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Oder Wahrheit: Faktenchecker für Brettspiele

Faktenchecker gibt es nicht nur im Journalismus, sondern auch bei Brettspielen. Daniel Danzer ist einer von ihnen. Ein Interview über fragwürdige Zitatsammlungen, Fiktion und Realität sowie die Kindheit von Michelle Obama.


Daniel Danzer verifiziert seit 2013 Fakten in Brettspielen. Sein erster Auftrag war eine Anfrage von Kosmos für Eye Know. Seitdem hat er unter anderem Antworten und Zitate in den Spielen Smart10, Das Maß aller Dinge und Game of Quotes überprüft.

Richtig oder falsch? Michelle Obama wuchs in Detroit auf?
Falsch. Sie wuchs in Chicago auf.

Im alten Rom passten etwa 50.000 Zuschauer ins Kolosseum?
Richtig.

Du hast diese und andere Fakten für Spiele verifiziert. Welche Angaben konntest Du nicht überprüfen?
Überprüfen lässt sich alles. Die Frage ist: Wie eindeutig ist das Ergebnis? Wenn Spieler wie bei „Das Maß aller Dinge“ ungewöhnliche Kombinationen schätzen müssen, wird es schwierig. Wie viele Elefanten wiegen zusammen so viel wie der Eiffelturm? Auf diese Frage gibt es nur eine relativ korrekte Antwort, denn Elefanten sind unterschiedlich schwer. In solchen Fällen geht es eher darum, Ausreißer oder Fehler zu entdecken, die sich in einen Prototyp eingeschlichen haben.

Wann ist es noch schwer, zu einem eindeutigen Ergebnis zu kommen?
Für „Game of Quotes“ habe ich Zitate geprüft. Dabei stand ich oft vor dem Problem: Wer sagt was und in welchem Zusammenhang? Manchmal lautete die Quellenangabe nur „aus Film XY“. Ich hatte aber keine Zeit, mehrere Filme komplett anzuschauen. Zum Glück stehen in der Internet Movie Database zu jedem Film die wichtigsten Zitate.

Ganz blöd sind auch lokale Angaben, zum Beispiel der Werbespruch einer Elmshorner Bäckerei. Der lässt sich nur mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verifizieren. Manchmal kann ich Fakten aus einem sehr direkten Lebensumfeld auch gar nicht überprüfen. Eine weitere Herausforderung: Es gibt Menschen, die sehr, sehr oft beliebig zitiert werden. Goethe, Konfuzius und Einstein haben quasi alles gesagt, beziehungsweise wurde es ihnen zumindest zugeschrieben.

Wie entlarvt man solche falschen Zitate?
Indem man zusätzlich zum Zitat „angeblich“ in Suchmaschinen eintippt. Man kann auch versuchen, glaubhafte Quellen zu finden. Finden sich nur Verweise auf Zitatsammlungen im Netz, kennzeichne ich Sprüche als fragwürdig. Ob sie trotzdem ins Spiel kommen, entscheidet die Redaktion.

Warum sind die meisten Zitatsammlungen fragwürdig?
Viele Seiten im Netz helfen nicht weiter, weil sie ohne Originalquellen arbeiten und offenbar oft voneinander abschreiben. Fünf solcher Seiten nützen bei der Verifizierung wenig, ein Verweis zur Originalquelle hingegen viel.

Im Journalismus gibt es das Zwei-Quellen-Prinzip. Wie viele Quellen brauchst Du?
Eine Quelle ist ohne nochmalige Verifizierung gut, wenn sie eine Originalquelle ist. Wenn ich das Video einer Martin-Luther-King-Rede mit Originalton sehe und höre, muss ich einen Satz daraus nicht durch eine zweite Quelle verifizieren.

