„Demokratie ist wie ein Schachspiel“, schreibt Florian Staff im Buch #FürDemokratieGegenExtremismus. In seinem Beitrag erklärt er, warum Regeln der Demokratie nur dann Bestand haben, wenn alle Figuren zusammenspielen. Wir veröffentlichen seinen Text als Gastbeitrag.

#FürDemokratieGegenExtremismus
Das Buch #FürDemokratieGegenExtremismus ist das Ergebnis eines Schulprojektes am Friedrich-Engels-Gymnasiums Senftenberg in Brandenburg. Es führt in eine vielschichtige Auseinandersetzung mit den Gefahren für unsere freiheitliche Gesellschaft. Die Schülerinnen und Schüler beleuchten Themen wie Extremismus, Populismus, Fake News, Antisemitismus und Rassismus – teils aus persönlicher Erfahrung, teils mit analytischem Blick. Sie zeigen, wie Gefahren von rechts und links den sozialen Zusammenhalt bedrohen, aber auch, wie Widerstand und Aufklärung gelingen können. Das Buch kann beim Verlag Brandenburg Buch bestellt werden.
„Ohne Freiheit, die wie die Dame nahezu unbegrenzt über das Schachbrett ziehen kann, und ohne Toleranz, die wie der König den Schutz des Systems gewährleistet, kann eine Gesellschaft meiner Meinung nach nicht demokratisch sein.“
Florian Staff
Die Demokratie ist wie ein Schachspiel. Jede Figur hat ihre eigene Bedeutung, ihre eigenen Regeln, aber nur gemeinsam und miteinander entfalten sie ihre volle Kraft. In unserem Spiel des Lebens sind Freiheit und Toleranz – die Dame und der König – unersetzlich und von großer Bedeutung. Für mich beginnt Demokratie in der Familie. Sie ist der Ort, an dem Akzeptanz, Toleranz und Respekt für alle großgeschrieben und gelebt werden sollten. Das sind die Werte, die mir seit meiner Kindheit von meinen Eltern vermittelt wurden. Genau wie im Schach, wo jede Figur, ob Bauer oder Dame, ihre Rolle spielt, müssen auch in einer Demokratie alle Stimmen gehört und respektiert werden. Das ist es, was Demokratie ausmacht. Die Freiheit, das Leben nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten.
„Kasparow zeigte mir, was es bedeutet, nicht in einem demokratischen System leben zu können“
Eine meiner eindrucksvollsten Erfahrungen mit der Bedeutung der Demokratie wurde mir durch die Geschichte von Garri Kasparow deutlich. Ein Schachweltmeister, der mich nicht nur durch seine Züge und als Virtuose auf dem Schachbrett durch seine Königsindischen Angriffe, ein perfektes Zusammenspiel aus Angriff und Verteidigung, seine harmonischen Stellungen, sondern auch durch seinen Mut gegenüber der politischen Unterdrückung in der Sowjetunion beeindruckte. Er zeigte mir auch, was es bedeutet, nicht in einem demokratischen System leben zu können. Kasparows Kampf gegen ein diktatorisches Regime begann schon in seiner Kindheit. Er wurde in Baku geboren. Auch aus Sorge, dass er wegen antisemitischer Ressentiments mit seinem jüdischen Nachnamen niemals den Durchbruch als Schachspieler schaffen würde, entschied die Familie, seinen Namen von Garik Weinstein in Garri Kasparow zu ändern. Ein neues Regime hinderte ihn später auch daran, an der Beerdigung seiner Mutter in Russland teilzunehmen. Diese Erfahrungen zeigten mir, wie zerbrechlich die Freiheit in einem nicht demokratischen System sein kann. Die Arte-Dokumentation „Garri Kasparow – Rebell und König des Schachspiels“ stellt seine Geschichte besonders eindrucksvoll dar.

