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Geschichten und Storytelling in Brettspielen

Pandemic Legacy, The King’s Dilemma, Adventure Games: Immer mehr Spiele erzählen Geschichten. Doch sind Spiele überhaupt das richtige Medium dafür? Ein Interview mit Hauke Gerdes und Kayleigh Anderson. Sie haben verschiedene Rollenspiele geschrieben und die Geschichte zum Adventure Game„Die Akte Gloom City“, das im Herbst 2020 erscheinen soll.


In den kooperativen Adventure Games, die im Frühjahr 2019 bei Kosmos erscheinen sind, müssen Spielerinnen und Spieler das Geheimnis einer Geschichte enthüllen. Dazu erkunden sie gemeinsam Räume, sprechen mit Personen, suchen Hinweise und kombinieren verschiedene Gegenstände. So entdecken sie nach und nach die Geschichte, in der sie sich befinden. Während bei Escape-Spielen die Rätsel im Vordergrund stehen, liegt bei den Adventure Games der Fokus auf der Geschichte.

Wie unterscheiden sich Geschichten in Brettspielen von Geschichten in Büchern, Filmen oder Computerspielen?
Auch unter den analogen Spielen unterscheidet sich die Art der Erzählung untereinander sehr. Punkte, die aber viele analoge Spiele gemein haben, sind Interaktivität, die Haptik-Komponente, aber auch dass man einen begrenzten zeitlichen Rahmen hat, um seine Geschichte zu erzählen. Während Filme sehr viele Eindrücke über die visuelle Ebene vermitteln können und man sich einem Buch auch gerne mehrere Tage widmet, muss im analogen das geschriebene/gesprochene Wort mit vergleichsweise wenig Bildmaterial auskommen und dennoch eine spannende Geschichte in einer kurzen Zeitspanne unterbringen.

Was macht eine gute Geschichte aus?
In meinen Augen zeichnet sich eine gute Geschichte durch ein stimmiges, rundes Gesamtpaket aus. Einzelne Aspekte können noch so stark sein; wenn der Rest schwächelt mindert es den Spaß am Lesen und erleben massiv. Man kann einen herausragenden Plot haben, der durch eine schwache Narrative komplett an Eindruck verliert. Oder interessante Charaktere, die durch eine flache Darstellung niemals richtig zur Geltung kommen. Auch einer mitreißenden Thematik folgt man nur so lange interessiert, wie die Vermittlung stimmt. Wird es da zu trocken leidet die Motivation sich weiter damit zu befassen.

Eine gute Geschichte muss nicht in all diesen Punkten bis zur Vollendung brillieren, doch wenn man einen dieser Faktoren komplett aus den Augen verliert, kann der Rest daran scheitern.

Wie man dann im Einzelnen diese Punkte als Autor umsetzt variiert natürlich und unterscheidet sich im Stil des Autoren, der Vorliebe der Leser und der Prämisse der Geschichte selbst. Eine Erzählstruktur, die für eine Coming-of-age Geschichte hervorragend funktioniert wird dies selten auch für einen Thriller tun.

Sind Brettspiele das richtige Medium, um Geschichten zu erzählen?
Gerade den spielerischen Ansatz sehen wir als enormen Vorteil für die Vermittlung einer Geschichte. Wir geben einen roten Faden vor, der die Spieler durch die Rahmenhandlung führt und ihnen etwas gibt, auf das sie reagieren können.

Die meisten Geschichten, in jeder Erzählungsform, bauen darauf auf, dass es ein Problem zu lösen, oder ein Bedürfnis zu erfüllen gibt. Wir regen unsere Spieler also dazu an, sich selbst mit dieser Prämisse zu befassen, die sie sonst eher passiv erleben, indem wir ihnen Informationen zum Sammeln, Rätsel zu lösen und Konflikte zum miteinander diskutieren geben.

Aber entstehen Geschichten in Spielen nicht eher durch die Interaktion der Spieler untereinander als durch Karten, in denen die Geschichte „nur“ vorangetrieben wird?
Wir sind beide nebenbei auch begeisterte „Pen & Paper“-Spieler, also bedienen wir uns an dieser Stelle mal einer Analogie aus diesem Bereich: Die Geschichte wird auch hier rein durch die Interaktion der Spieler miteinander erzählt, doch braucht es immer auch den Game Master, der mit am Tisch sitzt und den Spielern Rückmeldungen zu dem was sie versuchen gibt und sie in die nächste Etappe der Geschichte weiterführt.

