Terra Mystica als App.

Games vs. Brettspiele: Mehr Gemeinsamkeiten statt Unterschiede

Welche Gemeinsamkeiten haben Games und Brettspiele? Laut Harald Schrapers, Vorsitzender der Jury Spiel des Jahres, „hat das eine mit dem anderen kaum etwas zu tun“. Jakob Richter sieht das anders. Ein Gastbeitrag.


Hinweis zur Wortahl
Wir verwenden in diesem Artikel zur Besseren Lesbarkeit das Wort Games als Synonym für digitale Spiele. Das Wort Brettspiele steht für alle analogen Gesellschaftsspiele, also auch für Karten- und Würfelspiele. Für den Autor des Artikels sind sowohl Games als auch Brettspiele Spiele und dieses “Spiel sein” ist fast gänzlich unabhängig vom Rezeptionsmedium.

Alles verspielt?
In der Zeitschrift Null Ouvert erschien 2021 ein Artikel von Jens Junge (Institut für Ludologie). Junge hatte darin, verkürzt formuliert ziemlich allen Akteuren der deutschen Brettspielbranche chronische Schlafmützigkeit und Unprofessionalität vorgeworfen. Die spielbox hat das Thema aufgegriffen und in der Ausgabe 5/2022 Harald Schrapers (Spiel des Jahres), Hermann Hutter (Spieleverlage) und Junge interviewt. Unter anderem ging es in dem Interview auch um das Verhältnis zwischen Brettspielen und Games. Hier ein Auszug, der wichtig ist, um den folgenden Artikel einzuordnen. Das komplette Interview findet ihr im gedruckten Magazin.

Asmodee wurde von Embracer gekauft, einem großen Unterhaltungskonzern, der vor allem mit Videospielen Geld verdient. Deren Management sieht in Brettspielen also Potenzial. Wäre es da nicht doch eine gute Idee, sich mit dem Gamesverband zusammenzutun, um von deren Power zu profitieren?
Hutter: Ich bin kein Freund davon, denn jeder hat seinen eigenen Markt. […] Brettspiele haben etwas Besonderes. Dieses Besondere ist, dass sie nicht digital sind. […]
Jüngere Spielergenerationen unterscheiden nicht zwischen analogem und digitalem Spiel, sie spielen medienübergreifend. Warum also formal die Trennung so betonen?
Schrapers: Auch wenn es Spiel heißt, hat das eine mit dem anderen kaum etwas zu tun. Wer an der Bushaltestelle auf dem Handy daddelt, geht in meinen Augen einer völlig anderen Beschäftigung nach. Beachvolleyball ist auch ein Spiel. Trotzdem tue ich mich mit denen nicht zusammen. Brettspiele sind etwas Eigenständiges. Ich glaube nicht, dass wir bei einem Zusammenschluss mit der Gamesbranche gewinnen.
Der Punkt ist doch: Spielen ist etwas Selbstverständliches unter jungen Erwachsenen geworden, auch durch digitale Spiele.
[…] Junge: Die Spielsituation am Tisch ist etwas ganz anderes, als vor dem Bildschirm zu sitzen. Diese Situation wird ganz explizit gesucht: Ich möchte eben nichts mit dem Display zu tun haben, ich möchte nicht digital sein, ich möchte den Angstschweiß meines Gegners, seine Gestik, Mimik erleben. Aber trotzdem wächst die Industrie – das Stichwort Embracer ist bereits gefallen – meiner Beobachtung nach zusammen. […] Es gibt genügend Schnittstellen und Möglichkeiten, und darauf zielte mein Impuls ab: dass die Brettspielbranche sich nicht nur in ihrer eigenen Ecke wohlfühlen, sondern auch das Gespräch suchen sollte.

Neulich lag die spielbox 5/2022 im Briefkasten. Darin wurden Harald Hutter, Jens Junge und Harald Schrapers interviewt (siehe Kasten). Schrapers sagte bemerkenswerte Sätze zum Verhältnis von digitalen Games zu analogen Brettspielen: „Auch wenn es Spiel heißt, hat das eine mit dem anderen kaum etwas zu tun. Wer an der Bushaltestelle auf dem Handy daddelt, geht in meinen Augen einer völlig anderen Beschäftigung nach [als Brettspiele zu spielen].“ Ich nehme nicht an, dass diese zwei Sätze ein Verdikt gegen das Spielen an Bushaltestellen sind. Vielmehr behauptet Schrapers, dass „am Handy spielen“ mit „einem Brettspielen spielen“ praktisch nichts zu tun hätte und eine „völlig andere Beschäftigung“ sei.

