Michael Kröhnert. Foto: Sebastian Wenzel

Der Codenames-Übersetzer

Michael Kröhnert hat Codenames ins Deutsche übersetzt und ist mitverantwortlich für den Erfolg des Spiels. Wir sprachen mit ihm über Homonyme, Zentaur und Momente, in denen er sich freut, dass sein Name nicht in Anleitungen auftaucht.


Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmals 2016 in der spielbox.

Bei Codenames gibt es 400 Wörter. Welches davon ist Dein Liebling?
Australien. Das war das erste Wort, das mir eingefallen ist, nachdem wir uns entschlossen hatten, einige Homonyme aus dem Spiel zu werfen.

Homowas?
Homonyme sind Wörter, die für verschiedene Begriffe stehen. In der Umgangssprache nennt man solche Wörter Teekesselchen. In Codenames sind 55 Prozent der Wörter Homonyme, zum Beispiel Kiefer, Decke oder Platte.

Was ist schlecht an Homonymen?
Homonyme sind oft einfache Wörter. Sie sind kurz, simpel und tauchen in Leselernbüchern auf. Hätten wir nur Homonyme verwendet, hätte Codenames wie ein Kinderspiel gewirkt. Es hätte zwar funktioniert, aber sowohl der Verlag als auch ich haben unabhängig voneinander festgestellt, dass Codenames noch mehr Spaß macht, wenn man Wörter durchmischt.  Wir haben deswegen einige Homonyme durch starke Assoziationswörter ersetzt.

Woran erkennt man starke Assoziationswörter?
Man erkennt sie daran, dass kreativen Spielern sofort mindestens sechs Assoziationen dazu einfallen. Australien habe ich zum Beispiel mit Känguru, Sydney, Outback, Uluru, Korallen und Kontinent assoziiert. Bei Slowenien fällt es dagegen den meisten Menschen schwer, aus dem Stehgreif sechs Assoziationen zu nennen. Deswegen taucht Australien im Spiel auf, Slowenien aber nicht. Wörter, die aus anderen Wörtern aufgebaut sind, sind zwar starke Assoziationswörter aber für Codenames  eher ungeeignet. Autobahn steckt voller Assoziationen, aber die Wörter Auto und Bahn sind besser fürs Spiel geeignet. Bergsteiger hat dagegen mehr Vor- als Nachteile und ist im Spiel enthalten.

Australien gibt es in der deutschen und englischen Codenames-Ausgabe. Ist das ein Zufall?
Nein. Das hängt mit den Abläufen beim Übersetzen zusammen. Wird ein Spiel in mehreren Ländern vertrieben, übersetzen die Verlage das Material und die Regeln normalerweise ins Englische. Diese Sprache ist die Basis für Übersetzungen in alle weiteren Sprachen. So war es auch bei Codenames. Es gab eine Excel-Liste mit zahlreichen englischen Wörtern. Viele davon, wie zum Beispiel Australia, konnte ich eins-zu-eins übersetzen.

Wie kam es zu dieser Liste?
CGE hat zusammen mit einem US-Amerikaner und einem Briten die Liste erstellt. Wichtig war dabei, dass die Wörter in Amerika und England bekannt sind. Das gilt natürlich auch für deutsche Übersetzungen. Paradaiser, österreichisch für Tomate, oder Mampf, bayrisch für schlechtes Essen, versteht in Schleswig-Holstein kein Mensch. In der Liste gab es  sechs  Rubriken: „Lebhafte Wörter“ wie Van, „Ikonische Wörter“ wie Fire, „Leicht mit anderen Wörtern kombinierbare Wörter“ wie Star und „Kulturelle Wörter“ wie New York. Die größte Rubrik mit circa der Hälfte der Wörter war „Homonyme“. Diese musste ich fast alle komplett neu finden. Wenige englische Teekesselchen funktionieren in der deutschen Sprache.

