem auch mich. Nun sind solche Prozesse, bei denen mehrer Kollegen angesprochen werden, immer mit dem Risiko behaftet, dass man Arbeit reinsteckt, ohne am Schluss das Spiel machen zu können. Entsprechend bin ich sonst vorsichtig und versuche, meinen Aufwand im Vorfeld gering zu halten; insbesondere auch aus wirtschaftlichen Überlegungen, da ich vom Spiele-Entwickeln lebe. Als ich aber hörte, dass es um Minecraft geht, war schnell alle wirtschaftliche Vernunft über Bord geworfen. Ich kannte Minecraft und hatte diverse schöne Stunden mit dem Spiel verbracht. Zwar bei weitem nicht so viele wie die wirklichen Fans, aber genug um zu wissen, dass ich sehr große Lust hatte mich dieser Herausforderung zu stellen. Oder mit anderen Worten: Ich hatte einfach zu viel Lust auf das Projekt, um mich nicht voll rein zu geben.

Als erstes habe ich ungefähr eine Woche nicht viel anderes gemacht, als Minecraft zu spielen. Erst nur so, um mich wieder mit dem Spiel vertraut zu machen, dann immer analytischer. Minecraft ist ein Sandbox-Spiel. Das bedeutet, dass das Spiel kaum Vorgaben macht, wie man es spielt. Es gibt eine unglaubliche Fülle an Dingen die man machen kann, ohne dass etwas davon besser als etwas anderes ist. Vielmehr entscheidet man für sich, worauf man Lust hat und was man erreichen will. Hier lag mein Hauptfokus der Analyse: Was genau tue ich? Welche Ziele setze ich mir? Und warum? Welche Erlebnisse interessieren mich und welche eher weniger? Und am wichtigsten: Wie fühle ich mich bei all dem?

Mit Abbau statt Aufbau in die zweite Runde

Eine Sache war mir relativ schnell klar. Es musste Würfel in dem Spiel geben. Physische, grosse Blöcke, die ich anfassen und stapeln kann, mit denen ich rumspielen kann. Viele davon. Und was sollten wir damit tun? Dinge bauen natürlich, oder? Leider nein. Nach einem Gespräch mit Daniel Greiner, dem Redakteur der bei Ravensburger das Spiel betreuen würde, musste ich diese Idee begraben. Daniels grobe Schätzung war, dass wir etwa hundert Holzwürfel in das Spiel packen könnten, ohne bei einem Verkaufspreis zu landen, den niemand mehr zahlen würde. Je größer die Klötze, desto weniger würden es sein. Die Vorstellung dass vier Spieler mit ein paar Dutzend Klötzen dreidimensionale Dinge bauen sollten war wenig prickelnd. Es würden nur einfachste Gebilde möglich sein. Ausserdem haben reale Holzwürfel die anstrengende Angewohnheit, sich an die Gesetze der Physik zu halten. Ganz im Gegensatz zu den digitalen Minecraft-Klötzen. Ich musste mir etwas anderes überlegen.

Ich hatte mir einen Sack voller großer Holzklötze gekauft und spielte ein bisschen damit herum, um auf Ideen zu kommen. Irgendwann stand dieser Klotz bestehend aus 4x4x4 Würfeln vor mir. Was folgte war einer dieser seltenen Momente im kreativen Prozess, in denen plötzlich alles zusammenkommt und Sinn ergibt. Wenn schon der Bau-Aspekt von Minecraft nicht dreidimensional abbildbar war, so doch wenigstens das Mining, sprich das Abbauen der Rohstoffe. Darum herum baute ich ein System, in dem möglichst viele Aspekte von Minecraft dargestellt wurden. Den Entwurf gab ich für die erste Runde der Beurteilungen an Ravensburger.

Tatsächlich kam ich mit meinem Entwurf eine Runde weiter. Doch die Rückmeldung für die nächste Überarbeitung war: Wir mögen den Block mit den Rohstoffen sehr, aber alles darum herum ist viel zu kompliziert für die Zielgruppe. Schmeiß das am besten alles weg und bau was neues.

