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Brettspieljournalismus: New Boardgame Journalism – nötig?

Im November 2013 startete Guido Heinecke, mit seinem Artikel „New Boardgame Journalism – nötig?“ eine Diskussion über Spielerezensionen. Heinecke war damals Chefredakteur von TricTrac Deutschland, heute ist er Geschäftsführer Spiel des Jahres. Wir haben die Diskussion von damals dokumentiert.


Dossier Spielejournalismus
Dieser Beitrag gehört zum Dossier Spielejournalismus. In dem Dossier dokumentieren wir ausgewählte Ereignisse, Beiträge und Diskussion aus der Geschichte des Spielejournalismus. Dieser Artikel von Guido Heinecke erschien erstmals am 21. November 2013 auf TricTrac Deutschland.

Seit März 2004 gibt es bei den Kollegen drüben in der digitalen Sparte – das sind die mit dem blinkenden Apparaten und den zuckenden Kontrollern – den Begriff des „New Games Journalism“. Geprägt hat ihn der britische Spielejournalist Kieron Gillen in einem Manifest von ihm – und damit eine neue Bewegung im Schreiben über Computerspiele geschaffen. Oder wenigstens benannt.

Dieser neue Ansatz von Kulturjournalismus in digitalen Games hatte sein Vorbild in einem neuen Reportagestil mit subjektiven Duktus und starken literarischen Anleihen. Entstanden in den 60ern, warf diese neue Art zu schreiben die journalistischen Konventionen über Bord und nahm den Leser ganz persönlich an die Hand. Um eine lange Geschichte kurz zu fassen: Die Computerspiel-Journalisten griffen – vor allem online – diese Idee rasch auf und berichteten plötzlich nicht mehr über Zahlen und Daten in ihren Rezensionen, sondern versuchten durch Selbstreflexion der Seele eines Spiels auf den Grund zu gehen: Was passiert mit mir, wenn ich spiele? Welche Gefühle kommen auf, was fasziniert?

Insbesondere die Veteranen der Szene belächelten diese arroganten Fatzkes mit ihrem elitär-hippen und dabei doch beneidenswert intimen Geschichten. Heute, im Jahr 2013, stehen bei den Onlinemagazinen genau diejenigen ganz tief in den Herzen der Leser, die zu einem großen Teil ihre Art des New Games Journalism entwickelt haben: Polygon, Rockpapershotgun und hierzulande Superlevel.

Und wir? Diese berechtigte Frage sei erlaubt. Überlegen wir mal: Was können wir, die Brettspiel-Journalisten, denn von den Kollegen mit den Konsolen und den Let’sPlay-Videos lernen? Braucht es nicht auch einen „New Boardgame Journalism“?

„Es überwiegt der klassische und langatmige Rezensions-Stil“

Auch bei uns überwiegt noch der klassische (und langatmige) Rezensions-Stil und traditioneller Branchenjournalismus. Die großen Magazine machen es vor: Spielbox, Fairplay. Das ist alles sehr solide und wird von mir hier in keinster Weise in ein schlechtes Licht gestellt. Und schaue ich mir den guten Sebastian vom Zuspieler-Medienimperium an, dann brauche ich keinem zu erklären, dass der Mann die Szene durch jede Menge richtig guter Geschichten bereichert hat.

Ich wünsche mir aber mehr Nähe. Ich meine: Es gibt so viele Rezensionsseiten im Internet, die vor allem eins sind: Engagiert. Wahnsinn, wie viel Zeit und Energie da in Freizeitprojekte gesteckt wird. Aber viele sind auch etwas anderes: Langweilig. Immer wieder kritisiere ich den berühmten 10-80-10-Stil vieler Seiten. Das sind zehn Prozent Einleitung, achtzig Prozent Regelparaphrase und zehn Prozent Bewertung. Am besten noch mit Punkten. Denn, liebe Autoren, ihr klaut den Lesern Zeit. Deswegen scrollen die alle zum letzten Absatz runter und überfliegen das Resümee. Habt Ihr dafür so viel Zeit beim Schreiben vergeuden wollen? Ich denke nicht.