Macht das Medium wirklich einen großen Unterschied? Wenn, ja, was hieße das für die gesellschaftliche Bedeutung von Brettspielen?

Einsam und gemeinsam spielen

Ich fahre regelmäßig mit der S-Bahn zur Arbeit. Wie Millionen andere Menschen spiele ich dabei auf dem Handy. Ich daddele vor mich hin. Es macht mir Spaß, so zu spielen. Auf den Bildschirm kommen dabei fast nur Adaptionen von Brettspielen – zum Beispiel Andor, Terraforming Mars oder Through the Ages. All diese Spiele stehen in meinem Regal auch in analoger Form. Fast immer spiele ich gegen den Computer.

Trotzdem gilt: Der Unterschied zwischen Games und Brettspielen kann kaum darin liegen, dass analoge Spiele meist in Gruppen gespielt werden. Man kann Games auch am Handy gegen Menschen spielen. Es kommt nur darauf an, dass man sich zur richtigen Zeit mit den richtigen Leuten verabredet, analog einer Verabredung zum Brettspielabend. Mit anderen online zu spielen, geht auch an Bushaltestellen, mit analogen Brettspielen wird das schwer.

Bei dem Argument schwingt oft mit, dass analoge Spiele als Gruppenaktivität per se sozial wertvoller seien als Games. Es gibt aber Games, die in großen Gruppen gespielt werden. Umgekehrt sind Solitärvarianten ein Verkaufsargument für Brettspiele. Einige Menschen schätzen es so sehr solitär zu spielen, dass es sich für Verlage lohnt, spezielle Regeln zu entwicklen und einem Brettspiel Solitärmaterial beizulegen. Solitär zu spielen ist ein Verkaufsargument – beim analogen Spiel ebenso wie beim digitalen. Unter diesem Aspekt, ist das Spielen in beiden Medien eine ähnliche Beschäftigung.

Es gibt zwischen Games und Brettspielen fließende Übergänge: vom traditionellen Spiel am Tisch ohne jede digitale Unterstützung bis hin zum voll digitalen Spiel auf dem Handy. Die Medien sind unterschiedlich, so wie man einen Film im Kino oder auf dem Handy sehen kann, einen Text im Buch oder auf dem Tablet lesen kann. Eine klar zu erkennende spielerische, soziale und oder technische definierte Bruchlinie zwischen dem analogen und dem Computer- oder Handygame, ist nicht vorhanden. Es spricht rein technisch wenig dafür, dass am „Handy daddeln“ mit „analog spielen“ eine völlig andere Betätigung ist.

Grafik: game - Verband der deutschen Games-Branche
Grafik: game – Verband der deutschen Games-Branche

Games vs. Brettspiele: Wer profitiert von scharfer Abgrenzung?

Im Interview spielt es eine Rolle, ob sich die analoge Spielebranche in ihrer Lobbyarbeit der Gamesbranche annähern sollte. Das ist eine Spezialdiskussion der Branche. Scharpers geht mit seiner Abgrenzung aber weiter. Er argumentiert nicht für oder gegen bestimmte Organisationsformen. Er argumentiert mehr oder weniger für die Abgrenzung von allen Beschäftigung mit analogen Brettspielen zu digitalen Games. Wem nützt eine solch scharfe Trennung? Spielerinnen und Spielern, Kundinnen und Kunden nicht.

Tatsächlich sind analoge Brettspiele und digitale Games angenehme Freizeitbeschäftigungen. Brettspiele und Games befruchten sich in vielfältiger, kreativer Weise gegenseitig. Sie erweitern direkt oder indirekt das jeweilige Spielerlebnis, steigern die Immersion und das soziale Verständnis. Man kann sie jeweils gemeinsam oder solitär spielen, online oder face to face.

Umgekehrt stehen, je schärfer die Abgrenzung gegeneinander ist, umso weniger spielerische Möglichkeiten stehen zur Verfügung. Je näher sich Regeln und Inhalt von Games und Brettspielen sind, desto weniger Unterschiede zwischen den Medien erkennen Spielerinnen und Spieler. Klar, es kann mehr oder weniger Spaß machen, ein Spiel am Tisch oder am Handy zu spielen. Das kann nach Stimmung, Spiel und Gelegenheit variieren. Einen verallgemeinerbaren Maßstab dafür, ob besser und lieber am Tisch oder am Bildschirm gespielt wird, gibt es meines Erachtens aber nicht.

