Spyderling ist einer der wenigen Romane, in denen Brettspiele eine prominente Rolle spielen. Ist das Buch ein „großer Spaß“ oder hat sich der Autor damit „grandios verzockt“? Die Pressestimmen auf der Verlagshomepage lassen ersteres vermuten. Wer die kompletten Rezensionen liest, dürfte zu einem anderen Fazit kommen.
Trommeln gehört zum Geschäft, nicht nur in der Musik-, sondern auch in der Buchbranche. Mehr als 77.000 neue Bücher erscheinen jedes Jahr in Deutschland. Die wenigsten davon schaffen es auf Bestsellerlisten. Damit auch andere Bücher die Kassen klingeln lassen, nutzen Buchverlage zahlreiche Marketinginstrumente, darunter Auszüge aus Rezensionen. „Pressestimmen sind sehr wichtig, Verlage setzen diese weiterhin gern zu Marketingzwecken ein“, sagt Thomas Koch, Sprecher des Branchenverbandes Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Auch Dumont zitiert bei Spyderling Zeitungen und Blogs. Der Buchverlag präsentiert die „Stimmen zum Buch“ auf der Homepage zum Brettspiel-Roman in großen Buchstaben.
Branchenverband regelt Verwendung von Buchrezensionen
Die Zusammenarbeit zwischen Verlagen und Medien basiert auf einem Geben und Nehmen. Beide Seiten profitieren voneinander.
Buch- und Hörbuchverlage betreiben regelmäßig eine personal- und ressourcenintensive Pressearbeit, organisieren Autorenkontakte und stellen den Medien frühzeitig Informationen und kostenlose Rezensionsexemplare zur Verfügung. Print-, Online- und gesendete Medien und die für sie arbeitenden angestellten und freien Journalisten rezensieren und berichten über Autoren und ihre Veröffentlichungen. Dieses Zusammenwirken von Buchverlagen, Medien und Journalisten erfolgt auch im Bewusstsein der gegenseitigen Werbewirkung: Indem kurze Ausschnitte der Rezensionen und Berichte zur Bewerbung des besprochenen Buches genutzt werden können, fungiert das Buch zugleich durch die Nennung des Zitatgebers national und international als Werbeträger für das Pressemedium.
Regeln des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V. zur Verwendung von Buchrezensionen
Das Zitat stammt aus den Regeln des Börsenvereins zum Umgang mit Rezensionen. Der Branchenverband hat sie 2013 veröffentlicht. „Wirklich ausdrücklich unterschrieben haben die Regeln nur wenige Fachverlage und kaum Zeitungsverlage. Aber die Regeln werden dennoch von vielen Buchverlagen so gelebt“, sagt Koch. Die Regeln setzen quasi Standards für den Umgang mit Rezensionen beziehungsweise Auszügen daraus. Unter anderem heißt es darin:
Der Auszug wird wörtlich und korrekt wiedergegeben und darf nicht sinnentstellend gekürzt werden. Die Auswahl des Auszugs darf der Tendenz der Rezension nicht zuwiderlaufen.
Regeln des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V. zur Verwendung von Buchrezensionen
Trifft das bei Spyderling auf die „Stimmen zum Buch“ zu? Vier Beispiele zeigen, dass dies fraglich ist.
Macht zeigt sich immer wieder als gewitzter Erzähler von absurden Situationen.
Ausgewähltes Zitat des Dumont Buchverlags, Rezension von Timo Posselt, Süddeutsche Zeitung
Zitat im Kontext: „Der Roman gewinnt etwas Tempo, als die Ravensburger-Avantgarde sich in die Hauptstadt der Republik Moldau aufmacht und in Chişinău die Punkband mit dem sprechenden Namen ,Taxi Terreur & The Hilterbabies‘ aufgabelt. Macht zeigt sich dabei immer wieder als gewitzter Erzähler von absurden Situationen. Sprachlich gestaltet er seine Sätze so vollmundig wie die Beschreibungen der moldauischen Spezialitäten und lässt sie teilweise seitenlang überborden. Seine Figuren bleiben trotz der expressiven Erscheinungen und Namen eigentümlich farblos.“
Fazit der Rezension: „Macht behauptet in seinem Roman das Brettspiel als Parabel auf das Leben und verzockt sich grandios.“
Schreiben und erzählen kann Macht unbedingt.