Ich fasse mich mal an die eigene Nase, will mich allerdings nicht selbst auf einen Sockel stellen: Ich rezensiere nicht oft. Ja, nun wird das hier langsam mehr. Hat auch seine Gründe, wegen der Jury und so. Im Juni 2012 habe ich dazu eine Artikel geschrieben, der jetzt umso mehr gilt wie einst:

„Wenn ich etwas über Spiele schreibe, dann haben diese bereits das erste Ausschlusskriterium bestanden: Sie taugen was. Über schlechte Spiele schreibe ich nicht. Das bringt keinem etwas, kostet nur zu Zeit und wird obendrein eh nicht gelesen. Gute Verrisse sind eine ganz hohe Kunst, die mir auch nicht immer gelingen will, ich gebe es zu. In der heutigen Flut an Neuheiten, denke ich, ist ein schlechtes oder mittelmäßiges Spiel alleine durch Nichtbeachtung abgestraft.“

So viel zur Motivation. Aber wie muss eine in meinen Augen gute Rezension aussehen? Ich zitiere wieder: „Sie fußt auf der Auswertung der Interaktion, nicht nur der Betrachtung von Form und Inhalt. Ich orientiere mich in meinen Kritiken an der Kunst. Ein Spiel hat entsprechend schon materiell mehrere Ebenen, die es zu analysieren gilt: Ein Autor erfindet den formalen Mechanismus, ein Illustrator gibt dem Ganzen ästhetische Gestalt. Das will beschrieben werden.

Rezeptionsästhetik des Spiels

Als viel wichtiger erachte ich allerdings ein Phänomen, das eigentlich aus der Kunst- und Literaturtheorie stammt: Ich nenne es die Rezeptionsästhetik des Spiels. Gemeint ist damit nicht der Gegenstand an sich, also das Spiel als Schachtel plus dessen Mechanismensystem, sondern das, was sich in mir als Spieler dabei entwickelt. Und das dehne ich zeitgleich aus auf die Stimmung am Spieltisch. Also: Wie wirkt das Spiel in seinem Ablauf und erzeugt damit Spaß oder Unlust bei seinen Rezipienten – Wie kommuniziert es mit uns Spielern?

Es geht darum, in einer Kritik möglichst plastisch zu beschreiben, was am Spiel Spaß macht, warum es Euch ebenfalls Spaß machen wird und – wenn der Rezensent ein erfahrener Veteran der Szene ist – in welchem Kontext zu anderen Werken des Autors oder ähnlichen Spielen es steht. Da steckt durchaus viel Leistung hinter, siehe die fachkundigen Texte in der Spielbox.

Wir schreiben über Spiele. Nicht über Aktienkurse. Es ist essentiell zu beschreiben, was das Spiel mit uns individuellen Menschen macht. Wir spielen zur Erholung, nicht um die Schrecken moderner Kriegsführung zu verstehen. Ihr Leser wollt wissen, ob es der Titel bringt, Euch Eurem Geschmack entsprechend zu unterhalten. Ich erzähle Euch, wie das bei uns war – so, wie ich es einem guten Freund erzählen würde. Und da will auch die Form unterhaltsam zu lesen sein.“

„Persönliche Geschichten statt kalter Warentests“

So soll für mich der „New Boardgame Journalism“ aussehen. Und schaue ich mir die Szene an, erkenne ich da durchaus Bewegung. Udo Bartsch brachte uns allen das Lachen beim Lesen wieder bei, Sarah Kestering nimmt uns mit zu ihren Spieletreffs in Skye und mit Daniela, Martin Klein kriecht vor lauter Subjektivität schon fast aus meinem Bildschirm hervor oder die Oldenburger Pöppelhelden holen tief Luft, um mit langem Atem und viel Charme aus ihrem Kreis lebendig zu erzählen. Matthias Nagy ist manchmal so wirr wie gut informiert, das Ehepaar Nos legt immer direkt ein paar Spielstrategien bei. Wir sehen: Es tut sich was.