So gern wir auch mit allen an einem Tisch zusammensitzen und den Theorien und Ideen lauschen würden – das ließe die Zeit wohl leider nicht zu. An dieser Stelle kommen dann stellvertretend das Abenteuerbuch und die Karten ins Spiel, die diese Aufgabe für uns übernehmen.

Was sind Vorteile, wenn man Geschichten mit Spielen erlebbar macht? Was Nachteile?
Wie man eine Geschichte erleben mag ist vermutlich starke Typsache und mag nicht zuletzt auch stimmungsabhängig sein. Als Leser eines Buches oder wenn man einen Film schaut wird einem viel bereits auf dem Silbertablett serviert. Die einzige „Aufgabe“ die man hat ist dem zu folgen, was einem erzählt wird. Wenn man möchte kann man sich einfach berieseln lassen, vollständig das Aufnehmen, was vermittelt wird und die Gedanken einfach ganz entspannt schweifen lassen. Das Gehirn wird mit allen notwendigen Informationen gefüttert und wir sind lediglich gespannt-folgende Außenstehende, die sich ihre Meinung bilden können, ohne das darüber hinaus noch etwas von uns verlangt wird.

Ein Spiel als Erzählform erwartet von einem als Spieler in gewisser Weise, dass man darüber hinaus noch „mehr“ leistet. Man soll sich Gedanken machen. Genau aufpassen, was um dich herum passiert und in eine aktiv in die Story involvierte Rolle schlüpfen. Es braucht Kreativität und Köpfchen, um mehr der Geschichte aufzudecken und Probleme zu lösen.

Als Belohnung dafür ist das Erlebnis aber deutlich intensiver, als wenn man nur danebensteht. Fortschritte, die erzielt werden, sind die eigenen Fortschritte. Ein Erfolg ist der eigene Verdienst. Man ist essenzieller Bestandteil dessen, was man erreicht und erlebt.

Apropos Erfolge: Wie stark darf man Spielerinnen und Spieler in Geschichten frustrieren?
Erfolg und Misserfolg können eine Gratwanderung sein, die zum Teil schwierig auszubalancieren sind. Man möchte niemand unterfordern und infolgedessen langweilen. Andererseits kann zu häufiges Versagen eben auch schnell zu negativen Emotionen führen, die das Erlebnis maßgeblich trüben.

Wir hatten im fortgeschrittenen Prozess der Entstehung des Spiels glücklicherweise fleißige Tester, die uns massig Feedback gaben und auch ihre Gefühle zu den einzelnen Passagen mitteilten. Wann war es zu schwierig? Wo haben wir zu sehr um die Ecke gedacht? Wie viele konnten die Rätsel überhaupt lösen oder brauchen wir noch irgendwo weitere Hinweise?

Da bei uns die Erzählung einer Geschichte klar im Vordergrund steht und wir diese für jeden zugänglich machen wollen, war also von vornherein wichtig, dass niemand vorzeitig aus dem Spielerlebnis gerissen wird. Simples Pech, eine unbedarftere Spielweise oder schlicht ein Denkmuster, dass sich von dem der Tester unterscheidet, soll nicht bestraft werden und ihm des Erlebnisses berauben.

So haben wir uns darum bemüht, eventuelle Fehlschläge nahtlos in die Geschichte einfließen zu lassen. Fehltritte sind möglich und werden auch als solche klar gekennzeichnet, doch sind sie nicht dazu gedacht, den Spieler auf die Bank zu setzen und zu sagen „Das war falsch. Du spielst falsch. 10 Minuten auf die Bank mit dir!“

Es gibt durchaus Spielformen, in denen Frustration als starker Anreiz zur Verbesserung der eigenen Skills dienen kann (ein beliebtes Beispiel dafür dürften wohl die Videospiele der Dark-Souls-Reihe sein), doch da es in den Adventure Games primär darum gehen soll, die Geschichte auf seine eigene Art und Weise zu bestreiten und eher dazu animieren, sich auszuprobieren und dem eigenen Gespür zu folgen.