Ausgewähltes Zitat des Dumont Buchverlags, Rezension von Gunter Blank, Rolling Stone
Zitat im Kontext: „Zeitebenen schieben sich ineinander, Erinnerungen zerfließen und Daytona wird in einer Art Doppelhelix aus früheren und gegenwärtigen Ereignissen davongewirbelt, was den Leser einigermaßen irritiert und ratlos zurücklässt. Schreiben und erzählen kann Macht unbedingt, doch wünscht man sich, er würde es beim nächsten Mal schaffen, seine überbordende Erzähllaune etwas gedankenstraffer einzusetzen.“
Fazit der Rezension: 2,5 von 5 möglichen Sternen.
Macht versteht sich auf die Schilderung absurder Situationen und Verhältnisse.
Ausgewähltes Zitat des Dumont Buchverlags, Sebastian Fasthuber, Falter
Zitat im Kontext: „In die Kategorie ,WTF did I just read‘ fällt der Roman ,Spyderling‘ des deutschen Autors Sascha Macht. Während die Welt am Abgrund steht, trifft sich die Elite der Brettspielentwickler auf einem Weingut in der Republik Moldau zum informellen Austausch. Heißt konkret: Es wird ziemlich viel gesoffen, Unsinn geredet, rumgemacht. Außerdem probiert man die gut ausgestattete Ludothek des Hauses durch. Macht versteht sich auf die Schilderung absurder Situationen und Verhältnisse. Viel mehr Positives lässt sich über seinen fast 500 Seiten starken Roman leider nicht sagen.“
Fazit der Rezension: „Das Lektorat hat allem Anschein nach frühzeitig kapituliert, anders lässt sich vieles in diesem Buch einfach nicht erklären.“
Ein großer Spaß.
Ausgewähltes Zitat des Dumont Buchverlags, Ingeborg Jaiser, Titel-Kulturmagazin
Zitat im Kontext: „Sascha Macht erschafft eine finstere Szenerie, die an einer brodelnden Überdosis von Gerüchen, Farben, Eindrücken zu ersticken droht. Die von ihm beschworene Parallelwelt zerbirst an maßlosen, seiten- und kapitellangen Aufzählungen, an ausufernden Spielebeschreibungen und detailverliebten Fantasien. Für einen Insider sicherlich ein großer Spaß. Wer dem Thema weniger verbunden ist, mag sich leider über weite Strecken langweilen, angesichts der ausufernden Aufzählungen und Ausschmückungen und der nicht enden wollenden Abfolge von Albträumen.“
Tatsächliches Fazit: „Wer die fast 500 Seiten bis zum apokalyptischen Showdown durchhält, kann sich erschöpft die geröteten Augen reiben und erleichtert zurücklehnen. Vielleicht war alles nur ein Spiel?“
Warum hat sich der Dumont-Verlag gerade für diese Auszüge entschieden? Wurden die Auszüge sinnentstellend gekürzt? Wir haben den Verlag gefragt und ihm drei Tage zur Beantwortung gegeben. Die Rückmeldung: Die Fragen könnten in der Kürze der Zeit nicht in dem Maße detailiert beantwortet werden. Der Verlag versichert jedoch: „Wir zitieren aus den Medien nach bestem Wissen und Gewissen, nach Rücksprache, und sind mit ihnen im ständigen Austausch.“ Das bestätigen verschiedene Journalistinnen und Journalisten, die wir angeschrieben haben. Alle betonen die gute Zusammenarbeit mit Dumont. Keine Person fand die ausgewählten Auszüge aus ihrer oder seiner Rezension problematisch.