Und wenn bei den PC-Spielen die Let’s Play-Filme von jugendlichen Hobbygamern in fünfstelligen Zahlen abonniert werden, dann weiß ich, dass auch bei YouTube die Zukunft liegt. Will Wheatons Tabletop hat es vorgemacht. Die Briten von Shut Up & Sit Down sind super telegen. Ich warte auf die ersten wirklich sehenswerten Brettspiel-Partien, die Unterhaltung mit Information kombinieren. Statt monologisierender Menschen vor Spieleregalen.

Ich weiß selbst, dass solche Nahaufnahmen und rezeptionsästhetischen Analysen von Spielen und aus der Szene nicht einfach zu schreiben sind, manchmal nicht passen oder Autoren überfordern können. Das geht mir ja genauso, nicht immer gelingt es, dem eigenen Anspruch zu genügen. Auch ich hab Stories hier auf Tric Trac, auf die ich stolz bin, andere wiederum liegen zurecht inmitten von drei Jahren (und bald in die Tausender gehenden) Artikeln verschüttet. Die Tagesform spielt auch eine Rolle. Und mein Kaffeekonsum.

Aber: Wenn wir uns alle bemühen, tolle, persönliche Geschichten zu erzählen statt kalter Warentests und Nullachtfuffzehn-Reportagen, gewinnen doch alle. Oder?

Update 1 am 26.11.13:
Interessanterweise – und zum Glück – hat der Artikel relativ hohe Wellen geschlagen. Ich bin froh darüber, denn die wertvolle Diskussion unter anderem hier in den Kommentaren zeigt mir, dass ich damit einen offenen Nerv getroffen habe.

Zum Beispiel nehmen sich die Jungs und Mädels von Cliquenabend das Thema zu Herzen und kündigen eine Umstellung ihres Stils an, http://www.cliquenabend.de/news/510600- … nline.html. Bravo!

Und mein lieber Kollege Michael Weber vom Reich der Spiele (wann habe ich ihn eigentlich das letzte mal gesehen?) hat sich zu all dem ganz eigene Gedanken gemacht, https://www.reich-der-spiele.de/special … urnalismus. Er greift die Situation bei den Wurzeln: Auf den Resten der allmählich Verschwindenden Spielerezensionen in Tageszeitungen und Magazinen schießen regelmäßig Rezensionsseiten wie Pilze aus dem Boden. Und diese Seite von Hobby-Schreibern und Fans verändern auch den Spiele-Journalismus. Wie ich bereits schrieb, demokratisieren Blogs das einfach Publizieren. Ein Journalist ist man dann noch lange nicht. Das sagt Michael in seinem Artikel und ich gebe ihm Recht. Aber vielleicht hat auch nicht jeder solch einen Anspruch an sich und es soll eine Liebelei bleiben, ein Ausdruck der innigen Liebe zum Hobby.

Michael behauptet aber auch, dass ein „New Boardgame Journalism“ in der Form, wie es bei den PC-Konsoleros üblich ist, für uns nicht passe. Man könne nicht einen emotionalen Ritt durchs Spielgefühl postulieren und dann die objektiven Details weglassen. Wenn also die Regel Mist ist. Oder der Mechanismus geklaut, die Plättchen zu dünn, das Gelb zu nah am Grün. Generell fehle, so lese auf Reich-der-Spiele.de, den meisten das professionelle Handwerkszeug. Das mag stimmen, wer die oft zitierte „Flotte Schreibe“ hat, der ist vermutlich damit auch in irgendeiner Form beruflich verbunden.

Ich will mein Traktat für einen neuen Weg der Spielerezensionen damit nicht über den Haufen werfen. Berndward Thole hat mal in den Achtziger Jahren einen ellenlangen Aufsatz geschrieben, wie eine Rezension auszusehen habe, wie sie Querverbindungen knüpfen soll, das Autorenwerk mit einbezieht und gar wissenschaftlich interdisziplinär arbeiten soll. Das war in den goldenen Tagen der Brettspielrezensionen. Heute muss das anders laufen.