Weshalb hat es Zentaur ins Spiel geschafft?
Ich habe das Wort in mehreren Runden getestet und es war allen Spielern klar, dass damit Pferdemenschen gemeint sind. Dafür sind andere Wörter während der Tests rausgeflogen. Azteke habe ich durch Inka ersetzt, denn Inka kann auch ein Vorname sein.

Es gibt auch kaum aktuelle Begriffe wie Facebook, Twitter oder WhatsApp. Warum?
Erstens ist das Spiel ohne aktuelle Wörter zeitloser. Wer weiß, ob es Facebook in drei Jahren noch gibt. Außerdem muss man bei Markennamen aufpassen, dass man keine Rechte verletzt und sich eine Abmahnung einfängt.

Habt ihr über verschiedene Wörterdecks für Kinder und Erwachsene nachgedacht?
Nein, denn jeder Mensch denkt anders. Es kann ein Wort geben, das ich als kompliziert empfinde und zu dem mir partout keine Assoziationen einfallen. Wenn ich es einem Jugendlichen zeige, nennt er mir vielleicht direkt mehrere Begriffe, die dazu passen.

In Codenames stehen Wörter zweimal auf einer Karte: in schwarzen großen Buchstaben auf weißem Hintergrund und in grauen kleinen Buchstaben auf hellbraunen Hintergrund. Weshalb die unterschiedlichen Farben und Größen?
Das hängt mit unserer Wahrnehmung zusammen. Wären Wörter nur gekontert, also mit identischer Schriftfarbe und Größe dargestellt, wäre das verwirrend. Spieler würden unwillkürlich anfangen, die Wörter, die auf dem Kopf stehen, zu lesen. Das würde sie verwirren. Haben sie sich auf die andere Farbe und Größe eingesehen, blendet das Gehirn Wörter, die auf dem Kopf stehen, eher aus.

Codenames-Karten sind doppelseitig bedruckt. Nach welchem Prinzip hast Du Wörter auf Vorder- und Rückseiten verteilt?
Auf Vorder- und Rückseite einer Karte sollten möglichst Begriffe stehen, zu denen man keine gemeinsamen Assoziationen findet. Es sollten also Begriffe sein, die weit voneinander entfernt sind. Bei der Verteilung kam wieder eine Excel-Liste zum Einsatz. Vlaada Chvátil ist Programmierer und nutzt alle technischen Tricks, die ihm zur Verfügung stehen. Die Excel-Liste hat zum Beispiel auch automatisch darauf geachtet, dass keine Begriffe doppelt auftauchen.

Du hast nicht nur die Codenames-Karten übersetzt, sondern auch die Anleitung …
… ja, von der Regel bin ich allerdings weniger angetan. Mir gefallen viele der Einschränkungen nicht. Ich lasse in meine Partien viel mehr Freiheiten zu. Glücklicherweise deutet die Anleitung dies auch an: „Spielt doch, wie es euch Spaß macht.“

Worauf achtest Du generell, wenn Du Anleitungen übersetzt?
Ich versuche, Dinge möglichst knapp zu formulieren. Wenn die deutsche Übersetzung etwa zwanzig Prozent länger ist als der englische Text, ist sie wahrscheinlich schlecht und klebt zu nah am Original. Deutsch ist geschwätziger als Englisch, aber in der Regel komme ich mit etwa zehn Prozent mehr Text hin. Vorausgesetzt, ich habe ausreichend Zeit.

Hast Du die als Übersetzer denn nicht immer?
Im Gegenteil: Vor allem bei Kleinverlagen werden Regeln oft iterativ erstellt. Während das Spielmaterial schon gedruckt ist, fällt den Redakteuren noch ein, dass die Anleitung geändert werden soll. Noch dazu sind Anleitungen leider recht simpel herzustellen. Anders als Pappteile oder Karten müssen kaum lange Trocknungszeiten oder Produktionsläufe eingehalten werden. Man kann Anleitungen auf den letzten Drücker produzieren und sogar einer folierten Schachtel nachträglich beilegen oder unter die Folie schieben. Das wird auch gemacht.