Eine scharfe Abgrenzung der Medien nützt auch nicht den Autorinnen und Autoren. Ihr kreativer Prozess wird nicht dadurch befördert, dass sie sich per se technische, spielerische oder soziale Grenzen setzen. Natürlich wird der kreative Prozess zu irgendeinem Zeitpunkt der Spieleentwicklung in engere Bahnen gelenkt. Es mag auch sein, dass Autorinnen und Autoren dies implizit sofort tun, der erste Schritt ist aber immer „Ich will ein Spiel entwickeln“. Dann folgen die entwicklerischen Entscheidungen, die auch das Medium betreffen können.

Es gibt diverse Plattformen mit exzellenten Versionen von analogen Brettspielen. Teilweise erleichtern diese das Spielen erheblich. Sie verwalten Material sowie überwachen und erklären Regeln. Mitspielerinnen und Mitspieler können sich per Video hören und sehen. Manchmal kann man sogar mit Menschen und Computergegnern spielen. Bei diversen analogen Brettspielen gibt es digitale Anteile, ohne die das analoge Spiel nicht funktionieren würde, zum Beispiel bei Detective oder Soviet Kitchen. Es gibt analoge Brettspiele, die Games als Vorbild habe, zum Beispiel This war of Mine. Umgekehrt gibt es Games, die sich von analogen Spielen inspirieren lassen, zum Beispiel Civilisation.

Es gibt natürlich entwicklerische Überlegungen: Wer epische „Hack and Slay“ designen will, orientiert sich vielleicht an Gloomhaven oder World of Warcraft. Klar ist: Die Digitalisierung hat die Möglichkeiten der analogen Brettspielentwicklung erheblich erweitert. Bei Soviet Kitchen bestehen Gerichte aus mehreren farbigen Komponenten. Wir versuchen durch das Mischen von farbigen Zutaten exakt die Farben des bestellten Gerichts zu treffen. Dabei hilft uns eine App. Die Farbe eines Gerichtes vergleichend abzuschätzen, dürfte angesichts der exponentiellen Anzahl an Kombinationen ohne Handy kaum möglich sein.

Soviet Kitchen. Foto: Wizzy Parkerir
Bei diversen analogen Brettspielen gibt es digitale Anteile, ohne die das analoge Spiel nicht funktionieren würde, zum Beispiel bei Soviet Kitchen. Foto: Wizzy Parkerir

Vorteile durch crossmediale Vermarktung

Die crossmediale Vermarktung eines Brettspiels im Computerbereich wird zudem aus finanziellen Gründen im Sinne von Autorinnen und Autoren sein. Die Beschäftigung am Spieltisch oder am Handy möglichst nahe aneinander zu rücken, dürfte also aus vielen Gründen im Sinne von Autorinnen und Autoren sein.

Tatsächlich eröffnet die Möglichkeit zur corssmedialen Vermarktung Verlagen wirtschaftliche Möglichkeiten, die sie auch nutzen. Spielerinnen und Spieler, die Andor am Handy und am Tisch spielen, bezahlen zweimal für dasselbe Spiel. Es ist anzunehmen, dass das Brettspielverlagen recht ist. Ob Spielerinnen und Spieler, die ein Spiel am Computer kennenlernen, es deshalb nicht am Tisch spielen, ist nicht ausgemacht. Tatsächlich spricht einiges dafür, dass es SpielerInnen gibt, die vom Computer- zum Brettspiel kommen. Verlage sollten also ein klares wirtschaftliches Interesse daran haben, dass zwischen der Beschäftigung am Handy und am Tisch möglichst wenig Schranken aufgebaut werden.

Hochmut eines passionierten Brettspielaficionados?

Die Behauptung, dass wer an der Haltestelle auf dem Handy daddelt, einer völlig anderen Beschäftigung nachgehe als ein Brettspiel zu spielen, erinnert ein wenig an die vor Jahren getätigte Behauptung der Zeitungsverlage, dass das Lesen einer Webseite eine völlig andere Beschäftigung sei, als das Lesen einer Zeitung. Genützt hat es der Zeitungsbranche nichts. Klassische Zeitungsverlage gibt es praktisch nicht mehr. Es gibt Medienhäuser. Es gibt übrigens auch keine relevanten rein analogen Journalistenpreise mehr.