Bei den Adventure-Games kann man sich Geschichten auch vorlesen lassen. Macht es einen Unterschied, ob man eine Geschichte von einem professionellen Sprecher hört oder sie selbst liest?
Einen ganz klaren Vorteil selbst das Abenteuerbuch in der Gruppe vorzulesen liegt natürlich darin, bestimmte Passagen noch einmal wiederholen zu können, falls notwendig. Manchmal braucht man einfach seine Zeit, um eine bestimmte Information vollumfänglich zu verstehen oder in seinem eigenen Tempo noch einmal zu verarbeiten, ohne dass man den gesamten Text noch einmal vorgelesen haben möchte.

Zudem sind sicherlich auch einige großartige Stimmen da draußen, die auf ihre ganz eigene Art Leben in die Geschichte hauchen können.

Dennoch müssen wir klar für uns sagen, dass die Vertonung natürlich nicht ohne Grund angeboten wird und einen ganz besonderen Charme hat.  

Hauke selbst durfte für „Gloom City“ die Geschichte einsprechen und fungiert somit als Autor und Sprecher der Texte zugleich. Das hat natürlich den Vorteil, dass neben der vermittelten Atmosphäre, die von einem tollen Team extra erarbeitet wurde, auch der Autor genau weiß, was er da liest und was als nächstes passieren wird. Er kennt seinen Text, weiß mit seiner Stimme zu spielen und Spannung an den richtigen Stellen aufzubauen und die passenden Emotionen einzubringen,  was in unseren Augen sehr positiv zur Stimmung beiträgt.  

Viele Autoren schreiben erst das Ende ihrer Geschichte und bauen dann die Dramaturgie darauf auf. Bei den Adventure Games gibt es mehrere Enden. Wie seid ihr beim Schreiben vorgegangen?
Das großartige daran, das grobe Ende schon zu Beginn der Entstehung vor Augen zu haben ist ja, dass man dadurch schon hier und dort kleine rote Fäden einweben kann, die wenn sie schließlich zum Ende hin alle zusammenlaufen, einen schlüssigen Strang ergeben.

Schreibt man linear von vorn nach hinten verpasst man es meist schon von vornherein diese subtilen Hinweise zu streuen, die eine Erzählung organischer und authentischer wirken lassen. Dann gipfelt alles in einem irgendwie losgelöst wirkenden Finale dass völlig austauschbar erscheint und einem nicht dieses „Aha, deshalb ist dieses und jenes also zuvor passiert“-Gefühl.

Uns war also wichtig, auch hier zumindest die grobe Prämisse des Finales zu setzen, bevor wir mit dem eigentlichen Schreiben begonnen haben. Auch im Hinblick auf die Rätsel, Hinweise und notwendigen Items hat dieses Vorgehen einiges erleichtert, da diese ausgewogen über das Abenteuer gestreut werden mussten und wir deshalb schon eine Vorstellung davon hatten, was wir alles über den Verlauf des Spieles hinweg brauchen würden.

Ein Ende schon zu Beginn festzulegen bedeutet zudem nicht automatisch, dass man Wort für Wort schon klar ausformuliert hat, wie die letzten Seiten auszusehen haben. Sobald die Geschichte natürlich wächst und das eigene Gehirn mit jedem neuen Blick auf die Geschichte wieder Neues beizutragen hat findet man sich also ohnehin immer und immer wieder dabei wieder, wie man noch kleine Kniffe an dem vornimmt, was man bereits geplant hat. Ähnlich ließ es sich auch hier auf die unterschiedlichen Enden anwenden, doch statt eine Abweichung vom ursprünglichen komplett zu verwerfen und durch eine vermeintlich bessere zu ersetzen, machten wir uns diese verschiedenen potentiellen Enden zu nutzen und schufen daraus multiple Enden.

Was muss man beachten, wenn man Geschichten nicht linear erzählt?
Eine Menge! Häufig wachsen große Teile einer Geschichte wie schon erwähnt organisch, wie es sich für einen als Autor richtig anfühlt. Man gerät in einen „Flow“, der manchmal die Finger nur so über die Tastatur fliegen lässt und wenn man das nächste Mal aufschaut hat man 10 neue Seiten.  Gerade, wenn man sich „in Character“ begibt und das zur Figur gehörende Denkmuster annimmt, ergeben sich viele Verläufe einer Geschichte oftmals von selbst.

