Wer möchte, dass seine Kinder Mathekompetenzen entwickeln, muss nicht auf mathematische Lernspiele zurückgreifen. Es reicht schon, einfache Brettspiele mit Punktewürfeln zu spielen, statt auf Spiele mit Farb- oder Symbolwürfeln zu setzen. Das ist das Ergebnis einer wissenschaftlichen Studie.
Lernspiele sind ein Widerspruch in sich. Zumindest, wenn man sich auf Spieledefinition von Johan Huizinga beruft. Sie lautet:
Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des ‚Andersseins‘ als das ‚gewöhnliche Leben‘.
Johan Huizinga, Homo ludens
Spiel ist demnach zweckfrei. Lernspiele sind das nicht. Sie instrumentalisieren das Spiel zu außerhalb des Spiels liegenden Interessen. Bei Die freche Sprechhexe von Ravensburger dreht sich alles um Sprachförderung, mit dem ABC-Zauberduell von Haba sollen Kinder das ABC lernen und bei Ich lerne rechnen von Jumbo steht zählen, addieren und subtrahieren im Mittelpunkt.
Vorteile beim Zählen
Dabei können Kinder zwischen vier und sechs Jahren auch durch einfache Brettspiele wie Mensch ärgere dich nicht bessere mathematische Kompetenzen entwickeln. Das ist zumindest das Ergebnis der Studie „Fostering early numerical competencies by playing conventional board games“. Sie stammt von Professorin Dr. Hedwig Gasteiger, Mathematikdidaktikerin an der Universität Osnabrück, und Korbinian Möller, Professor für Mathematische Kognition an der Loughborough University (Großbritannien).
Laut der Studie entwickeln sich Kinder mathematisch besser, wenn sie die Brettspiele mit Zahlenwürfeln spielen statt mit Farb- oder Symbolwürfeln. Im Vorher-Nachher-Vergleich hätten Kinder, die Spiele mit Zahlenwürfeln gespielt hatten, besser beim Zählen, Strukturen erkennen und der Nutzung dieser Strukturen abgeschnitten. Strukturen sind wichtig, um sinnvoll zu rechnen. Damit das gelingt, müssen wir Zahlen in ihrer abstrakten Mengenbedeutung und ihren Beziehungen zu anderen Zahlen verstehen. Das gilt auch für den Aufbau des Zehnerzahlsystems und die Logik der Rechenoperationen. Diese Inhalte bauen hierarchisch aufeinander auf. Hat eine Person Gedanke A nicht verstanden, kann sie oder er den darauf aufbauenden Gedanken B auch nicht oder nicht korrekt verstehen.
Längerfristige positive Effekte
Darüber hinaus beobachteten Gesteiger und Möller laut eigenen Angaben auch ein Jahr später noch einen signifikanten Unterschied zwischen den Vergleichsgruppen. Es hätten sich positive Langfristeffekte des Spielens von Brettspielen mit Punktewürfeln auf das Erkennen und Verwenden von Strukturen gezeigt.
„Bislang wusste man, dass speziell entwickelte Spiele mit Fördercharakter einen positiven Effekt auf die numerische Entwicklung haben. Der Effekt von konventionellen Brettspielen wurde bislang jedoch nicht nachgewiesen“, sagt Gasteiger. „Unser Studie zeigt, dass das Spielen von konventionellen Brettspielen mit traditionellen Punktewürfeln eine effektive und sehr niedrigschwellige Förderung früher numerischer Kompetenzen ist. Es lohnt sich also, auf Spieleklassiker wie Mensch ärgere dich nicht oder Fang den Hut zurückzugreifen.“
„Alles kann Mathematik sein„
Dr. Jörg Kwapis ist Diplom-Erziehungswissenschaftler und Dyskalkulietherapeut. Seit 2000 besetzt er zentrale Funktionen für die Zentren zur Therapie der Rechenschwäche (ZTR) in Potsdam, Berlin und Freiburg. Das ZTR geht davon aus, dass 20 bis 25 Prozent der Kinder am Ende der zweiten Klasse die Logik der Zahlen bis hundert nicht oder nur teilweise verstanden haben. Die Ravensburger-Pressestelle stellte ihm die folgenden Fragen.
Was können Eltern machen, deren Kinder sich mit Mathe schwertun?
Beobachten Eltern oder Lehrer anhaltende Probleme beim Rechnen, sollte man diese im Rahmen einer mathematischen Lernstandsanalyse detailliert untersuchen. Es gilt festzustellen, bis zu welchen der aufeinander aufbauenden Lerninhalte die Kinder diese verstanden haben, und ab wann die Inhalte unverstanden sind. Liegen die Wissensdefizite im elementaren Bereich des Zahlen- und Rechenoperationsverständnisses, spricht man von einer Rechenschwäche/Dyskalkulie. An der Bruchstelle im Aufbau des mathematischen Wissens sollte ein nachholender mathematischer Lernprozess, wie er im Rahmen einer Dyskalkulie-Therapie erfolgt, ansetzen. Grundsätzlich ist das in jedem Alter möglich. Je früher das Problem jedoch erkannt wird, desto eher können Betroffene es überwinden und desto weniger schmerzliche Erfahrungen entstehen für sie im Zusammenhang mit dem Rechenproblem. Eltern, deren Kinder sich schwer in Mathematik tun, empfehle ich, sich so zeitig wie möglich an Experten für mathematisches Lernen und dessen Probleme zu wenden.
Was kann man tun, damit Probleme in Mathe gar nicht erst entstehen?
Eltern sollten im Gespräch mit ihren Kindern viel nachfragen und diskutieren. Das gilt ja generell und im Besonderen auch für mathematische Fragen. Alles kann Mathematik sein; Muster, Strukturen und Zusammenhänge zu entdecken und sie zu beschreiben ebenso wie logische Schlussfolgerungen und daraus folgende Wenn-Dann-Beziehungen. Eltern können mit Kindern schon zeitig über Mengen und Zahlen bis zehn diskutieren, Zahlenrätsel lösen, mit Zahlen spielen. Das unterstützt Kinder im Nachdenken über Zahlen und ihre Zusammenhänge.
Wie kann Mathe Spaß machen?
Vor allen Dingen, indem wir den Matheunterricht mit Freude betreiben. Für mich heißt das zum Beispiel, mit Zahlen und Formen zu spielen. Menschen mögen Muster und Ornamente. Was passt zusammen, was nicht? Welche Erklärung ist hier sinnvoll? Wie lässt sich das gut beschreiben und zeichnen? Mathematik macht Spaß, wenn sie in Fragen und Rätseln daherkommt. Das können Rätsel mit Zahlen und Formen sein, das können Legerätsel aus Streichhölzern sein, das können Knobelspiele, aber auch logische Schlussfolgerungen in einer kniffligen Situation sein. Die Mathematik kann dann Spaß machen, wenn sie zur gedanklichen Auseinandersetzung einlädt und herausfordert. Und vor allem dann, wenn meine Gedanken und Lösungen nicht immer mit Zensuren bewertet werden