Mich beschleicht das Gefühl, dass Harald Schrapers mit seiner Behauptung die Deutungshoheit über die richtige Art der Beschäftigung von Spielerinnen und Spielern mit analogen Brettspiele haben möchte. Die Erklärung das zwar beides spielen genannt werde, dass daddeln am Handy mit dem Brettspiel aber wenig zu tun habe, schürt zu mindest den Verdacht, dass der passionierte Brettspielaficionado mit einem gewissen Hochmut auf den unengagierten Handydaddler blickt. Als wenn Terraforming Mars in der Gruppe am Tisch gespielt, der richtige Umgang mit Spielen ist, Terraforming Mars solitär an der Bushaltestelle auf dem Handy aber der falsche Umgang mit Spielen ist. Sinn ergibt das nicht. Es gibt kein falsches daddeln am Handy im Verhältnis zum echten spielen am Brett.

Es wäre wesentlich wirkungsmächtiger darauf hinzuweisen, dass der kreative Kern vieler Handygames analoge Brettspiele sind. Man kann Stolz darauf sein, dass das analoge Kennerspiel des Jahres 2013, Andor, auch auf dem Handy ein Erfolg ist. Beide Arten Andor zu spielen, beziehen sich aufeinander über den kreativen inhaltlichen und regeltechnischen Kern des Spiels. Denkbar wäre ja immerhin, seitens der Jury Spiel des Jahres auch auf gelungene digitale Umsetzungen von Brettspielen hinzuweisen oder sie sogar zu prämieren.

Wenn Gloomhaven in Serien, Apps, Filmen, YouTube, Lego, Twitter, Printprodukte, Miniaturen und alle anderen denkbaren Arten vom Merchandising ein so starkes Narrativ entwickeln würde, wie Star Wars, wäre das zu begrüßen. Menschen beschäftigen sich seit Jahren intensiv mit Handys. Die Brettspielbranche muss damit umgehen. Ziel sollte sein, über die crossmediale Verbreitung (brett-) spielerischer Inhalte, die gesellschaftliche Bedeutung des Brettspiels zu steigern. Hier öffentlichkeitswirksam anzusetzen, könnte eine wichtige Rolle der Jury Spiel des Jahres sein.

Wer in der S-Bahn solitär Terra Mystica spielt, spielt die Computerversion eines Brettspiels. Wer am Tisch gemeinsam This war of Mine spielt, spielt die Brettspielversion eines Computergames. Eine komplett andere Beschäftigung ist das nicht. Die Verknüpfung der medialen Plattformen ist thematisch, regeltechnisch und nicht zuletzt über die spielerische Immersion gegeben. Um die gesellschaftliche Bedeutung des Brettspiels zu steigern, ist es eher schädlich, eine scharfe Abgrenzung der unterschiedlichen Plattformen zu propagieren. Das wäre ein von vorne herein verlorener Kampf um die Deutungshoheit, was ein echtes Brettspiel sei. Der Versuch die Plattformen scharf gegeneinander abzusetzen, trifft auch nicht den kreativen Kern von Brettspielen: Es sind in erster Linie Inhalt und deren regeltechnische Umsetzung, nicht die Plattform, die die Menschen zum Spielen bringen und so dem Brettspiel zu mehr gesellschaftlicher Bedeutung verhelfen.

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6 Kommentare

  1. Ihrem Artikel nach, gibt es weitere Bereiche, die sich zusammenschließen sollten, da diese offensichtlich sehr gleich sind:
    Filme schauen und Bücher lesen sind sehr ähnliche Beschäftigungen. Die Film- und Buchbranche sollte sich mal zusammen schließen!
    Kickern ist das ähnlich wie Fußball spielen. Da sollten sich mal die Vereine unbedingt zusammen tun!
    Angel-Spiele am Computer spielen ist eine ähnliche Beschäftigung wie Angeln am See. Glasklar!
    Soviel potential, was Sie hier aufdecken!
    Oder eigentlich fälschlich sehen.
    Sie meinen, dass 2 verschiedene Dinge gleich sind, einfach aufgrund der Tatsache, dass man sich damit beschäftigt.
    Aber dann ist ein Kriegs-Brettspiel wohl auch echtem Krieg gleich zu stellen, oder ein Koch-Spiel (Kitchen Rush!) mit der Arbeit in der Küche.

