Alexander Preisinger ist Mitherausgeber der Broschüre „Analoge Spiele für die Politische Bildung“. Darin wird erklärt, wie man Spiele wie Carcassonne, Schnapsen oder Secret Hitler im Unterricht einsetzen kann. Wir haben uns mit Preisinger unterhalten, über verspielte Lernkontexte, rhetorische Kompetenzen und Kontrollverlust im Unterricht.
Analoge Spiele für die politische Bildung
In der Broschüre „Analoge Spiele für die politische Bildung“ beleuchten Stefan Ancuta und Alexander Preisinger gemeinsam mit weiteren Personen aus Schule und Forschung analoge Spiele für die politische Bildung. Die Broschüre ist beim Zentrum polis erhältlich und kann dort auch als kostenloses PDF heruntergeladen werden.
In der Einführung schreibt Preisinger: „Spiele gehören heute zum Standardrepertoire der Politischen Bildung; während klassische Lernspiele (Tabu, Kreuzworträtsel) zur Wissensreproduktion dienen, können mit Plan- und Rollenspielen demokratiepolitische Kompetenzen ,erlebt‘ werden. Analoge Spiele, im Sinne von Karten- und Brettspielen, werden im Unterricht hingegen nur selten verwendet: Die Spiele müssen gekauft und von der Lehrkraft erarbeitet und ihre Regeln den Schüler*innen vermittelt werden. Meist sprengt der Einsatz eines Brettspiels den Umfang einer Normstunde deutlich. Wir plädieren dennoch mit dieser Broschüre für ihren Einsatz: Eine ganze Reihe von Spielen ist einfach umsetzbar und motiviert intrinsisch, sie laden zum Wettkampf, zum Entdecken und Ausprobieren ein. Mit ihnen spielend lernen bedeutet, forschend-entdeckend, interaktiv und im sozialen Rahmen zu handeln. Was die Politische Bildung betrifft, so zielen viele analoge Spiele weniger auf hartes politisches Faktenwissen oder institutionenbezogenes Wissen, sondern vielmehr auf die persönlichkeitsbildende Komponente und auf die politische Kultur ab – letztlich auf Politik als Handlungstyp.“
Ihr habt bisher nur Publikationen über digitale Games im Unterricht veröffentlicht. Warum nun eine Broschüre über analoge Spiele?
Die Mischung macht’s. Vielleicht ist die Idee auch im Zusammenhang mit dem Wunsch nach dem Analogem und Präsentischem während Corona entstanden. Ernsthaft: Analoge Spiele unterscheiden sich dann doch von digitalen – und wir wollten ihnen endlich auch einmal den ihnen gebührenden Platz einräumen. Schule lebt von Vielfalt.
Welche Vorteile haben Gesellschaftsspiele gegenüber Games?
Analoge Spiele werden nicht durch einen Algorithmus gesteuert, sondern die Regeln müssen im sozialen Kontext umgesetzt und ausverhandelt werden. Sie sprechen daher mehr soziale Aspekte an als digitale. Da die Regeln nicht automatisch exekutiert werden, kommen noch weitere Kompetenzen wie Lese-, Regel- und Textverständnis hinzu. Wenn Regelfragen auftreten, braucht es mitunter Game Design-Entscheidungen, um etwa Änderungen festzulegen.
Es gibt zehntausende von Gesellschaftsspielen: Wie habt ihr euch für die 13 Spiele entschieden, die ihr in der Publikation vorstellt?
Wir haben versucht, den Autorinnen und Autoren so viel Freiheit wie möglich zu geben, ein für sie interessantes Spiel vorzustellen. Das hat meines Erachtens auch den Vorteil, dass wir nun eine Liste sehr unterschiedlicher Spiele präsentieren können. Bekommen haben wir komplexe und simple Spiele, manche mit explizitem Politikbezug, manche ohne. So erhoffen wir uns auch, dass wir klar gemacht haben, dass analoge Spiele ein sehr diverses Medium darstellen, das von allen Lehrkräften verwendet werden kann.