Das klingt vielleicht etwas hart, aber ich wollte den Zuschlag bekommen, das Spiel machen zu dürfen. Eine Rückmeldung, die mich dazu verleitet hätte, das vorhandene System nur etwas zu vereinfachen, wäre hier viel schlimmer gewesen. Manchmal ist es besser, schnell zu akzeptieren, dass man auf dem Holzweg ist und etwas anderes zu versuchen.

Verdeckter Markt als interessante Kosten-Nutzen-Abwägung

Der nächste Entwurf war radikal vereinfacht. Es gab den Rohstoffwürfel, in dem man sich die Baustoffe holte und einen Markt mit Gebäuden. Diese wiederum baute man in einem persönlichen 3×3 Raster und versuchte so, bestimmte Kombinationen zu erhalten.

Mit diesem Entwurf erhielt ich den Zuschlag. Meine Freude war sehr gross. Ich wusste nun, dass meine Arbeit nicht umsonst gewesen war. Doch genau so klar war, dass die wirkliche Arbeit jetzt erst anfing. Es war Mitte Februar und bis Ende Mai musste das Spiel so weit sein, dass die Vorbereitung für die Produktion beginnen konnte. Der Zeitplan war extrem eng. Zum Vergleich: Normalerweise kommt man, wie oben beschrieben, mit einem weitgehend durchgetesteten Spiel zum Verlag. Von der Vertragsunterzeichnung bis zur Publikation vergeht dann gut und gerne nochmals ein ganzes Jahr.

Als erstes musste mein vereinfachter Prototyp wieder komplexer werden. Die Gebäude aus einem offenen Markt zu kaufen, fühlte sich wenig nach Minecraft an. Ich setzte mich einen Tag hin und spielte das Computerspiel, auf der Suche nach Elementen, die ich verwenden könnte. Ich merkte, dass ich es sehr befriedigend fand, meine Umgebung zu erkunden und dabei neue Dinge zu entdecken.

Ich probierte deshalb in meinem Prototypen einige Varianten von einem verdeckten Markt, in dem man entdecken musste, was man später bauen wollte. Gleichzeitig brachte dies eine interessante  Kosten-Nutzen-Abwägung: Baue ich dieses halbpassende Gebäude? Oder suche ich lieber weiter nach etwas besserem? Vergleichsweise schnell landete ich bei der Auslage, die sich auch im fertigen Spiel noch findet. Ich bemerkte, dass diese Auslage fast schon eine Spiegelung des Rohstoffwürfels war. Sie bestand auch aus 4x4x4 Elementen, nur halt Plättchen statt Würfeln. Ich wusste, dass ich auf dem richtigen Weg war und die Kernelemente des Spielsystems stehen.

Extrem schnellen Iterationszyklen

Doch es gab noch viel zu tun: Ab jetzt drehte sich alles um die Frage, was auf den 64 Marktkarten drauf sein sollte. Wir begannen mit extrem schnellen Iterationszyklen. Fast täglich gab es eine neue Version des Prototypen, die sofort in Ravensburg und Stockholm (dem Sitz von Mojang, dem Entwicklerstudio von Minecraft) nachgebaut und getestet wurden. Wir haben in dieser Zeit versucht, so ziemlich jedes Element von Minecraft zu adaptieren: Höhlen, Farming, Dörfer, Crafting, und so weiter. Je mehr wir testeten, desto mehr fiel raus. Es war jedes mal erstaunlich zu sehen, was man alles rausschmeissen konnte, obwohl man vorher dachte, dass dieses Element zentral für das Spielerlebnis sei.