Das Wertvollste an der Demokratie ist für mich die Verbindung von Freiheit und Toleranz. Wie die Dame und der König im Schachspiel bilden diese beiden Werte einen wichtigen Teil des demokratischen Systems. Ohne Freiheit, die wie die Dame nahezu unbegrenzt über das Schachbrett ziehen kann, und ohne Toleranz, die wie der König den Schutz des Systems gewährleistet, kann eine Gesellschaft meiner Meinung nach nicht demokratisch sein. Diese beiden Prinzipien bilden die Basis für Gleichberechtigung und ein respektvolles Miteinander. Ähnlich wie die restlichen Schachfiguren, die im Zusammenspiel eine harmonische Einheit bilden. In einer Demokratie ist es essenziell, nicht nur einzelne Entscheidungen oder Konflikte isoliert zu betrachten, sondern sie im Zusammenhang mit dem Gesamten zu sehen – ähnlich wie beim Schach, bei dem jeder Zug das gesamte Spiel beeinflusst. Diese Vogelperspektive ermöglicht es, Herausforderungen nicht als unüberwindbare Hindernisse zu begreifen, sondern als Teil eines Prozesses, in dem Freiheit und Toleranz als Maßstäbe dienen. So wie der Verlust einer Figur im Schach nicht automatisch eine Niederlage bedeutet, sollten auch gesellschaftliche Spannungen oder Meinungsverschiedenheiten nicht als Bedrohung, sondern als Chance zur Weiterentwicklung der Demokratie verstanden werden. Entscheidend dabei ist, dass alle Stimmen gehört und respektiert werden, denn jede Figur, jede Stimme trägt zum Schutz des demokratischen Systems bei. Demokratie bedeutet jedoch nicht, dass alle einer Meinung sind, im Gegenteil. Sie lebt von leidenschaftlichen Diskussionen und dem Ringen um die besten Lösungen. Doch dieser Streit muss auf Respekt und Wahrheit beruhen, sonst wird er zur Spaltung statt zur Bereicherung.
„Der Kompromiss ist das Herzstück jeder Demokratie“
Aber genau das passiert immer häufiger. Anstatt zuzuhören, werden Fronten verhärtet, anstatt nach gemeinsamen Wegen zu suchen, werden Gräben vertieft. Es ist, als würde man im Schach, anstatt seine Figuren im Zusammenspiel harmonisch zu positionieren, einen Isolani schaffen und ihn weit entfernt von jeglicher Unterstützung der anderen stehen lassen. So entsteht eine immer schwierigere Stellung, die nicht nur das eigene Spiel schwächt, sondern dem Gegner Raum für den Angriff gibt. In der Gesellschaft bedeutet das, dass Konflikte statt gelöst, nur noch verschärft werden. Toleranz wird oft als Schwäche missverstanden, und Meinungsfreiheit dient manchen nur noch als Vorwand, um Hass zu verbreiten. Dabei ist der Kompromiss das Herzstück jeder Demokratie. Nicht als Zeichen von Kapitulation, sondern als Kunst, Gegensätze zu überbrücken und zu verbinden. Doch wenn Parteien und politische Akteure ihn nur noch als Verrat an ihren Idealen darstellen statt als notwendiges Mittel, um eine Gesellschaft zusammenzuhalten, dann gerät das Fundament der Demokratie ins Wanken.
Demokratie ist kein Kampf, den einer allein gewinnen kann. Sie ist ein gemeinsames Projekt, das nur funktioniert, wenn alle bereit sind, aufeinander zuzugehen. Sie braucht Geduld, Zuhören und den Willen, auch unbequeme Wahrheiten zu akzeptieren. Genauso wie im Schach, wo keine Figur allein das Spiel entscheidet, sondern jede Bewegung bedacht und im Zusammenspiel mit den anderen erfolgen muss. Eine Gesellschaft bleibt nur dann stabil, wenn ihre Menschen sich nicht gegeneinander ausspielen lassen, sondern gemeinsam für Freiheit und Toleranz einstehen, denn ohne diese Werte ist das Spiel der Demokratie verloren. Deshalb dürfen Ängste und Unsicherheiten, die in politischen Prozessen auftauchen, nicht verdrängt werden. Stattdessen müssen wir uns mit ihnen auseinandersetzen, ähnlich wie beim Schach, bei dem wir gedanklich so lange spielen, bis wir sie überwunden haben. Das gedankliche Mattsetzen der Ängste stärkt uns und hilft, die Demokratie zu schützen. Wenn die Werte von Freiheit und Toleranz nicht gegeben sind, ist die Demokratie in Gefahr. Die Harmonie wird gestört, und die Stellung verschlechtert sich bis zum letzten Zug, der das Ende einer Demokratie bedeutet.