Ich bin immer noch für eine neue Art, Rezensionen zu schreiben. Vielleicht nicht im Rahmen eines angefuckten Gonzo-Journalismus, sollte der Eindruck entstanden sein. Ich weiß auch, dass die Mehrheit der Vielspieler – also unsere Kundschaft – auf die harten Fakten steht. Trotzdem plädiere ich für eine andere Schreibe, für mehr Lockerheit, für Erzählen, Gefühle, auch für soziale Komponenten. Ich spiele, weil ich eine schöne Zeit mit Menschen verbringen will. Will ich einen über-elaborierten Mechanismus erleben, kann ich mir auch meine Armbanduhr anschauen.

Geistreich und stimmig muss eine Rezension sein, neue Pfade wagen. Warum wurde Udos Rezension von Ora et Labora in der Spielbox so gewürdigt? Er mischte übliche Konventionen mit einer völlig ungewohnten Sprache.
Vielleicht müssen wir alle unsere ganz eigene, moderne Form von Kulturjournalismus auch erst noch herausarbeiten. Jeder für sich, damit Vielfalt herrscht. Wir stehen noch am Anfang.

Update 2 am 27.11.13:
Auf Zuspieler.de formuliert Frank Noack seinen unten stehenden Kommentar genauer, viewtopic.php?f=22&t=391593. Die Szene braucht keinen neuen Journalismus, aber die Branche, schreibt er im Kern. Weil 17 Mio. Haushalte nach Orientierung lechzen, was man denn den Kindern, Freunden oder sich selbst schenke. Dazu fehle der Branche der Jedermanns-Spielejournalismus, der dem Wenigspieler den Spaß am Spiel vermittelt.

Zum einen ist es ja genau das, was ich auch sage: Interaktion, Gefühle, Spannung – das will doch der Wenigspieler genauso wie der Vielspieler. Er will einfach wissen, ob das Spiel subjektiv gut ist, weil er dem Rezensenten vertraut. Und langweilige Detailfragen und Regelgeblubber schreckten ab. Ja Frank, genau mein Reden.

Aber Spiele-Journalismus ist kein Spiele-Marketing. In unserem Interesse ist es nicht, dass Ihr die Spiele gut verkauft. Das hätten Händler, Verlage und Autoren vielleicht allzu gerne. Nur leider sollte der Anspruch einer Rezension ein anderer sein. Bernward Thole hat in seinem „Umrisse einer Spielekritik“ (Homo Ludens, Band2, Seiten 15-42) Mitte der Neunziger Jahre definiert: „Spielekritik ist die öffentliche Kommunikation über Spiele, die die Darstellung und Bewertung der Produktionen in diesem Bereich der Unterhaltungskultur zu ihrer Sache macht.“ Auch wenn vieles aus diesem Aufsatz in meinen Augen heute obsolet ist und völlig überzogene Forderungen stellt, so gebe ich ihm im Grundsatz Recht, wenn er Reich-Ranicki zitiert: „Der Kritiker soll sichten und ordnen, klären und werten, polemisieren und postulieren. (…) Zwei Ziele schweben ihm vor: Bessere Bücher und bessere Leser.“ In unserem Fall eben Spiele und Spieler.

Klartext: Es geht um Wertung, nicht Werbung.
Weiterführend dazu: An der Uni Konstanz hielt ich vor einem Jahr zusammen mit Steffen Bogen genau dazu ein Seminar. Wer es verpasst hat: Spielkritik – Wozu? Wozu nicht? In diesem Rahmen begann für mich das Nachdenken über neue Schreibformen.

Update 3 am 02.12.13:
Auch der von mir sehr geschätzte Peer Sylvester schreibt seinen Senf auf spielbar.com zum Thema, https://www.spielbar.com/wordpress/2013/11/30/14603. Er schießt sich auf die nebenbei entstandene Frage ein, wie man denn bitte am besten die Spiele-Uninformierten ins Boot holen kann. Denn auch Tric Trac – da hat er Recht – ist für die Szene. Seine Lösung: Viel mehr mal mit Videospielmagazinen verbrüdern.