Ihr schreibt: „Schon die Form des Spielens ist Teil der Politischen Bildung: Regeln müssen verstanden, erklärt und ausverhandelt werden. Spiele benötigen gegenseitiges Einschätzen, emotionale (Selbst-)Kontrolle, Taktieren, Kommunizieren und Verhandeln. Soziale, kognitive und persönlichkeitsbezogene Kompetenzen werden gefördert.“ Heißt das, dass sich jedes Spiel für den Einsatz im Politikunterricht eignet?
Geht man von einer breiten Citizenship Education aus, so ist tatsächlich vermutlich fast jedes Spiel für die politische Bildung geeignet, denn Fremdverstehen, rhetorische Kompetenzen oder Diskussionsfähigkeit sind zentrale Eigenschaften einer demokratischen Kultur. Verengt man den Begriff der politischen Bildung, so brauchen Spiele einen expliziten Bezug auf Politik als System. Dann müssen also Institutionen, Agierende oder Themen vorkommen, die dezidiert politisch sind.
Viele der empfohlenen Spiele sind maximal für vier bis sechs Personen. Wie soll so das im Klassenverband funktionieren?
Wir stellen in der Broschüre viele verschiedene Ansätze vor, wie Spiele benutzt werden können. Manche Autorinnen und Autoren schlagen eine Teilung der Klasse in Gruppen vor, manche bilden Teams, andere schlagen eine asymmetrische Vorgehensweise vor, bei der eine Gruppe spielt und der Rest beobachtet und bestimmte Aufgabenstellungen erfüllt. Spielen in der Schule ist auch eine Frage der Methodik.
Und warum präsentiert Ihr ein komplexes Expertenspiel wie Spirits Island?
Die Kompetenz komplexe Regeln zu verstehen, kann auch ein Ziel an sich sein kann. Je komplexer das Spiel, desto schwieriger wird natürlich die Vorbereitungsphase. Viele der Autorinnen und Autoren weisen auch explizit auf die Begrenzungen ihrer Auswahl hin oder machen Vorschläge, wie die Regeln simplifiziert werden können.
Ihr betont, dass eine Reflexionsphase nach dem Spiel wichtig ist. Wieso?
Schülerinnen und Schüler lernen durch Spiele implizit – Schule hat die Aufgabe, dass was da gesehen und erlebt wurde, zu reflektieren und in explizites Wissen zu verwandeln und auf die reale Welt oder Wissensbestände zu transferieren. Wenn das Spiel nur als Spiel wahrgenommen wird, dann ist meiner Ansicht nach zu wenig passiert.
Welche Vorteile haben Spiele gegenüber anderen Unterrichtsmethoden?
Spiele aktivieren, motivieren intrinsisch und initiieren viele Lernhandlungen. Sie fühlen sich aber nicht nach direktem Lernen an, da sie Freude machen und zum Entdecken einladen. Spiele haben ein ungeheures Potenzial für Lernkontexte. Basale Lernspiele waren immer Teil der Didaktik, komplexere Spiele, etwa Planspiele oder Mysterys, werden in den vergangenen zwanzig Jahren in den Fachdidaktiken verstärkt popularisiert. Die fortschreitende Gamifizierung und Digitalisierung unserer Gesellschaft arbeitet dem entgegen.
Apropos Digitalisierung: Wenn Spiele im Unterricht zum Einsatz kommen, dann handelt es sich dabei eher um digitale Games als um analoge Gesellschaftsspiele. Warum?
Einer der großen Nachteile von analogen Spielen für mich als Lehrkraft ist, dass die Phasen der Regelerklärung, die Vorbereitung des Materials und der Spielvorgang deutlich stressiger sind, als wenn ich etwa digitale Spiele verwende. Letztere führen vielfach durch Tutorials in zentrale Mechaniken ein und der Spielablauf funktioniert, wie zuvor schon gesagt, von selbst. Mit 25 Schülerinnen und Schülern einen Brettspielnachmittag zu organisieren, kann ziemlich stressig sein. Hier hilft es, Jugendlichen Aufgaben zu geben und sie autonom ihre Spielphasen organisieren zu lassen. Brettspielen im Unterricht heißt auch, den Schülerinnen und Schülern zu vertrauen und Kontrolle abzugeben.