Entstehen so englische, deutsche und französischen Regeln, die sich unterscheiden?
Ja, durch Zeitmangel, schlechte Koordination und viele andere Dinge. Gerade bei Kleinverlagen sind die englischen Regeln oft lückenhaft. Ich nehme dann Kontakt mit dem Verlag auf, mache Änderungsvorschläge oder stelle Nachfragen. Immer wieder kommt es vor, dass ich keine Antwort erhalte und überrascht bin, wenn ich in Essen das Spiel sehe. Die Verlage haben meine Korrekturen in der englischen Anleitung übernommen und die deutsche Anleitung so gedruckt, wie sie war. Dabei war die deutsche Anleitung weder fertig noch für den Druck gedacht. Das sind Momente, in denen ich mich freue, wenn mein Name in der Anleitung nicht auftaucht. Bei gut der Hälfte meiner Aufträge gab es solche Probleme. Sie haben glücklicherweise nicht immer zu einem erkennbaren Fehler geführt, aber öfter als mir lieb war.

Du übersetzt nur Anleitungen, sondern setzt die deutschen Texte manchmal auch ins Layout.
Ja, das wird im Vergleich zur Übersetzungsarbeit relativ gut bezahlt, ist aber oft kein Zuckerschlecken. Man erlebt echt krasse Sachen: hunderte, einzeln angelegte, gigantische Spielkartendateien in obskuren Dateiformaten. Manchmal sind Texte und Symbole nicht editierbar und ich muss aufwändig retuschieren. Oft kann ich die Arbeitsweise nicht nachvollziehen. Das liegt nicht notwendigerweise daran, dass es Quereinsteiger und Laien sind, die an der Grafik arbeiten. Auch große Verlage liefern unter der Haube viel Pfusch ab – vermutlich aus Zeitstress. In einem Extremfall wollte ein US-Grafiker die editierbaren Originaldateien nicht rausrücken, weil er glaubte, seine Filtereinstellungen seien so genial, dass alle Welt sie ihm klauen würde. Das hat leider zu einem dicken Fehler geführt, weil alles, auch Zahlenwerte, komplett neu von mir gesetzt werden musste. Es gibt aber Ausnahmen. Ein paar Verlage nehmen sogar Geld in die Hand und fügen Anleitungen Seiten hinzu, um den höheren Platzbedarf der deutschen Sprache aufzufangen und eine neue und bessere Struktur zuzulassen.

Wie ist das bei den Anleitungen von CGE?
Die CGE-Sachen landen oft, aber nicht immer, bei mir. Sie kommen häufig auf den letzten Drücker, sind sehr umfangreich und meistens extrem gut durchdacht. SPACE ALERT, das seinerzeit einen „Spiel des Jahres“-Sonderpreis  bekommen hat, hätte ich fast abgelehnt, weil die Zeit vor der Spiel dafür höllisch knapp war. Es gab keinerlei Lektorat von den Heidelbergern, nur die Slowakin Monika Dillingerova las Korrektur. Sie spricht gut Deutsch und findet inhaltliche Fehler fast immer. Ich habe Blut und Wasser geschwitzt, weil ich fest damit rechnete, dass ein dicker Klopper in der Anleitung sein würde. Das war zum Glück nicht der Fall. Stattdessen wurde mein Text in der spielbox und andernorts hoch gelobt. Ich will meine Übersetzungsarbeit aber nicht zu hoch aufhängen: Codenames ist als Spielsystem genial und funktioniert immer. Es ist egal,  was man auslegt: Brettspiele, Dixit-Karten oder nach Zufall gewählte Wörter. Es funktioniert jedoch deutlich besser, wenn man ein bisschen Hirnschmalz in die Auswahl der Wörter steckt.

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