    Richtig schlimm wird es, wenn Sie anfangen, Herrn Schrapers Worte in den Mund zu legen und seine Aussagen fehl zu interpretieren.
    Zitat von Ihnen: „Als wenn Terraforming Mars in der Gruppe am Tisch gespielt, der richtige Umgang mit Spielen ist, Terraforming Mars solitär an der Bushaltestelle auf dem Handy aber der falsche Umgang mit Spielen ist. Sinn ergibt das nicht. Es gibt kein falsches daddeln am Handy im Verhältnis zum echten spielen am Brett.“
    Er gibt im Interview KEINE Bewertung darüber ab, was „richtiges“ Spielen sei. Er gibt sogar noch ein zusätzliches Beispiel für eine Spiel-Art an: Sport (vermutlich ist „Eleven: Football Manager Board Game“ spielen auch eine ähnliche Beschäftigung wie eine Fußballmannschaft zu managen).
    Es geht bei dem Thema auch nicht um die Nische der Brettspieladaptionen, sondern um das Thema Videospiele im allgemeinen. Brettspieladaptionen sind ein kleiner Teil der Videospiele, Sie führen das jedoch so oft auf, als ob es ein riesen Markt wäre.

    Auch das von Ihnen geschriebene „Das wäre ein von vorne herein verlorener Kampf um die Deutungshoheit, was ein echtes Brettspiel sei“ ist falsch, da es in dem Interview gar nicht darum ging, was ein echtes Brettspiel sei.

    1. Lieber Chris H., vielen Dank für die Reaktion. Auch wenn Sie ganz offensichtlich nicht meiner Meinung sind und finden, dass ich falsch interpretiere und zu scharf argumentiere, freut es mich, dass sie ausführlich antworten.

      Hinweisen möchte ich auf folgende Punkte:
      ich habe keineswegs einer Branchenfusion verschiedener Branchen das Wort geredet (weder Film noch Buch noch irgendetwas anderes), sondern ausdrücklich erklärt, dass es sich um eine Spezialdiskussion handelt, die, wie ich hier ergänzen möchte, am besten von Brancheninsidern geführt wird. Welche Branche sich in ihrer Lobbyarbeit wie positioniert und organisiert, ist natürlich gänzlich deren jeweiligen VertreterInnen überlassen.

      Wichtig erscheint mir allerdings, dass zumindest ich die Äußerung von Harald Schrapers so verstanden habe, dass sie über ein reines Branchenthema hinausweist. Mein Argument ist im Kern, dass die Übergänge zwischen Gesellschaftsspielen und Games fließend geworden sind, dass beides Spiele sind und das sie im kreativen Entwicklungsprozess voneinander profitieren können und auch sonst eine ganze Reihe von Ähnlichkeiten haben (Immersion, spielen solitär oder in der Gruppe usw.). Um diese aus meiner Sicht sehr positiven Bezüge zu betonen, sind mir Harald Schrapers Formulierung „beides hat miteinander kaum etwas zu tun“ und „Wer an einer Bushaltestelle Handy daddelt…“ zu abgrenzend und auch zu abwertend gegenüber dem „Handy daddeln“. Deshalb weise ich – zugegebenermaßen zugespitzt – darauf hin, dass „Handy daddeln an der Bushaltestelle“ auch heißen kann, dass man „Terraforming Mars“ spielt. Und Terraforming Mars auf dem Handy zu daddeln, hat sehr viel mit Gesellschaftsspielen zu tun.

      Auch die Formulierungen, die drauf abzielen, dass ich das Gefühl habe, es gehe hier implizit um die Frage, was ein „richtiges“ Brettspiel sei, muss man nicht teilen. Mir ist bewußt, dass es sich um eine Zuspitzung handelt. Allerdings empfinde ich die Formulierung von Herrn Schrapers sowohl als zugespitzt als auch als abwertend gegenüber dem „Handy daddeln“. Daraus habe ich geschlossen, dass es ihm zumindest auch um Abgrenzungen verschiedener Spieleformen, Spieleorte und Spielemedien geht, was ein Deutungshoheitsdiskurs wäre.