Übrig blieben Gebäude und Monster. Mehr brauchte das Spiel nicht, um eine überraschend breite Zielgruppe abzuholen. Am wichtigsten war es, die (oft jugendlichen) Minecraft Fans anzusprechen. Doch es war sehr schön zu sehen, dass auch Eltern voll dabei waren. Dass sogar Vielspieler sich gut unterhalten fühlten und genügend interessante Entscheidungen vorfanden, war das Sahnehäubchen. Es deutete alles darauf hin, dass wir ein gutes Gateway-Spiel geschaffen hatten, ein Spiel mit einfachem Einstieg aber langanhaltendem Spielspaß für eine breite Zielgruppe.

Die Arbeit am Brettspiel Minecraft Builders & Biomes war eine sehr stressige und intensive Zeit, die aber auch einige unglaublich befriedigende Momente mit sich brachte. Insbesondere die enge Zusammenarbeit mit Daniel Greiner bei Ravensburger und einigen Game Designern bei Mojang war enorm inspirierend und positiv. Man merkte, dass alle das bestmögliche Spiel entwickeln wollten. Ich möchte mich hier nochmals bei allen Beteiligten für diese Arbeit bedanken. Ohne die großartig Zusammenarbeit wäre das Spiel niemals so gut geworden.

Minecraft Builders & Biomes
Minecraft: Builders & Biomes ist ein Spiel für zwei bis vier Personen ab zehn Jahren. Es ist von Ulrich Blum und bei Ravensburger erschienen. Das Spiel dauert 30 bis 60 Minuten und kostet etwa 40 Euro. Wie am Computer entdecken Spielerinnen und Spieler auch beim Brettspiel die Oberwelt, konstruieren Bauwerke und bauen Rohstoffe ab. Für fertiggestellte Gebäude und besiegte Monster sammeln sie Erfahrungspunkte. Es gewinnt die Person mit den meisten Erfahrungspunkten.

Zwei bis vier Personen finden sich in einem unbekannten Teil der Oberwelt wieder, bestehend aus einem Raster von Kartenstapeln. Daneben ein großer Würfel aus 64 zufällig angeordneten Ressourcenblöcken. Pro Zug machendie Spieler immer zwei von fünf möglichen Aktionen. Zu Beginn des Spiels erkunden sie erst einmal die Kartenstapel in ihrer Umgebung und bauen Blöcke aus dem Ressourcenwürfel ab. Welche Bauwerke verbergen sich in den Kartenstapeln? Ein Steinhaus in der verschneiten Tundra? Ein Lamastall im Gebirge? Eine Holzbrücke in der Wüste? Die Spieler versuchen, ein möglichst großes zusammenhängendes Gebiet aus Wald, Wüste, Bergen oder verschneiter Tundra auf ihrem Spielplanzu erschaffen. Je größer die Fläche, desto mehr Punkte gibt es. Die Arten der Bauwerke und Baumaterialien haben auch Einfluss auf den Punktestand. Monster bringen Boni und Extrazüge. In den Stapeln verstecken sich Endermen, Creepers und andere Monster, die man mit Waffen besiegen kann. Um ein Monster zu bekämpfen, drehen die Spieler drei Waffenplättchen um. Ein Diamantschwert – ein guter Anfang! Eine giftige Kartoffel – Pech gehabt. Alle Blicke richten sich gespannt aufs letzte Plättchen: noch eine Kartoffel, noch eine Niete! Zwar war dieser Kampf nicht siegreich, aber die, die ihre Monster schlagen, erhalten Belohnungen wie Extrazüge oder Bonuspunkte. Die Punkte werden gezählt, wenn die Lagen des Ressourcenwürfels abgebaut sind. Sobald die dritte Lageabgetragen ist, endet das Spiel.

Ein Kommentar

  1. Superinteressanter Einblick ins Autorenleben, herzlichen Dank 🙂
    Ich trauere zwar ein wenig dem komplexeren Modell hinterher, aber wir werden es wohl auf jeden Fall testen… daran führt sowieso kein Weg vorbei mit einem Minecraftbesessenen Kind im Haushalt 😛

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