Beim Auszug aus der Rezension von Ingeborg Jaiser spricht der Verlag nach unserer Anfrage von einem Fehler. Dieser sei sinnverfälschend und werde korrigiert. Der ursprünglich ausgewählte Auszug lautete: „Ein großer Spaß.“ Im Original heißt es: „Für einen Insider sicherlich ein großer Spaß.“ Beim Falter-Auszug sehe der Verlag nichts Sinnverfälschendes. Das ausgewählte Zitat lautet: „Macht versteht sich auf die Schilderung absurder Situationen und Verhältnisse.“ Das Zitat im Kontext lautet: „Macht versteht sich auf die Schilderung absurder Situationen und Verhältnisse. Viel mehr Positives lässt sich über seinen fast 500 Seiten starken Roman leider nicht sagen.“ Ja, der ausgewählte Auszug wurde nicht sinnentstellend gekürzt. Aber läuft er nicht der Tendenz der Rezension zuwider? Falls ja, trifft das auf weitere Auszüge zu?
Artikel aus 2018 wirbt für Roman aus 2022
Nicht nur die „Stimmen zum Buch“ werfen Fragen auf, sondern auch der Text auf der Rückseite von Spyderling. Dort wird die Märkische Oderzeitung (Moz) zitiert:
Sascha Macht ist ein begnadeter Schöpfer absurder Verhältnisse und wirrer Welten. Seine Texte sind alles andere als Literatur der Sanftmut. Sie sind wie aufgepeitschte See, Hochzeitsparty in der Geisterbahn und eine scharfsichtige, scharfzüngige Abrechnung.
Ausgewähltes Zitat des Dumont Buchverlags, Uwe Stiehler, Märkische Oderzeitung
Das Lob bezieht sich nicht auf Spyderling. Der zitierte Artikel erschien bereits im November 2018. Damals stellte sich Macht als Burgschreiber von Beeskow vor. Spyderling rezensierte die Moz im März 2022. Der Autor Boris Kruse schreibt in seiner Kritik unter anderem:
Ein strengeres Lektorat hätte dem fast 500 Seiten dicken Roman unbedingt gutgetan. Spyderling wäre nicht nur leichter zugänglich geworden, er hätte auch an Konzentration und Kraft gewonnen.
Spyderling-Rezension von Boris Kruse, Märkische Oderzeitung
Das hat dem Dumont-Verlag offenbar nicht gefallen. Weder auf der Buchrückseite noch bei den „Stimmen zum Buch“ tauchen Auszüge aus der Kritik auf. Anscheinend sollen keine Misstöne die Vermarktung des Buches stören. Schließlich gehört Trommeln zum Geschäft. Nicht nur in der Musik-, sondern auch in der Buchbranche.
Spyderling – Handlung: Daytona Sepulveda entwickelt Brettspiele. In Fachkreisen wird sie „Die Verschwundene“ genannt. Der Name basiert auf tatsächlichen Ereignissen. Sie war eine Zeit lang verschollen und hat Schlimmes erlebt. Nun ist Sepulveda zusammen mit sieben weitere Brettspielentwicklerinnen und -Entwicklern auf ein Weingut in der Republik Moldau eingeladen – von Spyderling, dem Guru der Spieleautoren, den allerdings noch nie jemand zu Gesicht bekommen hat. Die Tage vergehen, und die kreativen Geister sind derweil auf sich allein gestellt, denn Spyderling lässt sich nicht blicken – man schmaust, säuft, liegt am Pool herum, fällt übereinander her. Doch als ein furchterregendes Brettspiel namens Maunstein auftaucht, beginnt die Wirklichkeit auf dem Weingut durchlässig zu werden: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschieben sich ineinander, Grausamkeiten geschehen und eine extremistische Rockband macht sich auf dem Anwesen breit.
Spyderling – Autor: Sascha Macht, 1986 in Frankfurt (Oder) geboren, studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Er veröffentlichte in diversen Anthologien und Literaturzeitschriften und war unter anderem Stipendiat des Deutschen Literaturfonds, der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen und des Literarischen Colloquiums Berlin. Für seinen Roman „Der Krieg im Garten des Königs der Toten“ wurde er mit dem Debütpreis der lit.Cologne ausgezeichnet. Ebenfalls 2016 wurde er zum Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis eingeladen. 2018/19 war er Burgschreiber zu Beeskow. Macht lebt in Leipzig.