      Diese Interpretation mag man nicht teilen (und er selbst äußert sich ja auch unten entsprechend). Ich würde aber daran festhalten, dass meine Interpretation auf Grund seiner Formulierung durchaus eine gewisse Berechtigung hat. Tatsächlich geht es mir aber weder um Wortwahl, noch um Formulierungen, sondern um eine Diskussion, wie man das Kulturgut „Gesellschaftsspiel“ fördern kann. Diese Förderung des Kulturguts Gesellschaftsspiel sehe ich eher in Synergien mit Games als in Abgrenzung dazu. Das mag ein inhaltlicher Unterschied zu Harald Schrapers sein.

      Ich hoffe, Ihnen meine Bewegründe für Argumentation und Stil des Artikels dargelegt zu haben. Selbstverständlich müssen Sie diese nicht teilen und wenn man zuspitzt, dann bekommt man auch mal Gegenwind. Ich habe jedenfalls verstanden, dass Sie deutlich finden, dass ich über das Ziel hinausgeschossen bin.

  2. Es ist nicht mehr 1979. Ich freue mich auf eine Reform beim Spiel des Jahres. Mit solchen Aussagen steht man der Akzeptanz von Brettspielen in der Breite der Gesellschaft eher im Weg als das es hilft. Natürlich braucht die Brettspielbranche ein klares Profil um sich von anderen Kulturformen zu unterscheiden, letztendlich sollten die unterschiedlichen Medien aber divergieren und interagieren, sonst bleibt das ein angestaubtes Relikt aus dem letzten Jahrtausend. Die Gesellschaft unterscheidet deutlich weniger zwischen den einzelnen Formen, als sich das SdJ das wünscht. Für die meisten in der Gesellschaft ist Brettspielen eben kein Job oder Lebensaufgabe oder Hobby sondern einfach nur eine gelegentliche Freizeitbeschäftigung. Und für die wird es schwer zu verstehen, warum man ihnen diktieren möchte, Brettspiele müssen analog sein. Die sehen da längst keine Grenzen mehr – deswegen bitte die Grenzen im Kopf abbauen und sich nicht vor der Innovation verschließen. Ich brauche keine SdJ als Hüter alter Werte, ich würde mir einen modernen Verein wünschen, der Akzente setzt und Vorreiter für die Branche ist.

    1. Was du da schreibst, ist nicht richtig.

      „letztendlich sollten die unterschiedlichen Medien aber divergieren und interagieren“ – dagegen hat niemand etwas gesagt. Nicht im Interview, nicht davor, nicht danach. In dem Interview geht es darum, was die Brettspielbranche von der Videospielbranche lernen kann, was sie besser machen könnte.
      Der Kauf Asmodees von der Embracer Group rief die Frage auf, ob sich die Branchen zusammen tun sollten. Und dies führte dann dazu, dass der Interview ohne Beleg oder konkretisierung behauptet, das Jugendliche nicht zwischen digitalem und analogen Spielen unterscheiden würde. Worauf Scharper eben dann sagt, es verschiedene Beschäftigungen sind. Und damit hat er eben recht.

      Niemand sagt „Brettspiele müssen Analog sein“ oder will das irgendwen diktieren. Erstmal ist es so, dass ein Spielbrett oder Karten von physischer Natur sind und somit analog benutzt werden. Sobald man dieses am Computer widerspiegelt, ist es eine Software. Man simuliert dann zwar Karten-/Brettspiele. Es ist dann aber trotzdem ein Video/Computerspiel, welches ein Brettspiel adaptiert/simuliert.
      Genauso wird ein Brettspiel nicht gleich zu einem Computerspiel, wenn manche Aspekte von einer App übernommen werden. Oder weil ein Computerchip in nem Plastikgehäuse nen Computer-Virus simuliert.

      Da kommt es am Ende darauf an, wieviel Anteil vom jeweiligen (digital/analogen) noch vorhanden ist.
      Wenn man am Computer einen Flugsimulator spielt, fliegt man auch kein echtes Flugzeug sondern spielt ein Spiel. Das Flugzeug fliegen geschieht auch analog.
      Zumal es Brettspieladaptionen gibt, seit es Videospiele gibt. Auch schon auf nem Amiga oder C64. Das ist nichts neues oder noch nie dagewesenes.

      Aber dazu kommt noch, dass es eben in dem Interview bzw bei der Frage NICHT darum ging, ob ein Brettspiel nur Analog sein darf (was dort auch gar nicht gesagt wird). Siehe oben.