Natürlich will ich den Hauptpunkt hier nicht verwässert sehen. Wenn wir uns Gedanken über einen „New Boardgame Journalism“ machen, dann ist mir klar, dass wir hier für die Szene schreiben. Überhaupt, wer soll denn Rezipient solch einer neuen Schreibe sein? Mir geht es ehrlich gesagt nicht um eine Zielgruppe. Die wird sich nicht ändern durch subjektiv geprägtes, lebendigeres Schreiben. Mir geht es um die Sache an sich. Um die Art und Weise, wie man Rezensionen und Berichte anders schreiben könnte, weil sich eben die Zeiten in unserer Szene allein in den vergangenen 5 Jahren geändert haben. Es gibt mehr Spiele, nahezu alle Regeln liegen Monate vor dem Erscheinen auf Verlags-Servern als pdfs, immer mehr Blogs und Webseiten versprechen für einen Teil Eurer Aufmerksamkeit Informationen (und teilweise Unterhaltung). Peer erkennt richtig: „Mit interessanter Schreiben ist man zwar auf dem richtigen Weg, aber noch lange nicht am Ziel.“

Viele wissen, dass ich gerne Gast beim Insert Moin-Podcast bin, https://superlevel.de/brettspiel/. Der läuft wochentags runde dreissig Minuten und alle Jubeljahre geht es auch um Brettspiele. Die Resonanz ist kolossal. Die Welten der Video- und Brettspieler sind enger verbunden als manche meinen. Fast alle Konsolencowboys da draussen würden sicherlich auch gerne ein Brettspiel anpacken, wenn man es ihnen nur ansprechend vorstellt. Denn auch die kennen sich nicht unbedingt aus, sind aber verspielt genug, gerne auch mal offline und analog zu zocken. Garantiert.

Update 4 am 03.12.13:
In die Diskussion passt doch wunderbar der Hinweis, dass Bernward Thole neulich nach 40 Jahren als Spielekritiker den Dienst quittierte. Tatsächlich würde mich seine Ansicht zum Thema sehr interessieren. Und auch der Chef einer gewissen Hannoveraner Stoffhuhn-Redaktion und Deutschlands Rezensionspapst hat sich zu Wort gemeldet: Er macht nicht mit. Vielleicht nicht aktiv, aber kaum jemand ist sprach- und experimentierfreudiger in seinen Rezensionen als Udo Bartsch – vor allem in der Spielbox. Der ist einfach viel zu bescheiden und hat sicherlich mehr zu meinen Gedanken über all das hier beigetragen als er weiß. http://rezensionen-fuer-millionen.blogs … nicht.html

Update 5 am 06.12.13:
Stefan Feld hat im Gespräch mit Jörg von Cliquenabend, https://vimeo.com/81114000, auch mal ganz persönlich die laufende Diskussion kommentiert. Natürlich lese er auch gerne „subjektive Begründungen“ und „was gut oder weniger gut gelungen ist“.

Ich sage: Darum geht es nicht, denn das macht ja im Prinzip jeder Rezensent. Die Begründung ist immer subjektiver Natur. Ich würde vielmehr gerne erfahren, was der Autor (des Textes!) emotional erfahren hat, nicht wie er den Mechanismus erfahren hat. Was hat für Spannung gesorgt, an was erinnert es mich, habe ich Erfahrung mit ähnlichen Spielen. Ich schaue nach innen: Was erzeugt das Spiel in mir? Vielleicht muss man den Begriff des Spielgefühls auch griffiger definieren. Umschreibt er das, was im Kopf passiert oder doch, was Hormone am Tisch mit mir machen? Ich persönlich spiele gerne lebhaft, unterhalte mich dabei und will den Menschen wahrnehmen.

