Guido Heinecke, Chefredakteur von Tric Trac Deutschland, fragt sich und die Welt, ob wir einen neuen Spielejournalismus brauchen. Frank Noack, Geschäftsführer der Spiele-Offensive.de, antwortet auf kulturgutspiel.de. Er sagt: „Die Szene braucht keinen neuen Spielejournalismus, die Branche schon.“
Hinweis: Der Beitrag erschien erstmals 2013 auf zuspieler.de
Braucht die Spieleszene eine neue Form des Spielejournalismus nach dem Vorbild der Videospieleszene? Nein, denn die Spieleszene ist mit dem aktuellen Angebot gut versorgt. Aber die Branche braucht eine neue Form des Spielejournalismus, denn die Spieleszene, der die meisten Brettspielblogger entspringen, ist die Minderheit im Geschäft mit Gesellschaftsspielen. Die eigentliche, größte Zielgruppe sind Familien, Studenten und Kinder, die einmal im Jahr ein Spiel kaufen. Und die erreicht so gut wie keiner der aktuellen Spieleblogs und Magazine.
Lassen wir Zahlen sprechen: Wir gehen bei unseren Marktbetrachtungen von einer Kernzielgruppe zwischen 25.000 und 45.000 Haushalten in Deutschland aus, die wir als Vielspielerhaushalte bezeichnen. Diese spielen mindestens einmal monatlich ein Gesellschaftsspiel, das kein Klassiker ist, also weder Skat, Schach noch Monopoly. Demgegenüber stehen etwa 17.000.000 Haushalte mit mindestens einem Kind unter 18 Jahren.
“Wenigspieler fragen nicht nach Materialqualität oder Mechanismen”
Ich selbst fahre vier Mal im Jahr auf Konsumentenmessen, um dort das Angebot der Spiele-Offensive.de zu präsentieren. Abgesehen von der Spiel in Essen treffe ich dort hauptsächlich Menschen, die keine Vielspieler sind. Fast alle spielen gerne, sie haben nur keine Ahnung, was es neben Monopoly sonst noch gibt. Sie saugen Empfehlungen förmlich auf und freuen sich, wenn man ihnen etwas Passendes anbietet. Sie suchen Spiele für ihre Kinder, zum Verschenken für gemütliche Pärchenabende oder für Parties.
Und sie fragen nicht nach Materialqualität oder Spielmechanismen. Sie fragen nicht „Was macht man da?“ oder „Wie geht das?“. Ihre wichtigsten Fragen lauten „Wie ist denn das?“ und „Macht das Spaß?“. Sie beobachten eine Meute jauchzender Kinder beim Kakerlakak spielen – und kaufen es. Sie hören Leute bei „Halli Galli“ lachen – und kaufen es. Ein anderer Kunde sagt ihnen, dass ihm Stone Age Spaß macht – und sie kaufen es.
Die Spielebranche braucht dringend einen Spielejournalismus für jedermann. Einen Journalismus, der die Emotionen beim Spiel transportiert, der zeigt, wie viel Spaß in den Spielen steckt. Es geht um Interaktion, um Gefühle und um Spannung. Aber was vermitteln die Szeneblogs den Wenigspielern? Sie schreiben von komplexen, seitenlangen Spielregeln, von Qualitätsproblemen. Sie reflektieren Strategien und Unausgewogenheiten. Sie sprechen über Regelfragen, Varianten, Mechaniken und wie diese mit dem Thema verbunden sind. Prügelt die Wenigspieler doch gleich weg. Da muss man sich nicht wundern, wenn es viele gibt, die Gesellschaftsspiele dröge und langweilig finden, schon bevor sie sie getestet haben.
“Stefan Raab ist Vorreiter für die Branche”
Dass ich Recht habe, beweisen die zufälligen Begegnungen von Gesellschaftsspielen mit dem Massenpublikum. Der größte Vorreiter für die Spielebranche ist ausgerechnet Stefan Raab – und der weiß es vermutlich noch nicht einmal. Bei „Schlag den Raab“ wurde einmal Mölkky gespielt und war danach monatelang eines der meistverkauften Spiele Deutschlands. Jakkolo und Piratenbilliard, beide im Gesellschaftsspielmaßstab wirklich teure Spiele, haben dank „Schlag den Raab“ einen nachhaltigen Verkaufsschub bekommen, denn man konnte die Emotionen der beiden Kontrahenten beim Spiel mitspüren. Und vermutlich besitzt halb Deutschland einen Pokerkoffer, weil es so spannend war, dem Metzger und einigen B-Promis beim Bluffen zuzusehen.
Aber es muss ja nicht gleich ein Stefan Raab sein. Tabletop, eine YouTube-Sendung rund um Gesellschaftsspiele, mit Whil Wheaton produziert in den USA einen Spieleverkaufshit nach dem anderen. Spiele, die es in die Sendung schaffen, sind quasi geadelt und fortan im Handel erfolgreich. Und das nicht, weil darin die Regeln so gut erklärt werden. Im Gegenteil, die Sendung konzentriert sich auf die Emotionen, die Spannung zwischen den Spielern, die witzigen Momente, die Interaktion zwischen den Spielern. Kurzum: die Show ist richtig gut und unterhaltsam, selbst wenn man sich überhaupt nicht für Spiele interessiert. Das zeigen auch die Zuschauerzahlen.
Deutschland braucht ein deutsches Tabletop. Mit einem deutschen bekannten Nerd-Promi, der darin glaubhaft, intelligent und unterhaltsam agieren kann und mit einigen witzigen B- und C-Promis, die den Spaß am Spielen vermitteln und nebenher eine Menge Mainstream Zuschauer anziehen. Das kann kein Szeneblogger auf eigene Kappe schultern, geschweige denn moderieren und auch wir als Spiele-Offensive.de haben dafür keine Ressourcen.
Aber es gibt genügend Mittel in der Branche, um das zu bewerkstelligen, wenn sie denn endlich mal erwachen und über den Tellerrand sehen würde: Die Fachgruppe Spiel könnte die Mittel organisieren, die „Spiel des Jahres“-Jury es aus ihren Überschüssen unterstützen, Bund und Länder es über ihre Bildungs- oder Medienförderungsfonds subventionieren, Fernsehsender es als Konzept einkaufen und finanzieren, Familienstiftungen wie die Karl-Kübel-Stiftung für Kind und Familie aushelfen und die Spieleszene könnte es im Crowdfunding schmieden. Es muss nur endlich mal jemand in die Hand nehmen und machen.