„Demokratie ist wie in einem Schachspiel strategisch, komplex und wertvoll“
Deshalb müssen wir an den Momenten in der Welt, die uns die Bedeutung der Demokratie vor Augen führen, festhalten oder uns, wie Kasparow, für die Demokratie und die Freiheit einsetzen. Die Geschichten von Unterdrückung und dem Kampf für Freiheit in nicht demokratischen Staaten lehren uns, wie glücklich wir uns schätzen können, in einer Demokratie zu leben. Es ist unsere Pflicht, die Werte von Freiheit und Toleranz nicht nur zu bewahren, sondern sie aktiv zu verteidigen. Die Demokratie ist wie in einem Schachspiel strategisch, komplex und wertvoll. Jeder von uns spielt eine Rolle, und nur gemeinsam können wir sicherstellen, dass die Spielregeln von Freiheit und Toleranz respektiert und geschützt werden und die Demokratie erhalten bleibt.
Drei Fragen an die Herausgeberin Dona Kujacinski
Wie ist die Idee zu dem Schulprojekt entstanden?
Während meiner Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern für das erste Buchprojekt #GegenDasVergessen, das sich gegen das Vergessen des Holocaust richtet, wurde mir klar, dass das nicht alles sein kann. Warum? Es war das Engagement und echte Begeisterung der 17 jungen Autorinnen und Autoren, das mich tief beeindruckt. Jede und jeder Einzelne von ihnen brachte ihre, seine Gedanken und Emotionen zu dem dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte zu Papier. Der Titel des zweiten Buches #FürDemokratieGegenExtremismus stand dann schnell fest, gleichzeitig aber auch die Tatsache, dass sieben von den jungen Erwachsenen aufgrund des bevorstehenden Abiturs nicht mehr dabei sein konnten. Das führte dazu, dass 17 Schülerinnen und Schüler der jetzigen Abiturklasse mit an Bord kamen, die sich ebenso engagiert und begeistert zeigten wie ihre erfahrenen „Kolleginnen und Kollegen“.
Was hat Sie persönlich an der Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern am meisten beeindruckt?
Ihr Mut, ihr Engagement, ihre Kreativität und dass sie alle, die in Senftenberg in der Lausitz, wo sich gerade eine neue Generation von Nazis herauskristallisiert, die Schule besuchen, mit offenen, wachsamen Augen durch die Welt gehen und wissen, dass sie es sind, die die Demokratie in die Zukunft tragen. Hinzu kommt, dass sie alle innerhalb kürzester Zeit, sprich nach drei Workshops, das emotionale Schreiben beherrschten. Etwas, das sie in der Schule nicht lernen.
Wie mutig müssen die Schülerinnen und Schüler sein, wenn sie persönliche Erfahrungen zu Antisemitismus, Rassismus oder politischem Extremismus öffentlich teilen?
Wer sich in Brandenburg furchtlos gegen Rechts, gegen Links, gegen Hass, Hetze, Gewalt und Fake News erhebt, und sich für die Demokratie und ihre Werte wie Freiheit, Menschenwürde, Menschenrechte und Toleranz einsetzt und keine Angst vor Repressalien hat, muss sehr viel Mut besitzen. Schon allein vor dem Hintergrund, dass die AfD mit mittlerweile deutlich über dreißig Prozent die regierenden Parteien von SPD und BSW überholt hat und sich in der Lausitz, wie gesagt, eine neue Generation von Nazis breit macht.