Foto: Dorfgasthof Tschitscher

Dorfgasthof Tschitscher: Der Spielbetrieb

Im Hotel von Dieter Mayr-Hassler gibt es keine Fernseher, dafür jede Menge Brett- und Kartenspiele. Seit 1672 ist der österreichische Dorfgasthof Tschitscher im Familienbesitz. Doch Tradition alleine reicht heute nicht, um Besucher anzulocken. Mayr-Hassler grübelte daher vor einigen Jahren über eine neue Geschäftsidee und vermarktet sein Haus seitdem als Spiele-, Lese- und Hörbuch-Gasthof.


Hinweis: Der Artikel erschien erstmals 2010 auf zuspieler.de.

„Das ist modern und authentisch zugleich. So ein altes Gasthaus hat viele Geschichten zu erzählen Da passen Bücher wunderbar hinein. Und in den Tiroler Wirtshäusern wurde immer viel gespielt. Das G’wölb im Hotel Tschitscher mit 200 verschiedenen Karten- und Brettspielen ist eine moderne Auslegung und Erweiterung der alten Tradition“, schreibt die Jury des Tourismuspreises Tirol Touristica. 2009 hat Mayr-Hassler an dem Wettbewerb teilgenommen. Er kam mit seinem Konzept bis ins Finale.

Bis dahin war es jedoch ein langer Weg.

„Wir haben früher mit unserem Sohn, der heute 17 Jahre ist, oft gespielt. Diese Karten- und Brettspielen waren unser Grundstock, mit dem wir die Testphase starteten. Die Idee des Spielens kam gut an und wir feilten an einem stimmigen Konzept. Erst installierten wir ein Riesen-Mensch-Ärgere-Dich-Nicht im Garten, dann bekamen alle Zimmer Spielenamen. Wir kauften weitere Spiele und suchten den Kontakt zu Spielern. Seit vier Jahren sind wir Mitglied und Spiele-Treff der Interessensgemeinschaft Spielen in Österreich von Ferdinand und Dagmar De Cassan, die das große Spielefest in Wien veranstalten.”

Dieter Mayr-Hassler, Inhaber Dorfgasthof Tschitscher

Schach-Zimmer trifft Monopoly-Suite
Die Hotel-Besitzer haben den Rat der Experten ernst genommen. Profis empfehlen Mittelständlern, sich als Hotelier eine Nische zu suchen. Ein klares Profil begeistert Gäste. „Das Spiele-Thema war uns aber zu wenig, deshalb eine Bibliothek und Audiothek mit Hörbüchern. Somit sind wir ein stimmiges Anti-Fernseh-Hotel mit einem großen Spiele-Schwerpunkt“, sagt Mayr-Hassler.

Das spiegelt sich im Ambiente wider. Die Einrichtung ist im wahrsten Sinne des Wortes verspielt. Die Zimmer sind nicht durchnummeriert, sondern tragen Namen. Sie heißen Backgammon, Domino oder Schach. In jedem Raum hängt ein großformatiges Ölgemälde zum entsprechenden Spiel. Ansonsten ähneln sich die Einrichtungen. Holztöne dominieren, Sessel laden zum herumlümmeln ein, die Doppelbetten sind mit weißen Laken bezogen. Wer es luxuriös mag, kann sich in der Monopoly-Suite ausbreiten. Für 48 Euro pro Nacht erhält der Reisende Frühstück, Schlaf- und Wohnzimmer sowie eine Badewanne.

Auch im Grünen stolpert man über Pöppel und Würfel. Im Garten steht eine Freiluft-Variante von Mensch Ärgere Dich nicht. Sechs mal sechs Meter ist sie groß. In der Nähe davon plätschert ein künstlicher Bach. Das kühle Wasser erfrischt die Füße von Wanderern und Radfahrern.

“Wir kaufen keine zu komplexen Spiele”
Wer nur beim Spielen abschalten kann, sollte einen Abstecher in das G’wölb machen. Hier warten alte Möbel und über 200 neue Brett- und Kartenspiele auf die Gäste. Im Regal liegen „Die Siedler von Catan„, „Carcassonne“ und „Dominion„. Fast alle Klassiker sind vertreten von Abalone bis Zooloretto. Der Wirt kennt bei den meisten Spielen die Regeln auswendig und erklärt sie gerne. Wöchentlich organisiert er einen Spiele-Abend, bei dem er aufwändigere Werke mit Gästen spielt. „Wir erweitern unsere Sammlung jährlich. Wir suchen meist Familien-, Duell-und Kinder-Spiele aus. Vorwiegend nach unserem persönlichen Geschmack. Ein wichtiges Kriterium für Erwachsenen-Spiele ist, dass sie nicht zu komplex und schwierig sind. Echte Viel-Spieler nehmen ihre Spiele selber mit. Die meisten Gäste sind Gelegenheitsspieler und die wünschen sich Werke, die ich ihnen in fünf bis zehn Minuten erklären kann – besser noch schneller“, sagt Mayr-Hassler.

Die Frage nach seinem momentanen Lieblingsspiel beantwortet er ungern. „Aber wenn ich mich entscheiden muss, ist es Dominion. Urlaubern empfehle ich zum Einsteigen Drachenwurf von Schmidt-Spiele und Engel-Bengel von Ravensburger. Und ein echter Fan bin ich – obwohl ich es noch nicht richtig gelernt habe – vom alten österreichischen Kartenspiel Tarok.“

Kein typisches Familienhotel
„Der Tschitscher ist trotz aller Verspieltheit kein typisches Familienhotel“, steht in einer Pressemitteilung. Mayr-Hassler erklärt. „Der deutschsprachige Gast erwartet hinter diesem Begriff, dass seine Kinder professionell betreut werden. Bei unserem Konzept sollen und müssen Eltern sich selbst mit ihren Kindern beschäftigen. Wir bieten das Umfeld dazu, sind bei der Auswahl der Spiele behilflich und erklären diese. Aber die Eltern sollen mit den Kindern spielen. Und ich sage gerne wir sind kein typisches Familienhotel – weil unser Konzept „Spielen – Lesen – und Hören“ nicht nur Familien vorbehalten ist. Auch junge Paare ohne Kinder oder ältere Paare, bei denen die Kinder groß sind, haben Freunde daran.”

„Zufallsgäste haben auch schon kopfschüttelnd unser Haus verlassen und gemeint, dass ein Fernseher heutzutage wohl Mindeststandard sei“, berichtet Mayr-Hassler. Er entschloss sich, auf solche Besucher zu verzichten. Der Erfolg scheint ihm Recht zu geben. „Wie alles neue, brauchte unser Konzept Zeit zum Reifen. Im Frühjahr 2007 waren wir mit dem Umbau fertig und veröffentlichten unsere erste Pressemeldung. Aber für das Geschäftsjahr 2007 war es schon ein wenig spät und 2008 lief auch eher zäh. Wir hatten die ersten neuen Gäste, aber es reichte nicht für Zuwächse“, sagt Mayr-Hassler. 2009 kam der Durchbruch. Die Übernachtungszahlen stiegen um 15 Prozent. „Und dieses Jahr werden wir voraussuchtlich wieder um zwölf bis 15 Prozent zulegen.“

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