Das digitale Game Friedrich Ebert – Der Weg zur Demokratie soll als analoges Kartenspiel erscheinen. Wir haben darüber mit Dr. Martin Thiele-Schwez von Playing History gesprochen. Ein Interview über Serious Games, fiktive Briefe und den Kampf für Demokratie.
Friedrich Ebert – Der Weg zur Demokratie
Demokratie beruht auf gegenseitiger Kontrolle. Das ist beim Kartenspiel Friedrich Ebert – Der Weg zur Demokratie nicht anders. Die Spielerinnen und Spieler agieren von Eberts virtuellem Schreibtisch aus. Mit Briefen informieren sie sich über die politische Lage, gesellschaftliche Probleme und Herausforderungen. Gemeinsam müssen sie entscheiden, welche der laufend eintreffenden Briefe sie zuerst öffnen und beantworten, um Spannungen zwischen verschiedenen Gruppen unter Kontrolle zu halten. Werden die Spannungen zu groß, bevor die Zielkarte eines Kapitels erreicht wird, verlieren alle gemeinsam.
Das analoge Kartenspiel basiert auf dem 2023 veröffentlichten, gleichnamigen Serious Game der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte. Es ist als „Bestes Serious Game“ für den Deutschen Computerspielpreis nominiert. Aktuell läuft in der Spieleschmiede eine Crowdfunding-Kampagne zur Realisierung des Kartenspiels. Das Finanzierungsziel beträgt 5.000 Euro.
Wieso ein Spiel über Friedrich Ebert und nicht über Konrad Adenauer, Theodor Heuss oder Willy Brandt?
Vor einem Jahr haben wir mit der Stiftung Reichspräsident Friedrich-Ebert-Gedenkstätte ein digitales Game über Ebert veröffentlicht. Nach dem Erfolg des Browserspiels kam Ostia-Spiele auf uns zu. Der Verlage wollte das digitale Game in ein analoges Kartenspiel umsetzen. Ich bin überzeugt, dass wir auch zu anderen deutschen Politgrößen ein sinnvolles Spiel entwickeln könnten. Ebert ist aber besonders zeitgemäß. Wir können mit Blick auf die Weimarer Republik von seinem Leben sehr gut lernen, was es heißt, Demokratie zu erkämpfen und für ihren Erhalt einzutreten.
Ihr entwickelt Spiele für Stiftungen, Vereine und Unternehmen. Wie viel Freiheiten habt ihr als Dienstleister bei der Entwicklung?
Bei der Entwicklung befinden wir uns in einem stetigen, wohlwollenden Aushandlungsprozess. Idealerweise bringen wir die Game-Design-Expertise ein und unsere Partner die wissenschaftliche und historische Expertise. Wir versuchen, relativ trockene Inhalte so aufzuarbeiten, dass die Interaktion mit ihnen mitreißt. Die wissenschaftlichen Partnerinnen und Partner prüfen, ob die Darstellung der historischen Komplexität angemessen ist.
Unser Freiheitsgrad ist von Projekt zu Projekt unterschiedlich: Manche Partnerinnen und Partner lassen uns relativ freie Hand, andere begleiten den Prozess sehr eng. Die Stiftung Reichspräsident Friedrich-Ebert-Gedenkstätte hat genau hingeschaut. So wurde sichergestellt, dass alle Texte – die sich auch im analogen Spiel wiederfinden – korrekt sind und dem aktuellen Stand der Forschung entsprechen.
Trotzdem sind einige Texte im Spiel fiktiv – zum Beispiel die Briefe an Ebert. Wieso?
Als wir mit der Arbeit begannen, habe ich die Ebert-Biographie von Walter Mühlhausen gelesen. Dabei ist mir ein Begriff, der Eberts Leben charakterisiert, besonders in Erinnerung geblieben: Problemstau. Wir haben überlegt, wie wir Problemstau im Spiel sichtbar machen können. Wir sind auf die Idee gekommen, dass sich Bedürfnisse diverser Gruppen als Briefe auf einem Schreibtisch stapeln. Das Spiel ist so angelegt, dass es nie gelingt, auf alle Bedürfnise gleichermaßen einzugehen. Es bleibt ein Aushandeln und Priorisieren.
Die Briefe sind fiktiv. Den Historikerinnen und Historikern der Stiftung ist es jedoch gelungen, die Themen der Zeit prägnant und kurzweilig in den Briefen einzufangen. Dabei war es wichtig, dass sich die Inhalte valide begründen lassen und nahe am historischen Verlauf bleiben.