Non-lineare Geschichten zwingen einen dazu, immer mal wieder zu pausieren und sich damit auseinanderzusetzen, was andere Menschen vor die gleiche Wahl gestellt eventuell anders machen würden. Es gibt nicht „den einen Charakter“, dessen Art zu denken und handeln den weiteren Verlauf entscheidet, sondern muss sich stets vor Augen halten, dass die Varianten so vielfältig wie die Spieler selbst sind.

Es gibt keine feste Reihenfolge der Ereignisse; Von hinten nach vorn erzählt muss die Handlung ebenso viel Sinn ergeben, wie umgekehrt.

Wir wollen möglichst viele Ideen, Ansätze und Abweichungen von dieser Linearität belohnen und so selten wie möglich einfach „Nein“ sagen, sodass einfach unglaublich viele Möglichkeiten bedacht werden müssen. Eine der führenden Fragen ist dabei also immer „Auf welche Ideen könnten die Spieler noch so kommen?“

Welche funktionalen Vorgaben musstet ihr beachten?
Kosmos hat uns glücklicherweise in den meisten Punkten große Freiheit gewährt und nur einige wenige Beschränkungen vorgegeben, die uns größtenteils keine Probleme bereitet haben.

Bezüglich der Länge des Abenteuerbuchs haben wir schon sehr stark am oberen Maximum der Seitenzahl gekratzt, weil wir einfach so viel erzählen wollten und wie zuvor schon einmal erwähnt war das Genre ebenfalls vorgegeben. Auch die Kapitelanzahl hat sich in den vorigen Teilen bewährt und sollte eingehalten werden. Wobei uns auch da gesagt wurde, dass ein weiteres Kapitel (sofern es in die Gesamtlänge des Abenteuers passt und strukturell geeigneter ist) auf jeden Fall denkbar wäre. Materialtechnisch hatten wir 120 Abenteuerkarten zur Verfügung, die aber erstaunlich gut von selbst in genau diesem Rahmen entstanden sind. Darüber hinaus gab es dahingehend aber keine Beschränkungen

Neuen Rätselarten, Spielmechanismen, die es so in den Vorgängern noch nicht gab und zusätzliche Ideen hat man ebenfalls sehr offen empfangen und wir konnten uns dahingehend frei austoben.

Wie lief die Zusammenarbeit mit den Spieleautoren ab?
Unser Hauptansprechpartner während der gesamten Arbeit an „Gloom City“ war Michael Sieber-Baskal, der auch an den vorigen Teilen maßgeblich mitbeteiligt war. Gemeinsam mit seinem Team haben wir in einigen Skype-Meetings gemeinsam Ideen hin und her geworfen, gebrainstormt und standen im regen Austausch, was die nächsten Schritte angeht.

Ihr habt unter anderem Texte für T.E.A.R.S., B.E.A.R.D.S., das Hörspiel Willer & Kolotz sowie Campfire geschrieben. Wie hat euch die Erfahrung aus diesen Projekten beim Adventure Game geholfen?
Gerade die schon vorhandene Erfahrung durch die interaktiven Geschichten ist ein nicht zu verachtender Bonus, der in einem großen Projekt wie Adventure Games einiges erleichtert hat.

Immerhin war ein analoges Spiel als solches für uns beide etwas absolut Neues und es gab genügend  Mechaniken, die es zu verstehen, einzuordnen und anzuwenden galt. Jede Bekannte in dieser Gleichung haben wir da also dankend angenommen und waren froh, dass dieser Teil für uns nichts mehr darstellte, bei dem wir uns zusätzlich hätten einarbeiten müssen.

Interaktives Erzählen ist eine spannende Art des Storytelling, die unglaublich viele Möglichkeiten eröffnet und viele Anwendungsarten bietet, die eigene Kreativität auszuschöpfen; Doch es verlangt auch noch einmal ganz andere Denkstrukturen beim Schreiben, auf die sich der Kopf während der Arbeit einstellen und an die man sich gewöhnen muss.

T.E.A.R.S, B.E.A.R.D.S und Pen & Paper allgemein konfrontieren einen außerdem auf jeden Fall damit, wie weit die menschliche Fantasie reichen kann und auf was für interessante Ideen Leute kommen können, wenn es um die Lösung von Problemen geht. So etwas vorherzusehen und einplanen zu können ist in diesem Bereich ebenfalls Gold wert.

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