Was, wenn sich wie in Filmen Fiktion und Realität vermischen?
Das ist schwierig. Sein oder nicht sein? Sagt das Hamlet oder Shakespeare? Die Antwort hängt oft davon ab, wer beim Publikum bekannter ist. Ich schau dir in die Augen, Kleines. Sagt das Rick, Humphrey Bogart oder sagen das die Drehbuchautoren Epstein und Koch? Oder stand der Satz schon im Theaterstück, auf dem der Film „Casablanca“ basiert? Ist er also von Murray Burnett und Joan Alison? Und eigentlich heißt es ja „Here’s looking at you, kid“.

Gerade bei Schauspielern, Rollen und Autoren ist die korrekte Zuordnung von Zitaten oft eine unauflösbare Aufgabe. Meine Arbeit ist es, das anzumerken und soweit es geht, aufzulösen. Die Entscheidung, wer letztendlich der Sprecher sein soll, liegt bei der Redaktion. Das gilt auch für „abgeschliffene“ Versionen von alten Sprüchen, die niemand mehr in Frage stellt. „Wer Wind sät, wird Sturm ernten!“ ist der Bibel entlehnt, steht aber so nicht in der heiligen Schrift. Im Alten Testament heißt es „Denn sie säen Wind und werden Sturm ernten“.

Wie verifizierst Du Zitate aus anderen Sprachen?
Ich frage mich immer: Wie lautet das Original? Manchmal finde ich keine Quellen zu einem deutschen Zitat, weil es aus einer anderen Sprache stammt. In solchen Fällen muss ich unterschiedliche Schlüsselwörter in verschiedenen Möglichkeiten der Rückübersetzung prüfen, um das Original zu finden. Habe ich als Ausgangspunkt ein fremdsprachigen Originalzitat, verifiziere ich es und baue es gegebenenfalls behutsam übersetzt ins Spiel ein.

Pamela Anderson sagte zum Beispiel “Natural beauty takes at least two hours in front of a mirror.”. Ursprünglich lautet die Übersetzung im Prototyp: „Natürlich schön aussehen nimmt mindestens zwei Stunden Zeit vor dem Spiegel ein.“ Mein Vorschlag war „Für natürliche Schönheit braucht man mindestens zwei Stunden vorm Spiegel.“ Manchmal ist es aber auch ganz einfach, so wie bei einem Interview mit Tom Kaulitz von Tokio Hotel. Im Prototyp war ein englisches Zitat daraus. Ich habe das deutsche Original-Interview gefunden und das englische Zitat ersetzt. Statt „I actually don’t want to have children, but I would have good names for them.“ hieß es dann originalgetreu „Ich will ja keine Kinder haben, aber ich habe sehr, sehr gute Namensideen.“.

Illustratoren nutzen Stifte, Autoren Notizblöcke. Welches Werkzeug brauchst Du?
Google und Wikipedia sind erste Anlaufstellen, wobei sich daraus oft weitere Schritte ergeben.

Stöberst Du auch in Bibliotheken oder Zeitungsarchiven?
Nein. Das wäre zwar interessant, um Originalzitate zu finden, aber ich würde zu viel Zeit und zu viele verschiedene Bücher benötigen, um zum Beispiel Goethe-Zitate zu verifizieren. Außerdem gilt auch der umgekehrte Effekt: Wenn Spieler das Zitat online suchen, wäre es gut, sie finden es auch.

Warum brauchen Spiele überhaupt Faktenprüfer?
Oft bedienen sich Autoren aus dem Leben. Sie verwenden schnell verfügbare Beispiele, um Prototypen spielbar zu machen. Im Laufe der Zeit ergeben sich Änderungen und weitere Ideen werden eingebaut. Erst am Ende merkt man dann, dass vieles nicht überprüft wurde. Da Redakteure keine Zeit haben, tausend Tatsachen nachzurecherchieren, lagern sie diese Arbeit aus.

Übernehmen die Redakteure alle Deine Änderungsvorschläge?
Das weiß ich nicht. Ich gehe Spiele nach dem Erscheinen nicht durch und prüfe, was wie geändert wurde. Ich mache nur Anmerkungen, oft alternative Vorschläge oder ergänze ein paar Zitate, damit es für eindeutig falsche Zitate Ersatz gibt.

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