Mit Mechaniken zu Abhängigkeiten der einzelnen Briefe bleiben wir möglichst nah an den geschichtlichen Abläufen, um keinen logischen Widerspruch zu erzeugen. Hat die Heeresleitung die militärische Niederlage im Ersten Weltkrieg eingestanden, wird der Brief über die Euphorie zu Kriegsbeginn aus dem Spiel genommen. So wird vermieden, dass die Kriegseuphorie noch Teil des Spiels werden kann, wenn im Spielablauf die Niederlage schon feststeht.
Das analoge Spiel basiert auf einem digitalen Serious Game. Diese sollen Informationen und Bildung vermitteln. Handelt es sich dabei überhaupt um Spiele? Schließlich sind Spiele per Definition zweckfrei.
Serious Games zeichnen sich dadurch aus, dass sie beide Aspekte – Serious und Game – in sich vereinen. Serious bedeutet, dass geschichtliche und thematische Aspekte ernsthaft, auf gut recherchierter Basis behandelt werden. Das Spiel blendet unangenehme Fragen nicht aus. Das unterscheidet es von einem klassischen Euro Game. Bei diesen sind Themen oft weichgespült, austauschbar oder folgen falschen Klischees.
Ich bin überzeugt, dass jegliches Spielen, egal ob digital oder analog, einen Lerneffekt hinterlässt – sei es was Interaktion und Miteinander angeht oder hinsichtlich der Inhalte der Spiele. Wer spielt, lernt. Und zwar in einer Form, die meist leicht von der Hand geht und Vergnügen bereitet. Friedrich Ebert – Der Weg zur Demokratie kann so gespielt werden, dass wir tief in die Geschichte der Weimarer Republik eintauchen, wenn wir uns darauf einlassen. Für Personen, die für einen Abend in ein unterhaltsames, kooperatives Spiel eintauchen wollen, ist Friedrich Ebert aber auch geeignet – ein Eindruck über die Weimarer Republik wird auch bei ihnen hängen bleiben.
Was sollen Spielerinnen und Spieler lernen, wenn Sie Friedrich Ebert – Der Weg zur Demokratie spielen?
Unterschiedliche Dinge: Das Spiel ist ein ständiges Aushandeln und Priorisieren von Bedürfnissen – folglich wird vermittelt, dass Demokratie stets ein Aushandlungsprozess ist. Zudem stellen wir Kräfte dar, die gegen die Demokratie arbeiten. Spielerinnen und Spieler lernen dadurch, dass Demokratie verteidigt werden muss. Durch ihr aktives Handeln werden sie immer wieder mit Entscheidungen konfrontiert. So lernen sie, dass die Weimarer Republik nicht deterministisch zum Scheitern verurteilt war, sondern dass es ein Ergebnis aus Entscheidungen und Versäumnissen vieler Personen war. Geschichte ist offen. Daneben lernen Spielerinnen und Spieler viele Personen und Themen der Zeit kennen. Sie lernen über die Komplexität der Weimarer Republik sowie die Hürden und Kämpfe, mit denen sich Ebert beruflich und privat herumschlagen musste.
Mit Blick auf die reine Medialität lernen sie, dass die Beschäftigung mit ernsten Themen Spaß machen kann – wenn das Medium richtig gewählt ist.
Warum ist das Medium Spiel dafür besonders geeignet?
Die Qualität des Mediums Spiel liegt darin, dass Personen es nicht passiv rezipieren, sondern aktiv werden. Das Spielerlebnis entsteht durch aktives Handeln. Die Spielerinnen und Spieler müssen immer wieder neu verhandeln, was in den jeweiligen Situationen zu tun ist. Je immersiver ein Spiel, desto schwerer ist es, diese Entscheidungen zu treffen. Schließlich hängt viel davon ab und Spielerinnen und Spieler wollen keine unnötigen Risiken eingehen. Durch die Einbindung in Entscheidungen rufen Spiele, Emotionen hervor, die ein Film nicht auslösen kann. Ich kann mich schämen, weil ich verhängnisvolle Entscheidungen getroffen habe. Stimmen wir Kriegskrediten zu, wissend, dass es unsere Partei vor eine Zerreißprobe stellt? Wie empfangen wir Kriegsheimkehrer, wenn die Wirtschaft am Boden liegt? Anders als in Filmen oder Büchern kann ein Spiel je nach Entscheidung außerdem unterschiedlich enden.
Wie unterscheidet sich das analoge Kartenspiel vom digitalen Game?