Stefan Feld sagt weiter: „Das nebenher zu machen, ist nicht einfach. Es kostet Zeit.“ Aber ja. Es verlangt ja auch niemand, am Fließband zu texten. Qualität ist wichtiger als Quantität. Feld sieht das auch und verlangt – zurecht: „Die meisten in unserer Szene machen das als Hobby“ und man müsse da Abstriche machen. Wie er das genau meint, ist Deutungssache. Wenn ich das als Aufruf verstehe, mal einen Gang runterzuschalten und mit mehr Mühe zu rezensieren, dann stehe ich da voll hinter ihm.

Und auch der irgendwie immer mit einer Meinung ausgestattete Herr darkpact meldet sich zu Wort, http://darkpact.tumblr.com/post/6906830 … s-medaille. Er nimmt – und das finde ich sehr wichtig – der Aussage den Wind aus den Segeln, dass doch nur die professionellen Journalisten schreiben sollten. In den Kommentaren wurde dies gar als anmaßend bezeichnet. Natürlich schreibt jeder anders und die Qualität schwankt, aber gerade deswegen könnte es doch der allgemeinen Qualität nur gut tun, wenn auch die Hobbyschreiber sich mal auf neues Terrain wagen und so auch ihre Schreibe trainieren. Denn nicht jeder ist zum Henry Nannen geboren worden, da steckt auch Übung und Arbeit hinter. Warum also nicht im eigenen Blog immer mal wieder Komfortzone verlassen und einen neuen Schritt wagen?

Update 6 am 09.01.14:
Huhu, die Idee lebt noch! Ich bin sehr froh, dass sich auch Kathrin und Peter Nos über die Thematik ihre eigenen Gedanken gemacht haben. Und dies in mehreren Thesen ausbreiten, die sie gedanklich offen für uns ausformulieren. Den wirklich lesenswerten Artikel findet Ihr hier, https://das-spielen.de/index.php/neuer- … -internet/.

Generell stimme ich den Argumenten dort zu: Bloggen ist eine flexible, liberale Art zu Schreiben und jeder packt Texte wohl anders an. Schreiben kann sicherlich jeder. Nur will das nicht jeder lesen. Dazu muss man tatsächlich kein ausgebildeter Journalist sein – was zählt, das ist die Lust und Freude am Erzählen. Und interessantes Schreiben, das kann eben nicht jeder. Wie Kathrin und Peter schreiben, sind Klicks und Kommentare das wichtigste Feedback.

Aber warum soll so ein New Boardgame Journalism nix für Tageszeitungen, Amazon-Rezis oder Unter-dem-Weihnachtsbaum-Spieler sein, die flotte Kaufempfehlungen wollen? Das wären nämlich starre Regelparaphrasen auch nicht. Was die Menschen doch interessiert, das ist das Beschreiben des Spielspaß, der Emotionen am Tisch. Der Mechanismus ist kein Kaufgrund für Normalspieler. Ein Spiel soll unterhalten. Der Erfolg von Wil Wheatons Tabletop liegt meiner Ansicht nach darin begründet, dass die Zuschauer sich wünschen, Spaß und Spannung aus der Sendung am heimischen Tisch mit den eigenen Freunden zu replizieren.

Auch Vielspieler und Kenner dürften sich an flotten Geschichten rund ums besprochene Spiel erfreuen. Sie sind meistens breiter gebildet im Hobby und stehen bei der Lektüre in einem inneren Monolog mit dem Autor. Sie kennen Knizia, Workerplacement und Ludonaute. Aber sie wissen auch, wo sie sich die Regel-pdfs auf die heimische platte saugen können. Es stimmt, hier muss Substanz rein, Ablauf, Hürden und Spielbarkeit wollen ausgebreitet werden. Über den Inhalt wollen wir nicht zanken. Aber die Form, die gewählte Sprache, die darf auch hier lebendig und wohlformuliert sein, anstatt nur aus Subjekt-Prädikat-Objekt-Sätzen zu bestehen. Ein Weg zu kreativerem Schreiben ist da sicherlich der größere Fokus auf subjektive Empfindungen – die Essenz von Kulturkritik.