      Das abgrenzen der Brettspiele von Videospielen an sich hat in meinen Augen nichts mit Ausschluss von Innovationen zu tun. Sondern lediglich mit der Definierung „Was ist ein Videospiel, was ist ein Brettspiel“. So wie auch definiert ist, was ein Film und was ein Videospiel ist (wo es in der Vergangenheit auch schon Überschneidungen und entsprechende Diskussionen gab).

      Branchen können voneinander lernen/adaptieren/profitieren/sich inspirieren lassen ohne dass sie sich zusammentun müssen.
      Es werden seit vielen Jahren auch Konzepte aus Videospielen in Brettspielen umgesetzt zw. versucht.
      Als Beispiele sei das Tower Defence Spiel ‚Kingdom Rush‘ gemeint.
      Und man sollte nicht vergessen, dass viele bekannte&erfolgreiche Videospiele(reihen) auf Pen&Paper oder Brettspielen basieren. (und dann auch schonmal wieder zum Brettspiel werden, wie z.B. XCOM)

  3. Da hat Jakob Richter etwas ganz grob missverstanden. Ich habe niemals behauptet, dass Terraforming Mars in der digitalen und der analogen Form etwas „völlig anderes“ sei. Sondern ich habe den Unterschied zwischen „daddeln an der Haltestelle“ und dem gemeinsamen Spielen an einem Tisch herausgestellt, um deutlich zu machen, dass ich keine Vorteile darin sehe, wenn Unternehmen der beiden Seiten fusionieren und die beiden Branchen den Schulterschluss suchen.
    Die digitale Umsetzung analoger Spiele finde ich hingegen einen sehr guten Trend: Plattformen wie die Brettspielwelt oder die Boardgamearena wie auch einige einzelne Apps bieten oft hervorragende Versionen analoger Spielideen. Und auch ein Spiel wie Dorfromantik, das den umgekehrten Weg genommen hat, gefällt mir. Warum auch nicht?

    1. Lieber Harald Schrapers, vielen Dank, für die schnelle Reaktion. Tatsächlich freut es mich, dass wir wohl doch in der Bewertung der Digitalisierung für die Chancen der Gesellschaftsspieleentwicklung näher bei einander sind, als ich gedacht habe.
      Ob die Sätze „Auch wenn es Spiel heißt, hat das eine mit dem anderen kaum etwas zu tun. Wer an der Bushaltestelle auf dem Handy daddelt, geht in meinen Augen einer völlig anderen Beschäftigung nach.“ von mir tatsächlich so grob missverstanden worden sind, wie oben nahelegt, sei mal dahingestellt. Wenn die Äußerung schwerpunktmäßig auf die Frage zielt, ob gemeinsamer Lobbyismus von Gesellschaftsspiel- und Gamesbranche sinnvoll ist, hätte ich nichts geschrieben. Das ist eine Spezialdiskussion, die Brancheninsidern führen müssen. Das sie Unternehmensfusionen grundsätzlich so kritisch sehen, wundert mich, letztlich ist das doch eine unternehmerische Entscheidung, die eben so oder so fällt. Aber auch das ist nicht mein Punkt.
      Mir erschien die Äußerung eben deutlich weitergehender, was mich ziemlich gewundert und zu dem Artikel veranlasst hat. Dabei ist mir die stark positive Betonung des Spielens am Tisch gegenüber der einigermaßen zurücksetzenden Formulierung „Handy daddeln“ aufgestoßen. Es geht mir aber nicht um Satzinterpretation oder um Wortklauberei, sondern um die Frage, ob Brettspiel- und Gamesentwicklung durch Synergien voneinander profitieren können. Ich halte es für sinnvoll, sich im kreativen Prozess positiv aufeinander zu beziehen und das klang eben in der Interviewformulierung meinem Verständiss nach so gar nicht an.
      Interessieren würde mich, wie Sie die Übergänge von Games und Gesellschaftsspielen bewerten? Gesellschaftsspiele mit teilweise erheblichen Computernanteilen oder Handygames mit größerer Brettspielähnlichkeit wie z.B. Spaceteam? Ist es für die Entwicklung solcher Spiele/Games nicht nötig sich aufeinander zu beziehen? Am Ende geht es doch darum, das Kulturgut Spiel zu fördern und das kann auf von reinen Computer-/Handygames bis zu klassischen Gesellschaftsspielen auf vielen Zwischenstufen erfolgen.

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