Es handelt sich bei der analogen Umsetzung um ein Spiel, das wie das digitale Game allein gespielt werden kann. Es ist aber als kooperatives Spiel für eine Gruppe optimiert worden. Der Aspekt des gemeinsamen Aushandelns – der vielen Runden Spaß macht – ist neu hinzugekommen. Außerdem haben wir das Gameplay überarbeitet und neben der historisch akkuraten Variante Spielmodi hinzugefügt, die mehr spielerische Varianz erlauben. So liegt dem Spiel ein Kartendeck bei, mit dem individuelle Fähigkeiten Eberts freigeschaltet werden können, die wiederum mit persönlichen Erlebnissen verknüpft sind.
Wie entstand die Zusammenarbeit mit Ostia-Spiele?
Ostia-Spiele kennen wir schon lange aus Brettspielkreisen. Wir mögen die Spiele des Verlages und schätzen die Inhaber Heike und Stefan Risthaus sehr. Vergangenes Jahr waren wir auf der Spiel 2023 in Essen. Dort war das Spiel Weimar ein Höhepunkt. Es hat mich interessiert, weil wir kurz zuvor das digitale Ebert-Spiel herausgebracht hatten. Ich kam mit Stefan ins Gespräch. Er teilte meine Begeisterung und war gleichzeitig von unserer Veröffentlichung begeistert. Stefan fragte, ob wir uns eine analoge Umsetzung im kooperativen Mehrspielermodus vorstellen könnten. Aus der Idee wurde schnell das Vorhaben, ein analoges Spiel zu entwickeln. Dankenswerterweise hat die Stiftung Reichspräsident Friedrich-Ebert-Gedenkstätte uns dabei unterstützt.
Wieso wird das Spiel per Crowdfunding finanziert?
Im Gegensatz zu den meisten unserer anderen Produktionen gibt es für die analoge Variante von Friedrich Ebert – Der Weg zur Demokratie keinen konkreten Auftraggeber. Wir finanzieren das Spiel mit Ostia-Spiele und tragen das gesamte Risiko. Crowdfunding ermöglicht eine Art Realitätscheck. Wir können prüfen, ob das Interesse an dem Spiel groß genug ist, um den Aufwand (Personal, Produktion) zu rechtfertigen. Außerdem können wir mit Crowdfunding Zusatzoptionen und Gimmicks anbieten, die wir aus verschiedenen Gründen nicht in die reguläre Box packen würden.
Wieso habt ihr euch für die Spieleschmiede entschieden und nicht für Kickstarter oder Gamefound?
Das Gesamtpaket der Spieleschmiede mit der Community und der Logistik beim Versand der Pakete ist für uns ein Pluspunkt. So benötigen wir keinen zusätzlichen Logistikpartner und auch keinen separaten Webdesigner. Das Projekt Ebert ist rein deutschsprachig aufgebaut und somit passt eine deutsche Crowdfunding-Plattform. Außerdem hat Ostia-Spiele in der Vergangenheit gute Erfahrungen mit der Spieleschmiede gemacht.
Das Serious Game richtet sich vor allem an Bildungseinrichtungen. Das analoge Spiel nicht. Warum?
Wir adressieren Schulen und andere Bildungseinrichtungen nicht direkt. Auch wenn ich davon überzeugt bin, dass das Spiel für sie sehr geeignete ist. Nicht zuletzt, weil wir im Begleitheft jedes Ereignis mit Hintergrundwissen kontextualisieren. Auch die Spielzeit passt gut in eine Unterrichtseinheit.
In allererster Linie soll das Spiel Spaß machen. Darum bin ich überzeugt davon, dass es von allen Personen gespielt werden kann. Dies zeigen die ersten Reaktionen aus Prototypen-Testrunden. Da der Anspruch nicht gering ist, empfehlen wir ein Mindestalter von zwölf Jahren. Zudem spricht es natürlich diejenigen Personen besonders an, die kooperative Spiele mögen und ein gewisses Geschichtsinteresse mitbringen.
Welche anderen analogen Gesellschaftsspiele, die historische Begebenheiten thematisieren gefallen euch?
Diese Liste ist lang. Zuletzt löste bei mir Weimar große Begeisterung aus. Eine Runde von vier Spieler für etwa sechs Stunden zusammen zu bekommen, ist aber anspruchsvoll. Vorher war Twilight Struggle lange Zeit ein Spiel, das ich sehr liebte und es noch immer tue. Auch Pax Pamir ist großartig.