Update 7 am 23.01.14
Die Herren vom Bretterwisser-Podcast haben mich neulich eingeladen und wir diskutieren über den aktuellen Stand der Dinge. Da formuliere ich auch noch mal eine zentrale These aus: Wer Spiele als Kulturgut fördern will, muss sie auch als solche besprechen. Reinhören lohnt sich, um meinen Gedankengängen folgen zu können. http://bretterwisser.de/bretterwisser-007/

Update 8 am 29.04.14:
Nicht ich krame das Thema wieder hoch, sondern Deutschlandradio Kultur. Schön wäre es ja schon gewesen, wenn die Kollegen mal übers Tellerchen der Videospiele hinausblicken, aber tatsächlich widmete sich am Samstag vor zwei Wochen das Format „Breitband“ des Senders unter anderem auch dem „New Game Journalism“. In vier Leveln hangeln sich die Gesprächspartner von virtuellen Realitäten, Onlinegames und Indiestudios zum Thema „Waschmaschinentest vs. Reisebericht“. Und da gibt es ein paar ganz erhellende Einsichten, die ich durchaus auch für den „New Boardgame Journalism“ postulieren würde:
Tatsächlich wird hierzulande einem punktebasierten Bewertungssystem ein größerer Wert beigemessen als anderswo. Vielleicht hat das kulturelle Hintergründe. Wir wollen quantifizieren und kategorisieren. Da helfen halt Prozentangaben und „4 von 5 Sternen“ manch einem mehr. Aber: Bloße Zahlenwerte spiegeln ein Spielgefühl eben nicht so leicht wieder. Sie entsprechen aber dem Mainstream.
Nüchterne Zahlen schließen im Grunde Neulinge aus und orientieren sich stark an denjenigen Lesern, die mit diesem System aufgewachsen sind. Bei den PC-Spielen gab es schon vor 20 Jahren Zahlenbewertungen und vielleicht noch ne Kommentarbox. Hat sich aus diesem Geiste auch die Brettspiel-Rezensions-Systematik entwickelt?
Für Videospiele wie auch unsere Brettspiele gilt: Technische Bewertungen und Inhaltsangaben betonen die Attribute eines technischen Produkts – was ein Spiel, das Mechanismen, Themen und Funktionen hat, ebenso sein kann – während subjektivere Berichte das kulturelle Medium hervorhebt. Das muss nicht unbedingt abgedrehter Feuilleton-Stil sein.
Die Diskussion fordert für PC-Spiele mehr Reiseberichte und weniger Kaufempfehlungen. Hier fühle ich mich bestärkt: Auch wenn Brettspiele längst nicht so stark in Richtung interaktivem Film oder Helden-Odyssee gehen, so haben sie doch auch eine Erzählung im Kern. Die Reise dorthin kann manchmal lohnenswert zu erzählen sein.
Deutschlandradio Kultur am 19.04.14: Breitband – Versus-Spielespezial (via WildersWelt)

Update 9 am 21.05.14:
Ihr seht, die Gedankengänge in dieser Sache sind noch nicht zur Tür heraus. Das ist auch ganz gut, denn vielleicht passiert ja dadurch etwas. In Nürnberg lud der Kollege Wenzel Ende Januar zum Interview; neben mir als den Lostreter der munteren Mini-Revolution den geschätzten Synes Ernst, der seine ganz eigene Sicht der Dinge in diesem Zusammenhang beschreibt. Und wir sehen: Die Idee, lebhafte und den Leser mitnehmende Spiele-Besprechungen zu schreiben, ist gar nicht sooo neu.
Jetzt ist das Video da und ich möchte euch dazu einladen, mal eine knappe halbe Stunde im Kanal von Zuspieler zu verbringen. Zugegeben: Wir vergaloppieren uns manchmal in Richtungen, die nicht ganz den Fragen entsprechen, aber daran sieht man, wie die Ideen nur so hervorsprudeln.

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